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Interview mit Jörg Rösler und Lothar Schulz

Ein Interview, zwei Gesprächspartner: Jörg Rösler und Lothar Schulz sitzen im Vorstand der deutschen Strabag und berichten über ihre Branche und die Karrierewege eines Bauingenieurs. Ihr Rat an Nachwuchskräfte: das Grundlagenwissen nicht vergessen – und sich die Freude an einem Beruf bewahren, der sehr viel Glücksgefühle bietet. Die Fragen stellte André Boße.

Lothar Schulz

Lothar Schulz wurde 1964 in Staaken/ Berlin geboren. Nach Abitur und technischer Berufsausbildung studierte er an der Technischen Universität Magdeburg mit Abschluss Diplom-Ingenieur. Seine berufliche Laufbahn begann Schulz bei dem Berliner Bauunternehmen Reh & Co. Straßenbau. Im Jahr 1997 wechselte er in die Strabag-Gruppe, wo er zuletzt als technischer Direktionsleiter des Unternehmens für den Verkehrswegebau in Berlin und Brandenburg verantwortlich war. Als Mitglied des Vorstands ist Schulz zuständig für die technische Leitung des Unternehmensbereichs Nord, der die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg sowie einige angrenzende europäische Nachbarländer umfasst. Der Vater zweier Töchter ist Vizepräsident und Mitglied des Vorstands des Bauindustrieverbands NRW.

Herr Rösler, Herr Schulz, in der Bauwirtschaft ist derzeit viel vom Wandel und von Umbrüchen die Rede. Auf was für eine Branche trifft ein Bauingenieur, der jetzt einsteigt?

Schulz: Es findet derzeit eine erneute Konsolidierung statt. Viele Unternehmen, vor allem Großkonzerne, sind auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, wobei sie vor der Entscheidung stehen, sich weiter auf den baulichen Sektor zu fokussieren oder stärker Felder wie Industriedienstleistungen, Projektmanagement oder Facility Management zu erobern.

Wie hat sich Ihr Konzern entschieden?
Schulz: Für beides. Die Strabag AG wird auch weiterhin vorrangig den reinen Bauleistungssektor bedienen. Aber innerhalb des Strabag SE Konzerns, unserer Muttergesellschaft in Wien, entwickeln wir auch die Geschäfte auf den eben genannten anderen Säulen weiter und sind somit in der Lage, die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken.

Wie hat der Energiewandel die Branche verändert?
Rösler: Dieser Wandel beginnt ja jetzt erst, und er wird uns in den nächsten 10 bis 15 Jahren massiv beschäftigen, da hinter dem politischen Willen eine Vielzahl von Bauprojekten hängt. Da geht es zum Beispiel um die Fragen, wie wir den Strom aus Offshore-Projekten von Nord nach Süd transportieren oder welche Speicherkapazitäten für regenerative Energien gebaut werden. Das sind alles hochaktuelle Themen, wobei auch die Dauerbrenner nicht vernachlässigt werden dürfen. Bei der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zum Beispiel hat sich ein enormer Investitionsstau aufgebaut.

Dazu fällt mir ein alter Werbespruch ein: Es gibt viel zu tun, packen wir’s an.
Schulz: So einfach ist es aber leider nicht, weil zu jedem Projekt ein Budget gehört und die Bereitstellung von Geldern aus öffentlichen Haushalten sehr angespannt ist.

Folgt daraus eine höhere Ausrichtung auf Privatkunden?
Schulz: Durchaus. Daher ist das Baumarketing heute zum Schlüsselbegriff geworden. Die Frage ist also: Wie erreiche ich den Kunden? Welche Methoden helfen mir dabei, mich besser als der Wettbewerber zu positionieren?

Rösler: Wobei es für uns darauf ankommt, bei der Ausrichtung sehr flexibel zu reagieren. Zieht die Konjunktur an, sind Privatkunden eher bereit, Bauvorhaben zu stemmen. Gibt es Anzeichen für geringes Wachstum, sinkt diese Bereitschaft häufig wieder.

Jörg Rösler

Jörg Rösler wurde 1964 in Gotha geboren. Nach Abitur und Armeedienst studierte er von 1984 bis 1987 an der Ingenieurschule für Bauwesen in Gotha mit Abschluss Diplom-Ingenieur. Sein Berufseinstieg als Ingenieur erfolgte 1987 in der Kommunalen Einrichtung für Straßenwesen der Stadt Gotha. Zur Strabag-Gruppe kam er 2001. Dort übte er bis zu seiner Berufung in den Vorstand der Kölner Strabag AG im Januar 2011 in verschiedenen Konzerngesellschaften Führungspositionen aus. Als Mitglied des Vorstands ist Rösler zuständig für die technische Leitung des Unternehmensbereichs Süd: Der Bereich umfasst die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen und Sachsen. Rösler ist Mitglied im Vorstand der Bundesfachabteilung Straßenbau des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

Muss sich ein Bauingenieur, der jetzt einsteigt, Sorgen machen, wenn er auf die Konjunkturaussichten der kommenden Monate blickt?
Rösler: Er muss flexibel sein. Aber Sorgen muss er sich nicht machen: Es hat in den vergangenen Jahren deutlich wildere Aufs und Abs gegeben, wobei sich gezeigt hat, dass sich in jeder Phase neue Dinge ergeben haben, die unsere Entwicklung gefördert haben. Das zeigt sich übrigens auch an der Zahl unserer Mitarbeiter, die seit Jahren und unabhängig von der Konjunktur stabil bleibt oder wächst. Es gibt also keinen Grund zur Sorge. Vor vier, fünf Jahren haben sich viele junge Leute verrückt machen lassen. Da hieß es: „Der Bau geht nach unten.“ Heute zeigt sich, dass der Bedarf an Bauingenieuren so massiv ist, dass wir vor der Aufgabe stehen, die neue Generation zu umwerben, wenn sie noch an den Hochschulen studiert. Wobei ich feststelle, dass in den letzten 20 Jahren zu jeder Zeit eher zu wenige als zu viele Bauingenieure auf dem Markt waren.

Wie bewerten Sie die Qualifikationen der Absolventen?
Schulz: Wir beobachten tendenziell einen leichten Rückgang von Grundlagenwissen. Dieses Grundlagenwissen ist jedoch die Voraussetzung einer guten Karriere in der Bauwirtschaft. Zwar kann die moderne Software viele Ergebnisse liefern, aber interpretieren muss diese der Bauingenieur selbst. Und das geht nicht ohne anwendungsbereites Wissen in Mathematik, Physik, technischer Mechanik, Statik, Baustofflehre oder Konstruktion. Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Branche lebt von der Fachkompetenz. Wer glaubt, alleine mit Skills wie sozialer Kompetenz, Kommunikation und Teamfähigkeit Karriere machen zu können, wird früher oder später Schwierigkeiten bekommen.

Rösler: Das A und O ist heute ein möglichst optimales Bauprozessmanagement. Große Bauprojekte, besonders im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen, sind heute deutlich komplexer als früher, das Zeitfenster ist dagegen wesentlich kleiner. Nehmen Sie den Ausbau der A9: Rund 35 Millionen Euro Leistung in 100 Tagen bei vollem Verkehr. Früher gab es Vollsperrungen, wenigstens halbseitige Sperrungen. Heute wird der Kunde Autofahrer geschont, sodass wir den Bau unter wesentlich schwierigeren Umständen durchführen müssen. Für Bauingenieure bedeutet das: Gebaut wird teilweise Tag und Nacht, 24 Stunden, sieben Tage die Woche – und besonders häufig in der Ferienzeit.

Welches an der Hochschule erlernte Wissen erweist sich im Berufsalltag als besonders wichtig?
Schulz: Der gesamte Kalkulationsund Planungsprozess hat sich in den vergangenen zehn Jahren komplett digitalisiert. Auch im Bauablauf gibt es heute eine Vielzahl an Methoden des Controllings, um den Bauprozess im Griff zu behalten. Absolventen, die an den Hochschulen hierzu erste Erfahrungen sammeln konnten, besitzen natürlich einen Vorteil. Der Einstieg in die Welt des realen Baualltags gelingt dadurch deutlich besser.

Welche Optionen bieten sich jungen Bauingenieuren, die sich für eine Fachkarriere in der Forschung und Entwicklung interessieren?
Rösler: Wir entwickeln neben Bautechnologien auch Baugeräte, zum Beispiel Betondeckenfertiger oder Asphaltdeckenfertiger, wobei wir die Prototypen für uns erarbeiten und diese Entwicklungen dann an die Maschinenbauindustrie weitergeben. Wir forschen aber auch an neuen Baustoffen oder arbeiten gemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen an Innovationen wie zum Beispiel Datenchips in der Asphaltdecke, die uns unzählige nützliche Informationen über den Zustand einer Straße geben können.

Sie sprachen gerade von der hohen Komplexität und dem Zeitdruck des Geschäfts. Wie wichtig ist es in Ihrer Branche, von Beginn an auf eine gute Balance aus Arbeit und Freizeit zu achten?
Schulz: Das ist in der Tat ein wichtiges Thema, gerade mit Blick auf Projekte, die rund um die Uhr und mit kleinem Zeitfenster laufen. Ich denke, jeder sollte ein ausgewogenes Verhältnis aus Beruf und Freizeit finden. Es wird Zeiten geben, in denen das aktuelle Projekt im absoluten Fokus steht. Demgegenüber müssen verlässliche Bedingungen zum Freizeitausgleich vorliegen. Eine ist der verlässlich planbare Urlaub mit Familie und Freunden. Wir bieten aber auch im Unternehmen Fitnessprogramme an, zu denen auch Coachings für Stressbewältigung gehören. Wobei ich persönlich sagen muss, dass die Betätigung als Bauingenieur durch ihre Vielfältigkeit Auflockerung erfährt. Man ist in der Regel viel unterwegs, erlebt die Dynamik eines Teams und regelmäßig freudige Ereignisse, wenn ein Projekt abgeschlossen ist.

Welche Bauprojekte haben Ihnen besonders viel Freude bereitet?
Rösler: Das Bauprojekt A2 von Frankfurt/Oder nach Posen kurz vor der Europameisterschaft in Polen. Das waren 100 Kilometer Autobahn in zwei Jahren – da konnten wir als Konzern mal zeigen, was in uns steckt. Wobei wir sogar vor der Frist fertig geworden sind.

Schulz: Meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen: Aber es waren diverse Teilprojekte zum Aus- und Neubau zahlreicher Roll- und Vorfeldflächen am neuen Flughafen Berlin-Brandenburg. Wir haben dort unsere Pojekte erfolgreich beendet – und zwar pünktlich und zur Zufriedenheit des Kunden. Es ist zwar schade, dass das Projekt heute äußerst negativ bewertet wird, aber es gehört für einen Bauingenieur eben auch dazu, die verzerrte oder stark verkürzte öffentliche Meinung zu ertragen – was natürlich dann einfacher ist, wenn der Kunde mit der Arbeit zufrieden ist, wie es bei uns der Fall war.

Zum Abschluss: Welche Themen werden Ihrer Meinung nach die Bauingenieure in Zukunft beschäftigen?
Schulz: Mit Blick auf den weiteren Ausbau unserer Seehäfen wird es um die Erschließung des Hinterlandes gehen. Gewaltige Containerfrachten müssen abgewickelt werden, und dafür muss natürlich die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen. Mit Blick auf Nordrhein-Westfalen, unserem bevölkerungsreichsten Bundesland, muss der Ausbau des Infrastrukturnetzes deutlich vorangetrieben werden – wobei wir hier von einem Jahrzehnteprojekt reden. Ein wesentliches Thema ist dabei die dynamische Verkehrsführung, also die Frage, wie der Verkehr zu unterschiedlichen Tageszeiten optimal über die Hauptschlagadern unseres Verkehrsnetzes gesteuert wird.

Rösler: Dabei geht es nicht nur darum, dass der Verkehr läuft, sondern auch, dass die Umwelt- und Lärmschutzbedingungen eingehalten werden. Die Schweiz ist da viel weiter und verlegt den Verkehr mehr und mehr auf unterirdische Straßen. In Deutschland ist in dieser Hinsicht noch sehr viel zu tun. Wir müssen die Verkehrsinfrastruktur so ausbauen, dass die Menschen künftig möglichst wenig von dem Verkehr mitbekommen.

Zum Unternehmen

Die Strabag AG, mit Hauptsitz in Köln, blickt als Marktführer im deutschen Verkehrswegebau auf eine fast 90-jährige Tradition zurück – das Unternehmen wurde 1923 gegründet. Im Konzernverbund der österreichischen Strabag SE, die heute zu den größten europäischen Baukonzernen zählt, bearbeitet die Strabag AG mit rund 12.000 Mitarbeitern und zahlreichen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften vorwiegend die Fläche Deutschland. Das Leistungsspektrum des Unternehmens erstreckt sich vom Asphalt- und Betonstraßenbau, Gleisbau, Kanal- und Rohrleitungsbau sowie Sportstättenbau über Umwelttechnik bis hin zu Sonderbauweisen und Dienstleistungen im Bauwesen. Das Unternehmen verfügt zudem über ein flächendeckendes Netz von Asphaltmischanlagen, Steinbrüchen, Schotterwerken sowie Sand- und Kiesgruben.

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