Für Bauingenieure, die hauptsächlich Auslandsprojekte betreuen, sind Flexibilität und Mobilität unerlässliche Voraussetzungen. Dies heißt jedoch nicht, dass man auf sein soziales Leben verzichten muss, wie das Beispiel von Jan Loosen zeigt. Von Christoph Berger
Selbst wenn das Gebäude im Süden von Katars Hauptstadt Doha schnurgerade verlaufen würde: Mit bloßem Auge wäre sein Ende wahrscheinlich nicht auszumachen. Über acht Kilometer lang ist der dort in den letzten fünf Jahren entstandene Gebäudekomplex, in dem sich Geschäfts-, Büro- und Wohneinheiten befinden. Seine Bruttogeschossfläche beträgt knapp 900.000 Quadratmeter – das entspricht etwa der Größe von 110 Fußballfeldern. Das Projekt trägt den Namen „Barwa Commercial Avenue“. Im Jahr 2009 war es mit einem Auftragsvolumen von 1,3 Milliarden Euro der bis dahin größte Einzelauftrag in der Unternehmensgeschichte von Hochtief.
Der 33-jährige Bauingenieur Jan Loosen war von Beginn an in das Projekt involviert. 2006 hatte er sein Studium an der FH Biberach abgeschlossen und direkt bei dem Baukonzern seine erste Stelle begonnen. „Bereits während des Studiums hatte ich mir die für mich relevanten Einstiegsmöglichkeiten über Praktika angesehen: Ingenieurbüro und Bauunternehmen“, erzählt er. Die Wahl fiel auf Letzteres, da er dort einen umfassenderen Blick auf die Projekte bekomme, wie er sagt. Und: „Ich fühle mich auf der Baustelle wohl.“ Ihm gefällt außerdem, dass er sämtliche Phasen eines Projekts begleitet: die Angebotsvorbereitung, die Start-up-Phase, in der die Baustelle eingerichtet wird, sowie die Ausführungsphase. Nachdem er in den Bewerbungsgesprächen und einem ganztägigen Assessment Center überzeugt hatte, startete er direkt im Bereich Major International Projekts. Die Niederlassung bearbeitet weltweit Großprojekte. „Der Reiz liegt für mich dabei noch heute in den Projektgrößen“, sagt er. „Und dann ist da noch eine andere, allerdings schwer zu beschreibende Komponente, die fasziniert.“ Loosen meint ein gewisses Gefühl der Spannung, dass bei Auslandsprojekten immer mitschwingt – und das Leben in anderen Kulturen für bestimmte Zeit.
Bereits im August 2007 flog er mit zehn Kollegen in den Golfstaat, um das dortige Umfeld zu erfassen und dem Auftraggeber ein Angebot zu unterbreiten. Später, in der Pre-Construction- Phase, wuchs das Team auf etwa 50 Kollegen an. „Zum Baustart folgten weitere 100 Kollegen aus Deutschland und 300 weitere lokale Angestellte. Dazu kamen etwa 15.000 Arbeiter auf der Baustelle“, schätzt er. Da gilt es, den Überblick zu wahren. Und die Arbeiten zu überwachen. Bauen im Ausland bedeutet besondere Rahmenbedingungen zu meistern: dazu zählen in Katar die klimatischen Bedingungen und die logistischen Voraussetzungen. „Bei dem Barwa- Commercial-Avenue-Komplex haben wir Produktionsunterschiede je nach Arbeitszeitraum in den Terminplan einkalkuliert“, sagt er.
Nach drei Monaten folgte Loosens Familie nach Katar. Das war eine seiner Bedingungen, um bis Mitte 2012 dort zu bleiben. Der inzwischen zweifache Familienvater sagt: „Hochtief bietet einen Familienvertrag an. Der war mir enorm wichtig.“ Überhaupt versucht das Unternehmen, für die Mitarbeiter eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Privatleben zu organisieren, zum Beispiel unterstützte Hochtief maßgebend die Gründung einer deutschen Schule mit Kindergarten in Katar.
Diesen Sommer schloss Loosen seine Arbeiten in Katar ab und kam mit seiner Familie zurück nach Deutschland. Doch an Stillstand ist nicht zu denken. Läuft alles nach Plan und gewinnt Hochtief den nächsten großen Auftrag, geht es für Jan Loosen, seine Familie und Kollegen wieder ins Ausland, voraussichtlich nach England. „Für Projekte ab einer Länge von zwei Jahren würden wir immer wieder ins Ausland gehen“, sagt er. Momentan steckt er mit seinem Team in der Angebotsphase für ein gewaltiges Brückenprojekt im Nordwesten der Insel – eines der Top-100-Infrastrukturprojekte weltweit. Es geht dabei nicht nur um den Bau einer sechsspurigen Brücke, sondern auch um deren anschließenden Betrieb. Und Loosen hat bereits wieder begonnen zu pendeln.