Mit der offenen Building Information Modeling-Methode werden Bauprojekte transparent: Alle Beteiligten haben Zugriff auf die Daten der Projekte und können selber Informationen hinzufügen. Benötigt werden dafür Projektmanager, die die Prozesse einleiten, betreuen und kontrollieren. So entsteht ein neues Jobprofil für breit ausgebildete Bauingenieure mit einem Talent für fachübergreifende Kommunikation und Spaß an IT-Prozessen. Von André Boße
Auf einer Baustelle gibt es nichts, was es nicht gibt. Aber dieser große und moderne Bildschirm, vor dem sich Architekt, Bauleiter, Polier, Bauherr und Planer versammeln, der ist dann doch ungewöhnlich. Auf dem Monitor zu sehen ist das Gebäude, wie es einmal werden soll. Aber dahinter steckt noch viel mehr. Die Visualisierung kennt alle relevanten Daten der Baustelle. Und sie zeigt sie nicht nur in 3-D: Hier, beim Building Information Modeling, geht es bis in die fünfte Dimension.
BIM wird diese neue Methode abgekürzt. Der deutsche Begriff für die Arbeitsweise lautet Gebäudedatenmodellierung. In dieser Bezeichnung steckt bereits drin, dass es um mehr als die reine Visualisierung eines Gebäudes geht. Hinter den Bildern stecken Daten. Informationen, die weit über die Abmessungen und die Optik eines Gebäudes hinausgehen. „BIM beschreibt die Methode einer optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mithilfe von Softwareanwendungen“, definiert Dr. Matthias Jacob, technischer Geschäftsführer Bau bei Wolff & Müller die Methode. Das Stuttgarter Bauunternehmen ist im Hoch- und Tiefbau aktiv und gehört mit Blick auf den Einsatz von BIM zu den führenden Firmen in Deutschland. So gehört auf den Großbaustellen des Unternehmens der Einsatz der modernen Bildschirme bereits zur Normalität. „So überprüfen wir zum Beispiel die Aufmaße der Nachunternehmer, erstellen Tür- und Fensterlisten sowie unsere interne Leistungsmeldung“, sagt Jacob.
Die fünf Dimensionen
Doch wie kommt man denn nun beim BIM auf die fünf Dimensionen? „Alle relevanten Gebäudedaten werden in einem Modell eingebunden und miteinander vernetzt – und zwar sowohl die dreidimensionale Visualisierung als auch die Dimensionen Kosten und Zeit“, erläutert Matthias Jacob. Die Bauherren erhalten damit nicht nur früh in der Projektphase eine realistische Vorstellung des späteren Gebäudes, sondern die Planung wird so auch flexibler und verbindlicher. Jacob erklärt: „Das Planungsteam kann verschiedene Ausführungsvarianten virtuell durchspielen und dem Bauherrn zeigen, wie sich dadurch die Kosten verändern.“ Im Unterschied zur konventionellen Planung bezieht sich BIM zudem auf den gesamten Lebenszyklus der Immobilie. „Das macht es uns zum Beispiel möglich, die Kosten der späteren Energieversorgung oder eines Rückbaus zu prognostizieren“, so der technische Geschäftsführer. Die Vorteile der Methode liegen auf der Hand: Wenn es gut läuft, wissen alle Beteiligten mehr. Werden die Daten zudem klug analysiert und ausgewertet, können Fehler früh erkannt und Schwachstellen verbessert werden. Die Folge: Der Bau wird transparenter.
BIM: International schon Standard
Während die Experten feststellen, dass in Deutschland die Unternehmen noch Nachholbedarf haben, sind einige Nationen schon einen Schritt weiter. Der Bau- und IT-Dienstleister Bytes & Building hat den Stand der Dinge zusammengetragen: In den USA ist der Einsatz von BIM verpflichtend für die Neubauten der unabhängigen Bundesbehörde GSA und Teile der US-Army. In Norwegen, Finnland und Dänemark ist die Methode verpflichtend für alle öffentlichen Projekte, in Großbritannien ab 2016 für alle öffentlichen Bauvorhaben mit einem Budget von mehr als fünf Millionen Pfund. Das EU-Parlament empfiehlt BIM als Planungsmethode ab 2016 für die Europäische Union.
Klingt alles gut. Doch in der Praxis ergeben sich aus dem Konzept eine Menge Herausforderungen – zumal wenn BIM als offenes Modell konzipiert wird, auf das alle Beteiligten zugreifen können. Viele Experten befürworten diese Ausrichtung: „Jeder sollte in der Lage sein, das Modell und die für ihn besten Werkzeuge zu nutzen. Nur so können Projektbeteiligte problemlos Informationen austauschen und die Modelle anderer Gewerke in ihre eigene Planung einbeziehen“, fordert Michael Evans, Director Key Accounts & Education bei Tekla Corporation. Tekla ist ein Softwareunternehmen, das Lösungen für die Bauindustrie entwickelt. Jedoch verlangt diese Offenheit des Datenmodells nach einem neuen Teamgedanken am Bau. „Das Bauen hat sich über Jahrhunderte in viele verschiedene Fachdisziplinen aufgeteilt“, sagt der Bauingenieur und Informatiker Matthias Weise von AEC3, einem Beratungsunternehmen für Prozessoptimierung in der Bauindustrie. Diese Arbeitsteilung und Spezialisierung werde in Zukunft noch weiter zunehmen, wobei die neue Technik Integrationsarbeit leisten soll. „Jeder dieser Fachbereiche hat spezielle Sichten auf das Bauwerk entwickelt, die mit BIM nun wieder zusammengeführt werden“, so Weise. Dabei gehe es nicht darum, die verschiedenen Fachmodelle durch ein Einheitsmodell zu ersetzen. „BIM ist vielmehr die Basis für die gemeinsame Kommunikation, die von allen Beteiligten gewisse Kompromisse verlangt.“
Kommunikation und Datenpflege
Wo Kompromisse nötig sind, muss es Vereinbarungen geben. Und weil diese während der gesamten Projektphase erarbeitet, angepasst und überwacht werden, ergibt sich ein neues Jobprofil. Dieses ist wie geschaffen für Bauingenieure mit Freude an IT-Themen und einem Talent für das Projektmanagement. „Es wird am Bau neue Rollen geben, wie beispielsweise den BIM-Manager, der die Konsistenz und Vollständigkeit der Daten überwacht“, glaubt Matthias Weise. Wer als Bauingenieur hier eine führende Rolle spielen möchte, müsse fachübergreifend zu denken verstehen. „Fachplaner müssen in der Lage sein, die Planung auf Basis des BIM mit anderen Fachbereichen abzustimmen.“
Mit Vorteilen Zweifler überzeugen
Als Key-Account-Manager trifft Michael Evans sehr häufig auf Verantwortliche in den Bauunternehmen. Seine Aufgabe ist es dann, die Baumanager von den Vorteilen der BIM-Methode zu überzeugen – was nicht immer ganz einfach ist. „Wie bei jeder technischen Entwicklung wird es auch beim BIM immer wieder Zweifler geben, keine Frage“, sagt er. „Es gibt aber viele Aspekte, die schnell und eindeutig die Vorteile der Arbeit mit BIM herausstellen: beispielsweise die Reduzierung von Verzögerungen und Kosten durch fehlerhafte Bauteile, die geliefert wurden, weil im Vorfeld unzureichend kommuniziert und informiert worden ist.“ Das stärkste Argument für die neuen Methoden sei jedoch die Entwicklung der Bauindustrie selbst: „Bauwerke müssen mit immer höherer Präzision immer schneller fertiggestellt werden. Sie enthalten immer mehr Gebäudetechnik und müssen dabei eine Vielzahl von Auflagen erfüllen. Die Komplexität wächst – und ohne moderne Methoden wie BIM lassen sich heutige Projekte kaum noch realisieren.“
Mit Blick auf BIM sind in der Branche besonders junge Bauingenieure gefragt. Als Generation der „Digital Natives“ haben sie weniger Vorbehalte gegenüber Softwarelösungen: Wenn es darum geht, aus der BIM-Methode mobile Apps abzuleiten, weiß die junge Generation sehr genau, worauf es ankommt, damit diese Lösungen für Tablets oder Smartphones tatsächlich Sinn ergeben. Doch sollten Einsteiger nicht davon ausgehen, dass das Fachwissen im BIM-Zeitalter keine Rolle mehr spielt. „Ich möchte eindeutig betonen, dass die BIM-Arbeitsweise nicht das klassische Bauingenieur-Fachwissen ersetzt“, stellt Matthias Jacob von Wolff & Müller klar. „Dieses Knowhow ist weiterhin absolute Grundvoraussetzung, gerade bei der Nutzung von anspruchsvollen BIM-Werkzeugen.“ Schließlich könne die eingesetzte Software nur dann Daten verwerten und aufbereiten, wenn von Beginn an bautechnisches Ingenieurwissen in die Metadaten eingeflossen ist.
BIM ist erst der Anfang
Auch müssen sich Bauingenieure klarmachen, dass die neue Methode kein statisches Konzept ist. Mit BIM dockt die Bauindustrie an die IT-Branche an und wird damit auch den schnellen Rhythmus der Veränderungen auf diesem Gebiet kennenlernen. Und es werden sich zudem schon bald weitere neue Möglichkeiten ergeben. „Mit Blick auf die Nutzung vor Ort gewinnt schon heute der Einsatz von BIM über Cloud- Technologien und mobile Endgeräte an Bedeutung“, so Jacob. Speziell die RFID-Technologie – also elektromagnetische Sender-Empfänger-Systeme zum Identifizieren und Lokalisieren von Objekten – biete ein großes Potenzial. „RFID wird einen großen Beitrag dazu leisten, Betrieb und Wartung von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu optimieren“, prognostiziert Matthias Jacob. Denkt man an dieser Stelle noch ein bisschen weiter, ist es in Zukunft vorstellbar, auch auf dem Bau die Vorteile des „Internets der Dinge“ zu nutzen. Das leitet in den Fabriken derzeit auch das Zeitalter der Industrie 4.0 ein. Denn eines ist klar: Mit BIM beginnt die endgültige Digitalisierung der Bauprojekte. Doch diese Methode ist nur ein erneuter Anfang.
BIM-Referenzprojekt in Braunschweig
Der Neubau des „Bürogebäudes Haus H“ von Volkswagen Financial Services in Braunschweig wird zu einem Vorzeigeneubau für die BIM-Methode. Auf der Baustelle sollen künftig modellhaft die Vorteile und Arbeitsweisen des Konzepts gezeigt werden. „Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu dienen, BIM insbesondere in der mittelständisch geprägten deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft zum Erfolg zu verhelfen“, heißt es vonseiten des Förderprojekts BIMiD. Unterstützt wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Informationen über den Stand des Projekts gibt es auf der Website:
www.bimid.de