Digitalisierung als Motor für Effizienz und Nachhaltigkeit. Der Bau einer 450 km langen Hochgeschwindigkeitsstrecke durch die Wüste Saudi-Arabiens oder die Beratung des Verkehrsministers von Brasilien zum Open Access des brasilianischen Schienenverkehrsnetzes sind zwei Megaprojekte, die Dr. Katharina Klemt-Albert als Führungskraft bei der Deutschen Bahn AG verantwortet hat. 2016 wechselte sie in die Wissenschaft. Als Universitätsprofessorin setzt sie sich für die nachhaltige Digitalisierung in Bau und Infrastruktur, für Automatisierung und Robotik im Bauwesen sowie die digitale Transformation ein. Warum das wichtig ist und wie das gelingen kann, verrät sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Katharina Klemt-Albert studierte Bauingenieurwesen an der Ruhr- Universität Bochum und promovierte an der TU Darmstadt. Ab 2001 verantwortete sie bei der Deutschen Bahn AG zahlreiche Groß- und Megaprojekte. 2016 folgte Dr. Klemt-Albert einem Ruf der Leibniz Universität Hannover. Im gleichen Jahr gründete sie die albert.ing GmbH, einen spezialisierten Anbieter für Digitale Transformation und BIM. 2021 wurde sie an die RWTH Aachen University als Direktorin des Instituts für Baumanagement, Digitales Bauen und Robotik im Bauwesen berufen. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in der nachhaltigen Digitalisierung und Automatisierung der Baubranche mit einem integralen und interdisziplinären Ansatz. Sie ist Sprecherin des Präsidiums von buildingSMART Deutschland.
Sie haben in den 2000er- und 2010er-Jahren diverse internationale Megaprojekte im Bereich der Bahn verantwortet. Verfolgen Sie noch, wie diese Projekte heute laufen?
Natürlich, das ist ja das Spannende an unserem Beruf, dass wir etwas bauen und gestalten können, das viele Jahrzehnte oder vielleicht noch länger hält. Es ist erfüllend zu sehen, wie sich diese Projekte entwickeln und welchen Einfluss sie auf die Infrastruktur und Mobilität in den jeweiligen Regionen haben.
Warum haben Sie sich 2016 für einen Wechsel in die Forschung und Wissenschaft entschieden?
Durch meine Erfahrungen in der Praxis habe ich die Chancen der Digitalisierung erkannt, die mich schon damals fasziniert haben. Ich habe mich für einen Wechsel entschieden, weil ich dadurch die Chance hatte und habe, etwas Neues aufzubauen und aktiv mitzugestalten. Durch unsere Arbeit in der Wissenschaft können wir einen Beitrag dazu leisten, die Digitalisierung der Baubranche in Deutschland voranzubringen. Die Kombination aus Forschung und Lehre hat mich besonders gereizt, denn so kann ich gleichzeitig neue Erkenntnisse gewinnen und mein Wissen weitergeben. Es ist faszinierend, nicht nur selbst Neues zu lernen, sondern auch junge Ingenieurinnen und Ingenieure auszubilden und zu begeistern.
Geht man an einer Baustelle entlang, ist dort noch immer wenig von Digitalisierung zu sehen. Täuscht das?
Das stimmt, im Vergleich zu anderen Sektoren ist die Bauindustrie noch wenig digitalisiert. Das hat aber seine Gründe: Anders als in der Produktionsindustrie sind Bauwerke in der Infrastruktur oder im Hochbau fast immer Unikate. Die Arbeit auf der Baustelle ist daher noch sehr individuell und manuell geprägt. Dennoch hat es in den letzten Jahren wichtige Entwicklungen in der Branche gegeben. In der Planung werden heute vermehrt digitale Prozesse eingesetzt, was viele Arbeitsabläufe beschleunigt und vereinfacht hat.
In der Ausführung hingegen besteht noch Bedarf an Digitalisierung und Automatisierung, aber auch hier sind interessante Fortschritte zu erkennen: Im Stahl- und Holzbau ist die computergesteuerte Herstellung von Bauteilen durch Vorfertigung im Werk bereits weit verbreitet. Dank digitaler Planung auch in der Ausführungsphase können innovative Technologien wie 3D-Druck und Robotik bereits auf der Baustelle eingesetzt werden. Diese Impulse aus der digitalen Planung und die Vorteile der industriellen Einzelfertigung werden nun zunehmend auf die Baustelle übertragen, um durch digitalisierte und automatisierte Fertigungsprozesse hochindividualisierte Bauwerke produktiver, effizienter und nachhaltiger herstellen zu können.
Alle wünschen sich, dass gebaut wird – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür! Wie können digitale Plattformen wie BIM dabei helfen, mehr Akzeptanz für Bauprojekte zu gewinnen?
Im Zuge des Strukturwandels sind Bauprojekte und Veränderungsprozesse notwendig, die derzeit vermehrt auf Widerstand stoßen, teils weil die Öffentlichkeit sich nicht eingebunden fühlt. Um die Akzeptanz der Bevölkerung für diese Bauvorhaben zu gewinnen, sind Kommunikationsprozesse notwendig, die einerseits das Projekt erklären und andererseits eine partizipative Gestaltung durch die Bevölkerung ermöglichen. In diesem Bereich führen wir zum Beispiel ein Forschungsprojekt durch, das die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gestaltung einer nachhaltigen und öffentlichen Mobilität im Zuge des Strukturwandels fördert.
Dazu können digitale Bauwerksmodelle genutzt werden: Beispielsweise kann die Öffentlichkeit über eine Beteiligungsplattform frühzeitig erste Einblicke in Planungsoptionen erhalten und sich aktiv in die Planung einbringen. Darüber hinaus bieten digitale Methoden unter anderem die Möglichkeit, die verschiedenen Bauphasen und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung, wie zum Beispiel Verkehrssperrungen oder Nachtarbeiten, bereits in der Planungsphase zu simulieren und damit genauer zu planen. Auch Bauzeiten und Kosten von Maßnahmen können bereits in den früheren Planungsphasen viel genauer bestimmt werden, was für die Akzeptanz solcher Maßnahmen in der Bevölkerung einen enormen Faktor darstellt.
Welche aktuellen Innnovationen im Bereich des digitalen Bauens und der Robotik im Bauwesen faszinieren Sie derzeit besonders?
Aktuell befinden wir uns in einer wirklich spannenden Phase. Die Baubranche, die traditionell durch manuelle Arbeitsschritte und Entscheidungen vor Ort geprägt war, bewegt sich zunehmend in Richtung interdisziplinärer digitaler Planung. Um das volle Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen, müssen digitale Modelle für die Steuerung von Maschinen nutzbar gemacht werden. Dies gilt sowohl für die Vorfertigung als auch für die (Teil-)Automatisierung auf der Baustelle. Zum Beispiel können Roboter eingesetzt werden, wo Arbeiten für den Menschen gefährlich, körperlich anstrengend oder einfach schwierig sind. Da gibt es noch viel Potenzial.
Wir merken jetzt schon, dass die Digitalisierung sich positiv auf die Attraktivität der Baubranche auswirkt. Jüngere Ingenieurgenerationen sind offener für Veränderungen und wollen an innovativen Lösungen für die Gesellschaft mitwirken.
Inwieweit öffnet die Digitalisierung des Baus die Disziplin für eine junge Generation an Bauingenieurinnen und -ingenieuren auf der Suche nach Jobs mit Purpose?
Wir merken jetzt schon, dass die Digitalisierung sich positiv auf die Attraktivität der Baubranche auswirkt. Jüngere Ingenieurgenerationen sind offener für Veränderungen und wollen an innovativen Lösungen für die Gesellschaft mitwirken. Nachhaltigkeit ist für sie ein sehr wichtiges Thema. Die Digitalisierung wird dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Bauens auf die Umwelt zu reduzieren. Durch intelligente Planung können Bauprozesse über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks – von der Errichtung über die Sanierung bis hin zum Abriss – optimiert werden. Die digitale Dokumentation aller verwendeten Materialien ermöglicht zudem die Wiederverwendung und das Recycling von Baustoffen am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes. So kann effizienter und ressourcenschonender gearbeitet werden, was unseren Beruf für junge Menschen attraktiver macht.
In der Baubranche haben junge Ingenieurinnen und Ingenieure die Möglichkeit, direkt an Projekten mitzuarbeiten, die das Leben der Menschen und ihre Umwelt verbessern. Die Digitalisierung eröffnet ihnen neue Wege, um durch innovatives und effizientes Planen positive Veränderungen herbeizuführen, z. B. bessere Wohnungen, gute und nachhaltige Mobilität und schönere Schulen. Dadurch ergeben sich neue Chancen für junge Mitarbeitende, die sich für einen Beruf mit gesellschaftlichem Nutzen interessieren, denn Bauen ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Lebensweise.
Bei welchem Bau eines Bauwerks aus der Geschichte der Menschheit wären Sie sehr, sehr gerne beteiligt gewesen – und warum?
Der Aachener Dom wäre ein Bauwerk, an dem ich sehr gerne mitgewirkt hätte. Ich hätte gerne die Herausforderungen und die innovativen Techniken kennengelernt, die im 9. Jahrhundert erforderlich waren, um ein solch beeindruckendes und symbolträchtiges Bauwerk zu errichten. Außerdem wäre es eine einzigartige Gelegenheit gewesen, an einem Bauwerk mitzuwirken, das so viele Jahrhunderte überdauert hat und ein Zeugnis der europäischen Geschichte und kulturellen Entwicklung darstellt.