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Bau braucht das Hybrid-Office

Auf der Baustelle passiert’s, das ist so und das wird auch so bleiben. Klar ist aber auch, dass die Branche digitaler wird. Nur so lassen sich steigende Kosten und wachsende Ansprüche in den Griff bekommen. Der Bau muss daher attraktiv für digitale Talente sein. Was heißt, dass New Work ein Thema wird und die Akteure der Bauindustrie ein digitales Mindset entwickeln müssen. Nur dann gelingt der Quantensprung, den die Branche braucht. Ein Essay von André Boße

In einem Gastbeitrag in der Ausgabe 3/2023 des Verbandsmagazins „vm“ des VdW Rheinland Westfalen, dem Interessenverband der Wohnungswirtwirtschaft im Westen, weist Dr. Volker Wiegel, COO des Wohnungsunternehmens LEG Immobilien, auf eine interessante Beobachtung hin. Er habe sich, schreibt er, von Besuchern Bilder von der Autoproduktion aus der Vergangenheit, konkret den 30er-Jahren, sowie aus der Gegenwart zeigen lassen. Die Bilder zeigten zwei Welten, aus einem Manufakturbetreib habe sich eine Roboterstraße entwickelt. Dann zeigten ihm Besucher Bilder von Baustellen aus den jeweiligen Jahren. „Hier mussten wir den technologischen Fortschritt eher suchen, als dass er uns ansprang.“

Digitalisierter Bau? Funktioniert auch in der Praxis

Volker Wiegel stellte sich daraufhin die Frage: „Warum sollte es nicht möglich sein, Baustellen ähnlich radikal umzuorganisieren?“ Weg von der Manufaktur, wo jede Sanierung und jedes Gewerk individuell geplant werde, hin zu einem „digitalen Baukasten, wo das Gebäude zur Lösung passen muss, wo die Individualität sich in der Kombination von verschiedenen vordefinierten Lösungsmöglichkeiten erschöpft – dafür aber blitzschnell gewerkeübergreifend ganzheitlich geplant wird, möglichst wenig Handarbeit notwendig ist, die Baustelle ruckzuck fertig, das Gebäude vollständig dekarbonisiert ist.“

Um das hinzubekommen, sei ein „Quantensprung“ nötig. Was wiederum schwieriger klinge, als es zu verwirklichen ist, wie Wiegel schreibt. Im Bereich der Sanierung, dem Kerngeschäft von LEG Immobilien und dem auf Innovationen spezialisierten Tochterunternehmen Renowate, habe man bereits Erfahrungen gesammelt. Erste Erkenntnis: „Abläufe sind tatsächlich massiv verbesserbar – beim ersten Projekt hat es noch Wochen gedauert, bis aus der digital vermessenen Punktwolke die Planung für die Module und Technik stand, inzwischen sind es dank algorithmusbasiertem Vorgehen wenige Tage.“ Zweite Erkenntnis: „Gewerke so zu kombinieren, dass möglichst viele Bauteile aus einem Guss installiert werden können, ist Tüftelei und Teil ständiger Fortentwicklung.“ Was die ersten Projekte gezeigt hätten: „Eine Bausanierung, die dem Stand der Digitalisierung im Jahr 2023 gerecht wird, „ist nicht nur Theorie, sondern funktioniert auch in der Praxis.“

Digitalisierung macht Bau attraktiver

Für die Bauindustrie kommt es darauf an, schnell und dynamisch in die Umsetzung zu kommen. Die im Mai 2023 veröffentlichte Studie „Digitalisierung der Baubranche“, erstellt von der RPTU Kaiserslautern, Innovations-Think- Tanks sowie den Fraunhofer Instituten für Experimentelles Software Engineering und Techno- und Wirtschaftsmathematik, basiert auf Interviews mit Verantwortlichen aus dem deutschen Bauwesen. Gefragt wurde unter anderem nach den positiven Effekten, die sich die Branche von digitalen Prozessen verspricht.

BIM-Portal der Bundesregierung

Das Ende 2022 gestartete BIM-Portal des Bundes bietet allen am Bau Beteiligten eine Plattform, die einen einheitlichen Datenaustausch ermöglicht – zentral verfügbar und kostenlos. Das Portal stellt Informationen, Anwendungen und einheitliche Daten bereit. Dazu zählen unter anderem interaktive und webbasierte Werkzeuge, Datenbibliotheken sowie herstellerneutrale Bauteile-Informationen, die Auftraggeber, Auftragnehmer und Bauprodukthersteller bei der Erstellung von Projekt- und Produktdaten unterstützen sollen. „Von dem Portal erhoffe ich mir einen Anstoß für einen echten Kulturwandel beim Bauen und die konsequente Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Bis 2025 wird es bei öffentlichen Bauvorhaben bundesweit heißen: Digital ist besser“, wird Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing auf der Homepage der Bundesregierung zitiert.

www.bimdeutschland.de

Laut Studie seien die primären Hoffnungen, durch optimierte Prozesse effizienter zu bauen und direkter mit allen Beteiligten zu kommunizieren. Diese beiden Aspekte berühren das Feld der Produktivität: Die Digitalisierung soll Abläufe verbessern, dadurch die Effizienz steigern und somit auch Kosten reduzieren. Hier sind digitale Methoden also ein Tool, um trotz steigender Kosten und wachsender Ansprüche günstig zu bauen. Interessant ist ein dritter häufig genannter Punkt: Die Teilnehmenden versprechen sich von der Digitalisierung der Branche „eine Steigerung der Attraktivität des Berufsbilds sowie der Branche selbst“.

Den Verantwortlichen aus dem Bauwesen ist also bewusst, dass der Fachkräftemangel in erster Linie dadurch bekämpft werden kann, dass Prozesse digitalisiert werden. Anders gesagt: Eine Branche, die bei dieser technischen Transformation nicht ins Tempo kommt, verliert mehr als nur ihre Produktivität – sie verliert auch den Bezug zur jungen Generation, die digitale Prozesse längst als Selbstverständlichkeit begreift.

Zum Problem wird der Fachkräftemangel schon deshalb, weil er das Vorhaben, durch mehr Dynamik bei der Digitalisierung an Attraktivität zu gewinnen, bremst: So „hake“ die Digitalisierung zumeist nicht wegen technischer Probleme, sondern, weil Leute fehlten oder die Belegschaft nicht die notwenige Akzeptanz zeige. Hinzu kommen finanzielle Belastungen, die dann entstehen, wenn Mitarbeitende für Weiterbildungen freigestellt werden müssten. Entsprechend nennen die für die Studie befragten Bauunternehmen in erster Linie einen Lösungsansatz, der nichts mit Technik oder Regulierungen zu tun hat, sondern mit Menschen: Eine große Bedeutung erhielten laut der Studie Vorbilder in den Unternehmen, die wie Pioniere denken – und damit dazu beitragen, dass diese Unternehmen zu Vorreitern in der Branche werden.

Gesucht sind Pioniere

Gesucht sind also Pioniere und Leuchttürme – und zwar innerhalb des Bauwesens, aber auch in den Unternehmen selbst. Für die junge Generation, die sich jetzt für einen Einstieg interessiert, bedeutet das: Wer digitale Kompetenzen mitbringt und die Ambition besitzt, diese mit viel Dynamik ins Unternehmen einzubringen, der wird sich dort sehr schnell ein ausgezeichnetes Standing erarbeiten können. Wobei es dabei auch darauf ankommt, die Mitarbeitenden, die digitalen Prozessen kritisch gegenüberstehen, von der Transformation zu überzeugen.

61 Prozent der Befragten gaben an bislang weder ein BIM-Projekt durchgeführt zu haben, noch befinde sich ein solches in der Planung. Das Ergebnis ist deutlich: BIM ist noch weit davon entfernt, eine Standardmethode zu sein.

Die besondere Herausforderung bei der digitalen Transformation ist die Vielzahl der Akteure, die an großen Projekten beteiligt sind. Diese spielen verschiedene Rollen, einige von ihnen sind nur in bestimmten Stadien des Vorhabens involviert, andere – und zu dieser Gruppe zählen in der Regel auch die Bauingenieur*innen – stehen vor der Aufgabe, den gesamten Prozess zu überblicken und zu steuern. Hinzu kommt, dass der Grad der Digitalisierung, aber auch die Ambition, den Wandel anzunehmen, von Akteur zu Akteur sehr verschieden sein können. Was nicht dazu führen darf, dass der am wenigsten digitalisierte Beteiligte alle anderen auf sein Niveau runterzieht. Die gute Nachricht: Mit dem Building Information Modell (BIM) gibt es eine Methode, diese digitale Diversität zu managen.

Studie: 61 Prozent der Verantwortlichen am Bau noch ohne BIM-Erfahrung

Gesprochen wird über BIM bereits einige Jahre. Es gibt die Software, es gibt die nötigen Standardisierungen. Und auch der Gesetzgeber forciert die Nutzung der Methode. Da stellt sich die Frage: Wie wird BIM eigentlich in der Praxis angenommen? Das auf das Bauwesen spezialisierte Softwareunternehmen Orca führt seit einigen Jahren Studien durch, um die Akzeptanz von BIM auf dem Bau zu analysieren. Die Studie fragte in erster Linie Bauingenieur*innen und Fachplaner*innen sowie Architekt*innen nach ihren Erfahrungen; Anfang 2023 veröffentlichte das Unternehmen die neuesten Ergebnisse. Eines davon: 61 Prozent der Befragten gaben an bislang weder ein BIM-Projekt durchgeführt zu haben, noch befinde sich ein solches in der Planung. Das Ergebnis ist deutlich: BIM ist noch weit davon entfernt, eine Standardmethode zu sein.

Der Markt für BIM-Spezialisten

Die BIM-Studie des digitalen Baudienstleisters Bimondis aus dem Jahr 2022 geht der Frage nach, aus welchen Gründen Fachkräfte einen Wechsel des Arbeitgebers anstreben. Mit deutlichem Abstand am häufigsten genannt wird dabei eine fehlende BIM-Strategie (60 Prozent). Auch der am zweithäufigsten genannte Grund hat etwas mit BIM zu tun: 33 Prozent nennen fehlende BIM-Experten im Team als Grund eines Wechsels. Der Grund „bessere Bezahlung“ folgt auf Rang drei mit 32 Prozent. Auf Platz vier folgt der „Wunsch nach Sinnhaftigkeit“ der Tätigkeit mit 25 Prozent. Dass kaum oder keine Remote-Arbeit möglich ist, nennen 18 Prozent als Grund, den Job zu wechseln. Eine zu hohe Arbeitsbelastung lediglich 16 Prozent.

Haben Projektverantwortliche jedoch schon einmal mit der Methode gearbeitet, sind die Reaktionen darauf laut Studie überwiegend positiv: 48 Prozent der Befragten bewerten die Erfahrungen bei einem BIM-Projekt als positiv, zusätzliche zwölf Prozent sogar als sehr positiv. Während 35 Prozent der Teilnehmenden das Urteil „neutral“ abgeben, ist die Bewertung nur bei drei Prozent negativ, lediglich bei einem Prozent sehr negativ. Auch hier zeigt die Studie eine deutliche Erkenntnis: Wenn ein Projekt mit BIM arbeitet, sind die Beteiligten damit größtenteils zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Was also bremst die Methode?

Mangel an BIM-Kräften bremst die Transformation

Ein Aspekt ist auch hier der Mangel an qualifizierten Köpfen. Die Studie „Der Markt für BIM-Spezialisten in Deutschland 2022: Hohe Nachfrage und neue Arbeitsmodelle“ des digitalen Baudienstleisters Bimondis von Ende 2022 zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt 4400 BIM-Stellen ausgeschrieben waren. Eine Analyse dieser Ausschreibungen offenbarte, dass es dabei eine klare Präferenz für Vollzeitstellen gab, „alternative Arbeitsmodelle wie Remote Only oder Hybrid haben sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt“, heißt es in der Zusammenfassung der Ergebnisse. Der Anteil der BIM-Stel

len, die Remote-Only zu besetzen waren, lag bei unter einem Prozent. Dabei ergibt sich zwischen den Wünschen der BIM-Expert*innen und dem, was die Arbeitgeber zu bieten haben, ein Widerspruch: Laut Studie haben „angestellte BIM-Experten großes Interesse freiberuflich zu arbeiten und finden eine Kombination aus Teilzeit-Festanstellung und freiberuflichen Aktivitäten interessant.“ Kurz: New Work und freies, projektbezogenes Arbeiten sind ein großes Thema. Jedoch stehe die Zusammenarbeit mit Freelancern in der Baubranche noch ganz am Anfang. Die befragten BIM-Profis gaben an, häufig neue Job-Angebote zu erhalten – kein Wunder, wenn der Bedarf hoch ist. Jedoch unterscheide sich das, was die Unternehmen mit Fokus auf den Inhalt der Arbeit oder die Aufstiegschancen zu bieten haben, kaum – und wenn, dann in erster Linie beim Gehalt.

Gehalt? Weniger wichtig als Inhalte und digitale Durchdringung

Doch in diesem jungen und dynamischen Berufsfeld des BIM-Managements ist Geld nicht alles, im Gegenteil, die Bimondis-Studie kommt zu dem Ergebnis: Attraktiv seien in erster Linie Unternehmen, die eine erfolgreiche und konsequente Umsetzung einer BIM-Strategie vorzuweisen haben. „Für BIM-Experten sind Inhalte und Aufgabe ein wesentlich wichtigeres Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers als das Gehalt.“ Die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens schätzen die BIM-Expert*innen überwiegend als „schlecht“ ein.

Nachhaltigkeit: es geht voran

So schleppend der Fortschritt bei der Digitalisierung voran geht, so erkennbar seien die Fortschritte beim Thema Nachhaltiges Bauen, heißt es in der PwC-Studie von Ende 2022 „Die Bauindustrie in anspruchsvollen Zeiten: Geopolitik, Digitalisierung und Nachhaltigkeit“. 83 Prozent der befragten Verantwortlichen in den Bauunternehmen hielten das Thema Nachhaltigkeit in der Bauindustrie für wichtig – „ein Plus von 15 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr“, heißt es in der Studie. Gut die Hälfte der Unternehmen habe mittlerweile Nachhaltigkeitsstrategien verabschiedet. Auch bei diesem Thema stellten fehlendes fachliches Know-how und zu geringe Umsetzungskompetenz die größten Hürden dar, wenn es darum geht, Nachhaltigkeitsstrategien erfolgreich zu etablieren.

Treffen in der Baubranche beim zentralen Thema Digitalisierung also zwei Welten aufeinander, die kaum vereinbar sind? Die Bimondis-Studie zeigt, dass Wandel möglich ist. So habe die große Mehrheit der befragten BIM-Expert*innen beschrieben, dass ihr Arbeitgeber sich für hybride Arbeitsmodelle offen zeige. „Auch die Unternehmen, die bislang ein klassisches Modell mit Präsenzpflicht vor Ort verfolgen, haben mittlerweile verstanden, dass sie sich damit als Arbeitgeber immer mehr disqualifizieren.“ Bei den Unternehmen, die ihre eigene digitale Transformation seit vielen Jahren konsequent vorantreiben und konsequent auf die BIM-Methode setzen würden, liege der Home-Office Anteil laut Studie bei 20 bis 40 Prozent.

Hybrider Bau: Jede Baustelle braucht einen digitalen Projektraum

Klar, bei einem Bauprojekt spielt die Präsenz eine andere Rolle als bei Projekten anderer Branchen. Die Baustelle ist und bleibt der zentrale Ort. Hier passiert der Bau. Hier realisieren sich die Planungen – und zwar mit Steinen, Beton und Stahl oder mit Lehm, Holz, Naturfasern. Richtig ist aber auch, dass es neben der Baustelle heute eben auch digitale Plattformen gibt, mit BIM als zentraler Methode. Auch hier passiert der Bau, indem Planungen entwickelt, Gewerke koordiniert, Abläufe kontrolliert, Prozesse gemanagt werden. Um den notwendigen Schritt in die digitale Zukunft zu machen, benötigt die Baubranche dringend digitale Expert*innen. Und weil die junge Generation Arbeit anders definiert – nämlich freier und flexibler –, brauchen die Bauunternehmen einen Zugang zu New Work. Schließlich kennt der hybride Bau zwei Orte, die Baustelle selbst, dazu den digitalen Projektraum.

Es mag so sein, dass Baustellen auch in zehn Jahren mehr oder weniger denjenigen ähneln, die es vor 50 oder 100 Jahren gab. Ein Gerüst bleibt ein Gerüst – es lässt sich nicht digitalisieren. Entscheidend für die Zukunft des Bauwesens ist jedoch ein Meta-Office, in dem mit Hilfe digitaler Tools auf Basis von BIM die Fäden zusammenlaufen. Damit dieses Meta-Office optimal besetzt wird, benötigt die Branche die Generation der Digitale Natives – und ist gut beraten, besser heute als morgen für diese Talente attraktive Arbeitsfelder zu gestalten.

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