Von Claus Peter Müller-Thurau
Warum befördern sich Berufseinsteiger bereits während der Startphase ins berufliche Abseits? Für die meisten gilt: Weil sie nur die Organisation des neuen Betriebes kennen, aber nicht die Organisation hinter der Organisation.
Neueinsteiger sollten sich also bemühen, die informellen Beziehungs- und Machtstrukturen – die „hidden organization“ – zu durchschauen. Wer neu in einen Betrieb kommt, findet schließlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor, die eine gemeinsame Geschichte haben. Diese gemeinsame Geschichte kann darin bestehen, dass man sich gegenseitig auf der Karriereleiter nach oben bugsiert oder aber behindert hat. Da wurden in der Vergangenheit Erfolge miteinander gefeiert, bisweilen auch missgönnt, und so mancher schleppt einen Makel bis zum Ende seiner Tage im Betrieb mit sich herum. Alle wissen es, nur der Novize ist völlig ahnungslos und verbündet sich leichtfertig mit den falschen Leuten.
Ungeschriebene Gesetze
Wer sich vom Start weg positiv positionieren möchte, hält sich an die folgenden Grundsätze:
Besserwisser und Schlaumeier werden überall als Plage empfunden. Behalten Sie Ihr möglicherweise durchaus besseres Wissen in der Startphase eher für sich.
Das wichtigste Wort der deutschen Sprache heißt „Warum“. Fädeln Sie sich durch Fragen behutsam in den Unternehmensalltag ein. Verschonen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen mit Imponiervokabeln.
Wer eine „challenge“ darin sieht, die „performance“ des Unternehmens zu „pushen“ und hierfür ein gemeinsamen „targeting“ vorschlägt, macht sich keine Freunde. Es sei denn, alle reden so.
Lassen Sie sich nicht zu früh zu Urteilen über betriebliche Sachverhalte und gar Personen verleiten. Für einige Monate dürfen und sollten Sie diesbezüglich eine Karenzzeit beanspruchen. Beteiligen Sie sich nicht am „Flurfunk“. Nehmen Sie Gerüchte kommentarlos zur Kenntnis.
Interne Spielchen
In jedem Betrieb gibt es Gruppen und Grüppchen, die sich im Laufe der Zeit aufgrund einer gewissen Schicksals- und Seelenverwandtschaft gebildet haben und die den Neuen für ihre Zwecke vereinnahmen möchten.
Zu warnen ist beispielsweise vor den „Minimalisten“, die von der protestantischen Arbeitsethik wenig halten. Sie handeln nach der Devise „Mit halber Kraft nur das Nötigste“ und ihr Tagesziel heißt „Feierabend“. Diese Propagandisten einer freizeit-orientierten Schonhaltung möchten natürlich ihre Anhängerschaft vermehren und erklären dem Neuen erst einmal, dass es unüblich sei, vor neun Uhr morgens im Betrieb zu erscheinen.
„Keep away from people who try to belittle your ambitions. Small people always do that, but the really great make you feel that you, too, can become great.“ Diese Empfehlung stammt von Mark Twain und sie ist eine gute Richtschnur für das eigene Verhalten beim Start im neuen Job.
In Acht nehmen sollte man sich auch vor den typischen „Verlierern“. Meist halten sie sich für verkannte Genies, denen von inkompetenten Vorgesetzten beharrlich jener Rang verwehrt wurde, der ihnen zusteht. Jeder Neuzugang wird deshalb zunächst mit dem beklagenswerten Umstand konfrontiert, dass der Chef ein Depp sei. Wer hier nicht aufpasst, läuft Gefahr, über kurz oder lang selbst zu jenen zu gehören, die ihre berufliche Zukunft hinter sich haben.
Gegen all‘ diese Anfechtungen und Verführungsversuche gibt es ein Mittel, das absolut zeitlos ist: Loyalität gegenüber dem Unternehmen und seinem Vorgesetzten. Wer dies nicht kann, sollte das Gespräch mit dem Chef suchen und im Zweifelsfall das Unternehmen verlassen.
Nein-Sager oder Ja-Sager?
Andererseits müssen Neueinsteiger auch nicht auf Taubenfüßen daher kommen. Wer sich seine Ecken und Kanten vor lauter Harmoniebedürfnis klaglos abschleifen lässt, wird bald zur Personalnummer auf zwei Beinen. Gewiss – es gibt viele Fettnäpfchen, in die man treten kann und man sollte wissen, wo sie stehen. Manchmal ist aber auch eines darunter, das man vorsätzlich wegtreten sollte. Dies kann bisweilen riskant sein, aber wer kein Risiko eingehen will, geht bekanntlich das größte Risiko ein.
In diesem Sinne muss jeder Novize zum Beispiel aufpassen, dass er sich nicht irgendwann in der Rolle des nützlichen Idioten wieder findet („Kannst Du mal eben zum Kopierer gehen?!“). Kollegiale Hilfsbereitschaft ist absolut wünschenswert, aber Kollegialität heißt nicht, anderen eine sitzende Tätigkeit in angenehm temperierten Räumen zu ermöglichen. Wer hier gleich zu Beginn an Terrain verliert, gewinnt es nur unter großen Anstrengungen wieder zurück – wenn überhaupt. Zu einem guten Start gehört deshalb auch die Fähigkeit, bei angemessener Gelegenheit „nein“ zu sagen.
Auch inhaltlich sollte man als Neuling nicht gleich „einknicken“, wenn man sich zu einer Sachfrage äußert und es dann prompt Gegenwind gibt. Eckart van Hooven, Ex-Vorstand der Deutschen Bank, dürfte wissen, wovon er spricht: „Wer (als Neuer, Verf.) im Vollbesitz seiner geistigen Überzeugung in die Runde platzt, um seine Idee mitzuteilen, über die er lange nachgedacht hat, wird natürlich erleben, dass die Kollegen, die gar nicht darüber nachgedacht haben, ihm gründlich klarmachen, warum er daneben liegt. Das ist kein böser Wille, das ist ein Erziehungsvorgang.“
Jeder Berufseinsteiger wird in seiner neuen Position erst einmal mehr oder weniger „sozialisiert“, aber er sollte sich nicht zum Ja-Sager „umerziehen“ lassen. Im Zweifelsfall werden Hochschulabsolventen vor allem auch deshalb gebraucht, um Veränderungsprozesse zu initiieren und zu begleiten. In der Praxis kann dies bedeuten, dass sie mit Geschick die eine oder andere mentale Zentralverriegelung öffnen müssen.
Erfolg durch tiefen Fall
Der in seinem Scharfsinn unvergessene Publizist Johannes Groß hat einmal bekannt: „Mit 40 Jahren habe ich beschlossen, keine Angst mehr zu haben. Ich habe es nicht bereut.“ Man kann dies auch früher beschließen und es wäre kein schlechter Vorsatz für jeden, der einen neuen Lebensabschnitt vor sich hat.
Und wie bekommt man die eigenen Ängste in den Griff? Indem man sich vorsätzlich jenen Situationen und Anforderungen stellt, die einem mehr oder weniger Bauchweh verursachen. Für den kompetenten Umgang mit der Angst kann sich jeder beizeiten seine eigenen Trainingsanlässe schaffen.
Und was ist, wenn man scheitert, weil man die Aufgabe falsch eingeschätzt hat? Dazu Jürgen Heraeus, Chef der Heraeus Holding GmbH: „Ich stelle nur Leute ein, die einmal ganz tief gefallen sind. Das gehört für mich zum Erfolg – um keine Angst mehr zu haben.“
Mancher findet erst über eine berufliche Fehlentscheidung zu einer Aufgabe, in der er dann über sich hinauswächst. In Zeiten, die für Jobsuchende nicht so sind, wie sie sein sollten, ist allerdings von Experimenten dieser Art eher abzuraten. Heute heißt die Devise: Nicht zu früh aufgeben und in den Niederungen des beruflichen Alltags durchhalten! Zu den wichtigsten Soft Skills gehören heute Beharrlichkeit und Standfestigkeit.
Es reicht eben nicht aus, das Richtige zu wissen – man muss sich damit auch durchsetzen können. Aber damit sollte man erst nach Ablauf der ersten hundert Tage beginnen.
Claus Peter Müller-Thurau, Diplom-Psychologe, ist auf internationaler Ebene in den Bereichen Recruitment, Training & Development tätig. Seine aktuellen Bücher „Das erste Jahr im neuen Job“ und „Fit 4 USA“ erschienen im Verlag „Fit for Business“, Regensburg/Düsseldorf.
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