StartIngenieureGesucht: Glücks-Erzwinger

Gesucht: Glücks-Erzwinger

Der deutsche Maschinenbau steckt in der Krise – und sucht händeringend Ingenieurnachwuchs. Nun kommt es auf die junge Generation an. Mit Lust auf Leistung und mutigem Handeln muss es gelingen, die Stimmung zu drehen. Ein Ereignis aus dem Bereich der KI zeigt, dass Überraschungen möglich sind. Wenn man mutig ist. Dinge ausprobiert. Und aus der Not eine Tugend macht. Ein Essay von André Boße

„Meine Blicke so wie Lottoscheine, ich glaube weiter an mein Glück.“ Was hat der Song „Lottoscheine“ von AnnenMayKantereit mit Maschinenbauingenieuren zu tun? Schauen wir uns die Lage der Maschinenbaubranche an: Man kann sich das Maschinenbaubarometer der Unternehmensberatung PwC wie einen Blick aus dem Fenster vorstellen, um zu schauen: Wie ist die Lage? Für den Report befragt werden regelmäßig Entscheidungsträger*innen aus allen relevanten Bereichen des Maschinen- und Anlagenbaus. Im Dezember 2024 erschien die jüngste Studie mit dem Untertitel „Ausblick 2025“. Der zentrale Satz klingt ernüchternd: „Der Pessimismus unter den deutschen Maschinen- und Anlagenbauern erreicht ein Rekordhoch.“ Oder anders gesagt: Die Lage ist mies.

Überraschend kommt das nicht. „Bundesrepublik vor längster Rezession der Geschichte“, titelte das Handelsblatt zu Beginn des Jahres. Drei Jahre ohne wirtschaftliches Wachstum: Das hat Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Der Maschinenbau wird häufig als Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnet. In guten Zeiten stützt er sie. In weniger guten Zeiten hat gerade diese Branche große Probleme. Die jüngste Konjunkturerhebung des Maschinenbauverbands VDMA zeichnete Ende 2024 ein düsteres Bild: Mehr als 37 Prozent der Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau beurteilen ihre aktuelle Lage als schlecht oder sehr schlecht.

Krise – und doch Personalbedarf

Zunächst einmal: Von der Krise betroffen ist die junge Ingenieurgeneration nicht direkt. Wer ein Ingenieurstudium abgeschlossen hat und sich bewirbt, hat auch weiterhin beinahe freie Wahl. „Rechnerisch fallen auf jeden Interessenten mehr als drei offene Stellen“, fasste eine Meldung der Tagesschau Ende 2024 die Lage des Arbeitsmarktes für Ingenieur*innen zusammen. Dieser sei damit weiterhin ein „Angebotsmarkt“, was bedeutet, dass das Angebot an Arbeitskräften unter der Nachfrage liegt. Das gilt insbesondere für den Maschinenbau – eine Branche, in der bei der letzten Erhebung des Statistischen Bundesamts der Anteil der Ingenieur*innen unter allen Beschäftigten bei 17,1 Prozent lag.

Foto: AdobeStock/Icons-Studio
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Wege aus der Krise: Kosten runter und Automatisieren

Die Managementberatung Horvarth legte im zweiten Halbjahr 2024 eine Studie vor, die für den Maschinenbau Wege aus der Krise vorzeichnet. Befragt wurden mehr als 700 Vorstände und Geschäftsführungsmitglieder großer international agierender Unternehmen. Was diese laut Horváth-Partner und Industrieexperte Dr. Ralf Sauter richtig machen: Sie setzen auf „knallharte Kostenoptimierung und Automation“, wie er in der Studie zitiert wird. Mehr als acht von zehn Unternehmen lassen laut Untersuchung weiterhin Maßnahmen zur Kostenreduktion laufen, zwei Drittel setzen darauf einen starken strategischen Fokus. Ähnlich viele Unternehmen digitalisieren und automatisieren sich mit Hochdruck weiter, auch mit Unterstützung von KI-Systemen.

Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) wertet regelmäßig die zu erwartenden Absolventenzahlen der verschiedenen Fachbereiche aus. Das Ergebnis der Untersuchung von Ende 2024: Es studieren immer noch zu wenige junge Menschen Ingenieurwissenschaften, um den Bedarf der Unternehmen zu decken. Da halfen auch die arbeits- und bildungspolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre nichts. „Diese Bemühungen waren leider nicht in ausreichendem Maße erfolgreich“, wird Studienautor Marc Hüsch auf der Homepage des CHE zitiert. „Trotz zahlreicher Kampagnen ist in den vergangenen Jahren in vielen Ingenieurstudiengängen eher ein Rückgang der Erstsemester- und Studierendenzahlen zu beobachten.“ Größter Verlierer sei der Studienbereich Maschinenbau/ Verfahrenstechnik. Mit einem Minus von fast 16.000 Studienanfänger* innen im Zehn-Jahres-Vergleich gibt es hier einen Rückgang um rund 45 Prozent, heißt es in der Studie.

Die Situation ist also besonders: Der Maschinenbau steckt in der Krise, er braucht händeringend neue Leute. Wer diese gewinnen will, muss für den Nachwuchs attraktiv sein. Das funktioniert aber nur, wenn ein Unternehmen trotz der Krise als innovativ gilt und wenn es sich nicht scheut, gerade in schwierigen Zeiten zu investieren. Doch tut sich hier nur wenig: Das PwC-Maschinenbaubarometer zeigt, dass die Branche weiterhin nicht den Mut aufbringt, der Krise mit Investitionen zu begegnen. 56 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Investitionen in naher Zukunft nicht steigen. 25 Prozent glauben sogar, sie werden sinken. Die Gewerkschaft IG Metall sieht hier einen Grund für die Schwierigkeiten der Branche. „Mit ihrer Investitionsbremse setzen die Chefetagen die Zukunftsfähigkeit einer der deutschen Kernbranchen aufs Spiel“, wird der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, in einer Pressemitteilung der IG Metall zitiert. Für die Branche verlangt er eine „Investitionsoffensive“.

Für den Nachwuchs attraktiv zu sein, funktioniert für die Maschinenbauunternehmen auch mit Hilfe von Arbeitsmodellen, die das Thema New Work nicht als illusionäre Vorstellung der Generationen Y und Z betrachten. Sondern als Möglichkeit, den Bedürfnissen des Nachwuchses entgegenzukommen. Und nicht zuletzt funktioniert es über Gehälter: Laut PwC-Maschinenbaubarometer gehen mehr als 70 Prozent der befragten Entscheider*innen davon aus, dass die Personalkosten 2025 steigen werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es lediglich 35 Prozent. Besonders interessant: Bei den Kosten für Rohstoffe für Vorprodukte sowie für die Energie erwarten rund die Hälfte der Befragten, dass sie stabil bleiben. Nicht wenige glauben sogar, dass die Preise in diesem Jahr sinken werden.

Mit Freude an der Zukunft

Wenn also das Personal der zentrale Kostentreiber für die Unternehmen ist – dann ist das doch im Kern eine Entwicklung mit Potenzial. Für Strom oder Rohstoffe muss man bezahlen. In Personal kann man investieren. Mit der Aussicht, dafür belohnt zu werden, und zwar in Form einer motivierten und leistungsbereiten Belegschaft, die durch ihr Engagement in der Lage ist, den Maschinenbau wieder in den Bereich des Wachstums zu führen. Die junge Generation der Ingenieur*innen kann sich das zunutze machen. Denn auf sie kommt es im Maschinenbau jetzt an. Auf Einsteiger*innen und junge Führungskräfte, die jetzt sagen: Wir sind bereit! Wir haben Lust! Und wir machen es auf unsere Art – nämlich mit Freude an der Zukunft.

Foto: AdobeStock/SkyLine
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Ingenieurfachkräfte aus dem Ausland

Die Untersuchung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) über die Entwicklung in den Ingenieurstudiengängen belegt, dass die deutschen Hochschulen nicht genug Absolvent*innen ausbilden, um sowohl die aktuelle Lücke als auch den kommenden Fachkräftebedarf in den Ingenieurwissenschaften zu decken. Noch herausfordernder wäre diese Entwicklung „ohne den gleichzeitigen deutlichen Anstieg bei den ausländischen Studierenden“, wie es in der Studie heißt. Die Ingenieurwissenschaften haben mit 25,6 Prozent den höchsten Anteil an ausländischen Studierenden aller Fächergruppen. Bemerkenswert ist der laut Studie vergleichsweise hohe Frauenanteil bei ausländischen Studierenden in den Ingenieurwissenschaften: Ein Viertel ausländischer Erstsemester seien Frauen, bei den deutschen Starter*innen ist es nur ein Neuntel.

Klar, da kann es Widerstand geben. Jeder frische Wind sorgt dafür, dass sich einige so fühlen, als ständen sie in der Zugluft. Aber wie heißt es im Song „Zukunft“ des Rappers FiNCH: „Wir sind Zukunft – und damit müssen sie klarkommen!“ Wobei er mit „sie“ die älteren Generationen meint. In seinem Song lässt FiNCH auch einige der Klischees vom Stapel, die Nachwuchskräfte in Unternehmen häufig zu hören bekommen. „Du bist zu jung, das ist kein Spiel“, zum Beispiel. „Werd‘ erstmal so alt, (…) dann wirst du es kapieren.“ Oder: „Denk an deine Zukunft und unsern guten Ruf.“ Das mögen gut gemeinte Ratschläge sein. Doch ist es in der Zeit einer Krise nicht angebracht, so vorsichtig einzusteigen, dass jegliche Anfangseuphorie nach wenigen Wochen abflaut. Die Zeiten sind zu kritisch, um sich als junger Mensch bremsen zu lassen – und dann darauf zu warten, genügend Erfahrungen gesammelt zu haben. Stattdessen geht es um Mut. Um Leidenschaft. Um die Lust an der Veränderung. Es klingt paradox, aber vielleicht ist da was dran: Je ernster die Zeiten, desto wichtiger ist der Spaß an der Sache. Daran, der Konkurrenz zu zeigen: Wir können auch anders.

Erfolg mit begrenzten Ressourcen

Ein aktuelles Beispiel aus der Welt der künstlichen Intelligenz, das dem Maschinenbau Mut machen kann, weil es zeigt, dass es möglich ist, mit Mut und Eigenwilligkeit überraschende Entwicklungen in Gang zu setzen: Im Januar 2025 sorgte das in China entwickelte KI-Sprachmodell DeepSeek für Aufmerksamkeit und Turbulenzen. Weil es dafür sorgte, dass die vermeintlichen Platzhirsche plötzlich recht klein wirkten. Im Tech-Magazin 1E9 veröffentlichte der leitende Redakteur und KI-Experte Michael Förtsch einen Meinungsbeitrag, der die Folgen des Launches analysierte. Seine Kernfrage: „Das chinesische KI-Start-up DeepSeek lehrt amerikanische Tech-Giganten wie OpenAI, Google und Meta das Fürchten: Sein KI-Modell DeepSeek R1 kann mit deren Topmodellen mithalten – obwohl es für einen Bruchteil der Kosten und auf schwacher Hardware entwickelt worden sein soll. Kann das sein?“

Limitierung ist die Mutter aller Erfindungen. Weil sie sich mit Behelfslösungen auseinandersetzen mussten, haben sie am Ende etwas viel Effizienteres geschaffen.

Im Silicon Valley habe sich Unsicherheit breitgemacht, sogar Panik sei zu spüren, schreibt Förtsch. Dass da aus China ein Modell auf den Markt kommt, das wesentlich schlanker, günstiger und offener daherkommt, bei mindestens gleicher wenn nicht sogar besserer Leistung – das passt nicht ins Konzept der Marktführer aus den USA. Es wurden Zweifel laut: Ist DeepSeek wirklich so gut, wie behauptet wird? Ja, schreibt Förtsch: „Wie KI-Enthusiasten, -Entwickler und -Forscher in der vergangenen Woche festgestellt haben, entsprechen die Angaben von DeepSeek der Wahrheit.“

Doch die Leistung ist nicht der einzige Vorzug von DeepSeek. Hinzu komme, dass das R1-Modell von DeepSeek unter einer MIT-Open-Source-Lizenz stehe. „Diese erlaubt es jedem, es völlig kostenlos zu nutzen, zu modifizieren und weiterzuentwickeln – auch für kommerzielle Zwecke“, schreibt Michael Förtsch. Und noch ein zentraler Aspekt sorgte für die Unruhe bei den bisherigen Marktführern aus den USA: „DeepSeek R1 soll um ein Vielfaches effizienter sein als die Konkurrenz“, schreibt Michael Förtsch. „Für den Betrieb soll weniger Rechenkraft nötig sein, was direkt den Preis für die Nutzung drückt.“ So verlange OpenAI mehr als das Fünfzigfache für die Verarbeitung der Zeichenketten. Das Fazit des KI-Experten: „Das stellt sowohl das Geschäftsmodell als auch die Technologie des gefeierten US-Unternehmens in Frage.“

Wie das gelungen ist? Not macht erfinderisch. Oder, in den Worten von Aravind Srinivas, Chef des KI-Suchmaschinen-Unternehmens Perplexity: „Limitierung ist die Mutter aller Erfindungen. Weil sie sich mit Behelfslösungen auseinandersetzen mussten, haben sie am Ende etwas viel Effizienteres geschaffen“, wird er in einem Analysebeitrag der US-Nachrichtenmediums CNBC zitiert. Weil dem Entwicklerteam aus China nur begrenzte Hardware-Ressourcen zur Verfügung standen, ist es ihm durch zahlreiche Optimierungen und die Entwicklung eigener Methoden gelungen, die Effizienz enorm zu steigern.

Prognosen auf den Kopf stellen

Die Welt der Technik ist nie ausgereizt. Es gibt immer noch etwas zu optimieren. Hier liegt die große Chance für den Maschinenbau.

Was dieses Beispiel aus der KI-Welt für den Maschinenbau aussagt? Die Zeit von in festem Fundament gegossenen Strukturen ist vorbei. Die Welt und die Märkte sind volatil. Man kann diese Flüchtigkeit als Grund für die Krisen sehen. Man kann sie aber auch als Chance begreifen: Es ist möglich, auch im Maschinenbau durch das Hinterfragen von etablierten Prozessen, durch das mutige Ausprobieren, durch Investitionen in Zukunftsteams und durch das ernsthafte Umsetzen neuer Ideen Innovationen zu entwickeln, die in Sachen Effizienz alles in den Schatten stellen, was es vorher gab. Das funktioniert bei Produktionsanlagen in den Nischen des Maschinenbaus genauso gut wie bei IT-Themen aus dem KI-Kosmos.

Wenn Ingenieur*innen eines wissen, dann doch das: Die Welt der Technik ist nie ausgereizt. Es gibt immer noch etwas zu optimieren. Hier liegt die große Chance für den Maschinenbau. Die Branche ist längst nicht so festgefahren, wie es in der Krise erscheint. Die junge Generation hat die Chance, alle Prognosen auf den Kopf zu stellen. Indem sie aus der Not eine Tugend macht. Mit wenig viel erreicht. Für Überraschungen sorgt. Was man dafür benötigt: Fachwissen, klar. Dazu ein Unternehmen als Arbeitgeber, das Möglichkeiten bietet, sich zu entwickeln. Das den Mut fördert und eine motivierende Fehlerkultur besitzt. Und natürlich Einsteiger*innen, die Lust mitbringen, die Lage zu ändern – oder eben, wie im Song „Lottoscheine“, das Glück zu erzwingen.

Foto: AdobeStock/sahila
Foto: AdobeStock/sahila

Rückkehr aus dem Ruhestand

Wer heute im Maschinenbau einsteigt, wird in den Unternehmen auf viel Erfahrung treffen. Ein weiterer Weg vieler Arbeitgeber, den Fachkräftemangel abzufedern, ist es nämlich, Mitarbeitende aus dem Ruhestand zurückholen. Laut einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) setzten bereits mehr als die Hälfte der Maschinenbauunternehmen auf die Beschäftigung von Ruheständler*innen. Jedoch bemängelt das IW zahlreiche regulatorische Hürden. Und auch mit Blick auf die Arbeitskultur müsse sich etwas tun: „Arbeiten bis zum gesetzlichen Rentenalter und darüber hinaus sollte nicht länger als Zumutung gelten, sondern als Chance“, wird Oliver Stettes vom IW in der Zusammenfassung der Studie zitiert.

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