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Interview mit Dr. Gerhard Knies

Der Hamburger Physiker Dr. Gerhard Knies ist der Erfinder des Wüstenstromprojekts Desertec. Im Interview erklärt er sein Erfolgsrezept, appelliert an die Wirtschaft und fordert von den Universitäten Antworten zur Überlebensfähigkeit einer expandierenden Menschheit. Von Martin Häusler

Dr. Gerhard Knies, Foto: DESERTEC Foundation
Dr. Gerhard Knies, Foto: DESERTEC Foundation

Herr Dr. Knies, Sie haben mit Desertec das größte Green-Tech-Projekt der Welt angestoßen. Warum hat es gerade Ihre Idee, die in den Wüsten verfügbare Sonnenenergie nutzbar zu machen, in die Realisierungsphase geschafft?
Der Durchbruch für Desertec hing damit zusammen, dass es ein umfassender und mit großer Tiefe durchdachter Ansatz war. Er enthielt keine unerwünschten Nebenwirkungen. Niemand konnte ihn mit einem leichten Blattschuss erlegen. Hinzu kam, dass Desertec nicht nur die globale Energiefrage lösen würde, sondern auch eine Reihe vieler anderer Probleme im Zusammenhang mit der Zehn-Milliarden- Menschen-Frage.

Was meinen Sie damit?
Auf der Erde werden im Jahre 2050 voraussichtlich zehn Milliarden Menschen leben. Wirtschaften wir wie heute, muss die Versorgung der Menschheit kollabieren. Meine Frage war also: Wie ist es zu schaffen, zehn Milliarden dauerhaft auf diesem Globus zu versorgen? Zehn Milliarden brauchen mehr Energie, sie brauchen mehr Wasser, sie brauchen mehr Nahrung, sie brauchen mehr Bildung, sie brauchen mehr Arbeit, und sie brauchen insgesamt ein stabiles Klima. Zu allem trägt die Desertec-Idee konstruktiv bei. Es ist ein globales Konzept und nicht nur auf eine Region anwendbar. Desertec ist eine globale Lösungsoption. Das können nicht viele Konzepte von sich behaupten.

Braucht ernst gemeintes Green-Tech ein Mindestmaß an Altruismus?
Ich habe mehrmals erlebt, wie sich manche Leute sehr wunderten, wenn ich ihnen sagte, dass ich kein Geld für meine Arbeit für Desertec erwarte. Das erhöhte meine Glaubwürdigkeit. Denn ich tat das offensichtlich aus Überzeugung. So ist einiges leichter gefallen.

Nun wollen und müssen Berufseinsteiger erst einmal Geld verdienen.
Natürlich sollte man über seiner Vision nicht verhungern. Aber wenn jemand selbstloser denkt und glaubhafter für eine Sache eintritt, hat er möglicherweise in einer Firma, die es ebenso ernst meint, bessere Chancen als jemand, in dessen Augen man die Euro- Zeichen blinken sieht. Wenn sich eine der ersten Fragen des Bewerbungsgesprächs um die Bezahlung dreht, wirkt der Rest leicht aufgesetzt.

Green-Tech macht also nur Sinn, wenn es auch von einem ganzheitlichen Bewusstsein getragen ist?
Genau. Wenn einer zum Beispiel vorhat, Solarenergie für die Kohleverflüssigung einzusetzen, um flüssige Brennstoffe aus Kohle herzustellen, dann kann er zwar sagen, dass man in der Produktion weniger Kohlendioxid emittiert. Man erschließt aber der Kohle damit ein völlig neues Anwendungsfeld, was deren Einsatz ausweitet. So etwas muss man durchschauen, damit man am Ende nicht das Gegenteil erreicht. Oder der Bio-Sprit: Erst fanden ihn alle toll. Bis irgendwann auffiel, dass diese Art Benzin in Konkurrenz tritt mit der Nahrungsmittelversorgung. Da hätte man eigentlich eher drauf kommen können und die Idee sofort verwerfen müssen.

Es sei denn, es ging um die Erschließung eines neuen Wirtschaftszweiges.
Wenn man Green-Tech als eine von vielen konkurrierenden Techniken sieht, die man gegeneinander austauschen kann, dann macht das alles keinen Sinn. Kennen Sie das Nachhaltigkeits-Dreieck?

Praktika bei Desertec

Momentan sucht Desertec Praktikanten für das Hamburger Büro. Die Praktika sollten mindestens drei Monate dauern. Voraussetzungen sind Begeisterung für erneuerbare Energien, sehr gute Deutsch- und Englischkenntnisse, die Fähigkeit, wissenschaftliche Texte zu verstehen und zu vermitteln, und Erfahrung in der Nutzung von Social Media.
Weitere Infos unter www.desertec.org/mitarbeiten

Sollte ich?
Nein, nicht unbedingt. Denn es ist ein großer Unsinn. Ein Zyniker könnte das erfunden haben, und seitdem wird es gepflegt. Besonders bei Leuten aus der Industrie ist diese Darstellung ungeheuer beliebt. Das Dreieck zeigt im Idealzustand die Ökonomie, die Ökologie und das Soziale gleichwertig nebeneinander. Nach dem Motto: Wir dürfen die Natur nur soweit schützen, dass sie uns bei unseren Wirtschaftsprozessen nicht stört. Eine Perversion. Denn die Ökosphäre ist die Basis für die Soziosphäre, und zu der gehört als ein Teil die Ökonomie. Die Wirtschaft muss immer unter dem Primat der Ökologie stehen, wenn wir nicht den Ast absägen wollen, auf dem wir sitzen. Wir brauchen Green-Tech und nicht Greenwashing.

Würden Sie Green-Tech als nachhaltigsten Arbeitsplatzbeschaffer bezeichnen?
Natürlich. Aber muss es nur Green-Tech sein? Erforderlich ist auch Kommunikation grüner Konzepte, also Green-Com. Denn für den Erfolg von Green-Tech sind auch soziale Strukturen wichtig und nicht nur technische Dinge. Die teilweise komplizierten Zusammenhänge müssen übersetzt und erklärt oder erst einmal auf die Agenda gesetzt werden. Im Bereich der Meinungsbildung muss sehr viel geschehen.

Wie weit sind die Universitäten? Sind die ausreichend weit im neuen Denken?
Das Hauptproblem der Universitäten ist, dass sie zu wenige multidisziplinäre Fragen angehen. Die größte habe ich bereits genannt: Wie können zehn Milliarden Menschen dauerhaft auf der Erde leben? Um diese Frage zu beantworten, benötigt man Experten aus vielen Bereichen.

Es bräuchte also einen interdisziplinären Studiengang, der unter dieser Zehn-Milliarden-Frage steht?
Vor allem einen multidisziplinären Forschungsschwerpunkt, der die entsprechenden Disziplinen verknüpft. Für Leute, die heute mit 25 Jahren in den Beruf einsteigen, wird sich dieses Szenario noch während ihrer Karrierezeit realisieren. Da muss die Forschung dringend tragfähige Antworten geben.

Wie könnte so ein Forschungsschwerpunkt heißen?
Humankind Security. Denn es geht um die Sicherheit der Menschheit. Für Berufseinsteiger, die eine Karriere in der Hochschule oder in der Wirtschaftsberatung anstreben, könnte das ein gutes Thema werden. Da liegt ein großes Defizit. Denn die Menschheit braucht dringend ein kybernetisches System, eine Steuerung, die das Gesamtsystem im Auge hat – und nicht mehr nur einzelne Wirtschaftszweige.

Über Desertec

Die Desertec-Foundation entstand aus dem 2003 auf Initiative des Club of Rome gegründeten TREC-Netzwerk (Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation). Sie bietet ein Konzept zur Erzeugung von Strom durch Sonnenwärmekraftwerke in der Wüste. Gemeinsam mit der von ihr mitgegründeten Industrieinitiative Dii GmbH arbeitet sie an der Schaffung von Rahmenbedingungen für den Ausbau und die Vernetzung von erneuerbaren Energien im Mittelmeerraum.

Derzeit werden in Nordafrika bereits Sonnenwärmekraftwerke für den Eigenverbrauch gebaut, ab 2014 sollen auch die ersten Kraftwerke für den Export in Bau gehen. Etwa zwei bis drei Jahre später fließt dann der erste Wüstenstrom über verlustarme Leitungen nach Süd-Europa und ist dann auch in Deutschland zu kaufen. 2008 verliehen Jury und Publikum den Utopia-Award in der Kategorie Idee an das Desertec-Konzept, prominente Unterstützer sind zum Beispiel Al Gore und Angela Merkel.

www.desertec.org

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