StartBerufslebenArbeitswelt SpezialMandate, Machine Learning und Menschenkenntnis: Zukunftskompetenzen für Juristinnen und Juristen

Mandate, Machine Learning und Menschenkenntnis: Zukunftskompetenzen für Juristinnen und Juristen

Zunehmend ziehen Legal- Tech-, wie etwa KI-basierte, Anwendungen in Kanzleien, Rechtsabteilungen und die Justiz ein. Während dadurch erste Aufgaben bereits (teil-) automatisiert werden können, werden andere Fähigkeiten umso bedeutsamer. Eine nicht abschließende Übersicht solcher Fähigkeiten gibt uns Legal-Tech- Spezialistin Nathalia Schomerus.

Zur Person

Nathalia Schomerus, Foto: Anke Illing
Nathalia Schomerus, Foto: Anke Illing

Nathalia Schomerus arbeitet seit 2022 im Bereich Legal Tech in der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Zuvor war sie bei einer der größten Unternehmensberatungen sowie nach Abschluss ihres Studiums einige Jahre in England und Israel in der Wissenschaft tätig und hat ein erfolgreiches Start-up gegründet, für das sie das Magazin Forbes in die Liste der „30 under 30 Europe“ aufnahm. Studiert hat sie Rechtswissenschaften, VWL, Geschichte und Theologie an der Bucerius Law School, Universität Hamburg, Universität Bonn, Universität Potsdam, Facoltà Valdese di Teologia (ERASMUS) und Universität Oxford. 2017 hat sie ihren Master of Studies an der Universität Oxford abgelegt.

In einer Welt, in der KI-Systeme schon heute Rechtsrecherchen vereinfachen und Vertragsprüfungen unterstützen, stehen juristische Berufe vor einem tiefgreifenden Wandel. Wenn beispielsweise bei einer internen Compliance-Untersuchung mithilfe eines KI-gestützten Tools innerhalb von zwei Stunden 750.000 Dokumente durchsucht werden können, ändert dies die Arbeit von Kanzleien. Wer dann noch die wesentlichen juristischen Kommentare mittels eines Chatbots befragt oder eigene Stichpunkte von Sprachmodellen in Mandantenmemos wandelt, sichert sich schon heute einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Hierbei ist es besonders wichtig, sich nicht von den jetzigen Schwächen (generativer) künstlicher Intelligenz fehlleiten zu lassen. Zum einen ist generative KI nur eine Untergruppe von KI, deren Schwächen durch die Verknüpfung mit anderen KI-Arten gemindert werden können. Zum anderen stehen wir derzeit erst am Anfang der Entwicklung und beobachten schon jetzt, dass auch generative KI-Modelle schnell immer besser werden.

Auch deshalb ist es ratsam, nicht nur den unmittelbaren nächsten Schritt der Entwicklung zu antizipieren. So mag KIkonformes Prompten heute eine gesuchte Fähigkeit sein, dies muss jedoch in Zukunft nicht der Fall sein. Wenn KI-Modelle etwa in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und KI-Agenten die jeweils passende KI für die jeweilige Aufgabe auswählen, werden einige der jetzt noch von Legal Engineers und anderen Techaffinen übernommenen Tätigkeiten automatisiert werden können. Wichtig ist deshalb, sich grundsätzlich zu fragen, worin in Gegenwart und Zukunft der Wert der eigenen Arbeit für Mandanten besteht und die juristische Ausbildung, den Berufseinstieg und die persönliche Weiterbildung daran zu orientieren.

Wesentliche Kompetenzen im KI-Zeitalter

Technische Kompetenz

Für diejenigen mit besonderer Begeisterung für Technologie bietet sich die Möglichkeit, bei der Entwicklung der relevanten Tools in Zukunft mitzuwirken. Doch auch jenseits des Trainings von Modellen ist ein grundlegendes Verständnis schon heute hilfreich für ihre Nutzung. Dazu gehören die Grundlagen von generativer KI, zu der alle größeren KI-Anbieter kostenlose Webinare mit Videomodulen und grundlegenden Erklärungen anbieten. Ein fundiertes Wissen über Schwachstellen der Modelle mit daraus resultierendem Qualitätsverlust etwa in Form von falschen Informationen, Diskriminierung und anderen Ungerechtigkeiten ist ebenfalls wichtig.

Zudem gehört ein wissenschaftlich fundiertes und selbstkritisches Verständnis von Mensch-Computer-Interaktion zu den hilfreichen Fähigkeiten, die eine richtige Nutzung von Technologie unterstützen. Studien wie die von Lucía Vicente und Helena Matute in der Fachzeitschrift „Nature“ im Oktober 2023 veröffentlichte zeigen etwa, dass Menschen Biases von KI-Systemen übernehmen und sogar nach Wegfall der Modelle fortfuhren. Diese Erkenntnis sollte sich auf die Nutzung von KI durch User auswirken.

Zwischenmenschliche Kompetenz

Auch soziale Fähigkeiten, Gesprächsführungskompetenz und Empathie gewinnen an Bedeutung, um die Bedürfnisse der Mandatierenden zu verstehen. Dies hilft bei der Erstellung maßgeschneiderter Lösungen, die über Standardantworten hinausgehen. Solche maßgeschneiderten Lösungen erfordern außerdem Kreativität, da sie nicht immer die augenscheinlichen und meistgenutzten sind. Jura bleibt dabei ein „people‘s business“. Die Studie „Predicting Lawyer Effectiveness“ von Marjorie M. Shultz und Sheldon Zedeck aus dem Jahr 2018 deutet sogar darauf hin, dass psychologische Modelle den späteren beruflichen Erfolg von Jurastudierenden besser vorhersagen können als Tests wie der Law School Admission Test (LSAT).

Investitionen in Soft Skills und datengestützte Erkenntnisse, beispielsweise aus der Psychologie, lohnen sich daher besonders. Diese zwischenmenschliche Kompetenz wird auch bedeutender, weil das, was für Menschen schwierig ist, für eine KI nicht schwierig sein muss – und umgekehrt. Hans Peter Moravec beschrieb dieses Paradox bereits in den 1980ern. Während wir etwa Ironie, Humor und Andeutungen zwischen den Zeilen durch unser Kontextwissen besser erkennen können als KI-Modelle, arbeiten verschiedene Anbieter schon heute an einer Automatisierung der für uns zeitaufwendigen Due Diligence.

Erfahrungswissen

Zu den für KI schwierig zu erlangenden Fähigkeiten gehört das besonders wertvolle Erfahrungs- und Kontextwissen, welches eine zutreffende Gewichtung und Einschätzung erlaubt. Ein Beispiel ist die Verhandlungsführung, bei der es auf Erfahrung teilweise mehr ankommt als auf reines Lehrbuchwissen. Diese Erfahrung schneller zu gewinnen, wird eine Herausforderung für die Entwicklung derjenigen, die sich erst am Beginn des Berufslebens befinden. Während die Aufgaben von Associates oder Referendaren etwa schon heute teilweise automatisiert werden können, sind es häufig gerade diese Aufgaben, durch die wertvolles Erfahrungswissen erst erworben wird. Hier können Mentorship-Programme, zentrale Wissenssammlungen und gemeinsame Projekte mit Erfahreneren dabei helfen, Wissen schneller zu vermitteln.

Die Kontrolle von KI-unterstützten Antworten setzt häufig ein tiefes Verständnis der Materie voraus.

Spezialwissen

Eng mit Erfahrungswissen verbunden sind die Fähigkeiten, die durch Spezialisierung erworben werden. Noch sind KI-Modelle zumeist auf ein Mehrheitsverständnis trainiert und nicht darauf, auch bei sehr speziellen Fragen die richtige Antwort zu finden. Die Kontrolle von KI-unterstützten Antworten setzt häufig ein tiefes Verständnis der Materie voraus. Ebenso wie es Übersetzerinnen oder Muttersprachlern leichter fällt, von Übersetzungstools generierte Texte zu korrigieren, ist tiefgreifendes Domänenwissen auch im juristischen Zusammenspiel mit technischen Lösungen besonders hilfreich.

Juristische Exzellenz

Durch KI und andere Technologien werden zukünftig einige administrative Aufgaben ebenso wie weniger anspruchsvolle juristische Anfragen automatisiert bearbeitet werden können. Dies macht die juristische Arbeit noch kernjuristischer und stellt einen Vorteil für diejenigen dar, die inhaltlich glänzen können. Dazu gehört, dass die juristische Art zu denken und damit verbundene Kernkompetenzen weiter an Bedeutung gewinnen. Eine Studie von Jonathan H. Choi, Amy Monahan und Daniel Schwarcz aus dem Jahr 2023 deutet darauf hin, dass die Nutzung eines großen Sprachmodells für unterdurchschnittliche Jurastudierende zu einer Notenverbesserung führt, während exzellente Studierende lediglich Zeit bei der Bearbeitung von Aufgaben sparen. Technische Angebote automatisieren derzeit also insbesondere Leistungen bis zum juristischen Mittelmaß, während hervorragende Leistungen noch Menschen vorbehalten bleiben.

Interdisziplinarität und Offenheit

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung sind lebenslanges Lernen und die Offenheit für neue Arbeitsweisen unerlässlich. Ständige Weiterbildung und Freude am Experimentieren sind dabei zunehmend bedeutsam. Der Blick über den Tellerrand in andere Fachgebiete hilft außerdem, kommende Entwicklungen zu antizipieren, zu verstehen und bestmöglich darauf zu reagieren. Durch die Nutzung etwa aktueller soziologischer, wirtschaftlicher, technischer oder psychologischer Erkenntnisse gewinnt der Rechtsmarkt. Es bleibt zu wünschen, dass die juristische Ausbildung dafür mehr Raum schafft als bisher.

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