StartRechtLegal Tech-Vernetzer Jörg Offenhausen im Interview

Legal Tech-Vernetzer Jörg Offenhausen im Interview

Zu wenig unternehmerisches Denken, zu viel Angst vor neuer Technik, zu starre Strukturen: Jörg Offenhausen findet klare Worte, wenn es darum geht, zu erklären, warum sich der Rechtsmarkt mit technischen Innovationen schwertut. Als Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs arbeitet er daran, das zu ändern – indem er Anwälte und Anwältinnen mit Start-ups verbindet, nach dem Motto: Problem sucht Lösung. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Jörg Offenhausen ist Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs. Als Rechtsanwalt ist er Managing Partner der Wirtschaftskanzlei activelaw und dort auch als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht tätig. Aus seiner Arbeit kennt Jörg Offenhausen die Innovationshemmnisse von Mittelstand, Konzernen und Kanzleien aus erster Hand. Er gründete eigene erfolgreiche Legal Start-ups und trat im Vorstand der Anwaltskammer Celle für die digitale Transformation der juristischen Arbeit ein.

Herr Offenhausen, Sie haben in einem Interview gesagt, dass es Anwälten und Anwältinnen, die mit Legal Tech nichts am Hut haben wollen, wie Videotheken ergehen wird – sprich: Die werden irgendwann verschwinden.
Ja, so hart muss man es formulieren. Was machen Anwälte zum großen Teil? Sie reproduzieren immer wieder ähnliche Dinge. Und alle Dinge, die ähnlich und reproduzierbar sind – die sind anfällig für Automatisierungen. Es gibt in den Kanzleien bestimmte Bereiche, da wird es in der nächsten Zeit keine bahnbrechenden technischen Entwicklungen geben, zum Beispiel in der individuellen Rechtsberatung. Dennoch müssen sich Kanzleien jetzt mit der Automatisierung beschäftigen. Wobei ich davon ausgehe, dass viele Anwälte sehr genau wissen, dass einige Geschäftsmodelle nicht länger aufgehen werden.

Welche zum Beispiel?
Wenn ein Mandant anruft und sagt, er möchte gerne einen Arbeitsvertrag haben – dann füllt der Anwalt den Arbeitsvertrag aus und erstellt eine Rechnung von 500 Euro. Ich denke, insgeheim weiß man, dass es so nicht weitergehen wird, weil die Technik die Erstellung solcher Verträge wesentlich effektiver gestalten wird. Wenn man als Kanzlei da nicht mitgeht, diese Effektivität also nicht anbietet, dann wird der Markt das nicht mehr annehmen.

Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz im Bereich Legal Tech?
Noch hat die KI ein Grundproblem – und zwar die KI-Halluzination: Wenn die KI etwas nicht weiß, dann denkt sie sich etwas aus. Wobei das Ausgedachte so gut klingt, dass man glauben könnte, es sei richtig. Ist es aber nicht. Es kommen falsche Ergebnisse heraus, und wir als Anwälte haften für falsche Ergebnisse. Das ist natürlich eine Gefahr. Ich denke daher, dass die Diskussion über KI in Kanzleien noch weit in die Zukunft führt. In zehn, 20 Jahren werden wir anders darüber reden. Mich interessieren jedoch die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt. Und das ist primär bei der Verbesserung des Workflows der Fall. Wenn es um Arbeiten geht, die alle nerven, die aber trotzdem erledigt werden müssen.

Mich interessieren die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt.

Von welchem konkreten Anwendungsfall können Sie in naher Zukunft profitieren?
Ich komme aus dem Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Wenn ich mich mit Mandanten treffe, dann unterhalten wir uns für rund zwei Stunden. Danach setze ich mich hin und erstelle aus meinem fachlichen Wissen heraus und aus dem, was ich im Gespräch erfahren habe, einen Vertrag. Der Vorgang dauert insgesamt vielleicht 15 Stunden – wobei die eigentliche, geistige Wertschöpfung nur in den ersten beiden Stunden stattgefunden hat.

Im Mandantengespräch.
Genau. Danach habe ich den Vertrag im Kopf schon fertig. Auf das „Zusammenstückeln“, das danach ansteht, hat eigentlich niemand Lust. Ich auch nicht. An dieser Stelle kann die Technik übernehmen: Ich nenne diesem System die zentralen Stellschrauben, von denen ich im Gespräch erfahren habe, und dann übernimmt die Technik die Arbeit des Zusammenstückelns. Das würde uns Zeit und Nerven sparen …

… und dem Mandanten würde es Geld sparen.
Ja, und den Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen übrigens auch. Man darf nicht vergessen: Es gibt einen Fachkräftemangel. Wenn solche Arbeiten wegfallen, können die Arbeitskräfte, die wir haben, sinnvoller eingesetzt werden. Ich denke, es sollte in diesem Bereich generell darauf ankommen, dass Juristen sich fragen: Was an meiner Arbeit macht mir eigentlich keine Freude? Hat man das definiert, welche Arbeit man gerne loswerden würde, kann man in den Austausch mit anderen gehen, um herauszufinden: Geht es denen genauso? Heißt die Antwort ja – dann gibt es einen Markt für eine Lösung, die den Anwälten diese Arbeit abnimmt.

Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen.

An dieser Stelle kommen die Start-ups ins Spiel, die sich darauf verstehen, Lösungen für Probleme zu entwickeln. Wobei wir unsere Aufgabe beim German Legal Tech Hub darin sehen, die genannten Akteure in Kontakt zu bringen, sprich die Anwälte, die sich eine Innovation wünschen, und die Tech-Anbieter, die diesen Wunsch erfüllen können. Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen.

Start-ups denken progressiv. Der Rechtsmarkt, so heißt es häufig, sei eher konservativ. Stimmt das in Ihren Augen noch?
Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien. Es gilt in Deutschland weiterhin das Fremdbesitzverbot sowie das Verbot von Beteiligungen. Das führt dazu, dass kein Wagniskapital in die Anwaltschaft fließt. Es ist nicht möglich, dass ein Investor an den Einnahmen des Anwalts beteiligt ist; es gibt auch keine Gewinnbeteiligungen.

Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien.

Angenommen, ein junger Anwalt würde sagen: „Ich möchte gerne etwas Neues auf die Beine stellen, ein neues Kanzleikonzept, mit digitaler Automatisierung, und dafür brauche ich 500.000 Euro“ – dann kann er entweder zu anderen Anwälten gehen, um dort einzusteigen, oder zu einer Bank. Dort hört er dann: „500.000 Euro, aha, was haben Sie denn als Sicherheiten?“ – „Keine.“ – „Oh, dann wird das aber schwierig.“

Und warum sind die Partner der Kanzleien nicht innovationsfreudig?
Anwaltskanzleien sind in der Regel als Personengesellschaften organisiert, ähnlich einer GbR. Das bedeutet steuerlich, dass am Ende des Jahres die Gewinne den einzelnen Partnern zugerechnet werden. Will ein Partner Investitionen tätigen, dann muss das in einer großen Runde besprochen werden. Und dort trifft er unter Umständen auf andere Partner, die schon ein wenig älter sind und sagen: „In zehn Jahren, wenn sich die Innovation rechnet, bin ich gar nicht mehr dabei, warum wollen wir jetzt Geld investieren?“

Es wird also nicht unternehmerisch gedacht.
Zu wenig, und um es noch einmal klarzustellen: Das liegt eher an strukturellen Problemen als an den Einstellungen der Anwälte. Das beginnt schon bei der universitären Ausbildung, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte. Es gibt viel zu wenig betriebswirtschaftliche Inhalte. Und auch zu wenig Inhalte, die sich mit den Möglichkeiten von Legal Tech beschäftigen.

Viele Anwälte wissen daher zu wenig über Betriebswirtschaft und digitale Lösungen. Und dann hören sie von allen Seiten: „Die Digitalisierung ändert alles, ihr müsst was machen!“ So entstehen Ängste, denn Angst bekommt man dann, wenn man nicht richtig prognostizieren kann, was auf einen zukommt, oder wenn man sogar eine negative Prognose für die Zukunft hat. Umso wichtiger sind Orte, an denen die Leute miteinander sprechen. Orte, an denen sich auch die junge Generation mit ihren Ideen einbringen kann und an denen man merkt: Ich bin mit meinem Problem ja gar nicht allein, also finden wir gemeinsam eine Lösung!

German Legal Tech Hub

Ob KI-basierte Vertragsgestaltung, Prozessoptimierung oder Cybersecurity: Legal Tech-Lösungen versprechen neue Effizienz auf dem Rechtsmarkt. Um die Potenziale heben zu können, benötigen die Kanzleien einen Überblick über die Lösungen, der sich durch einen Austausch mit Startups, Wissenschaft und anderen Unternehmen ergibt. Der German Legal Tech Hub hat es sich zur Aufgabe gemacht, als branchenübergreifende Plattform diese Brücken zwischen den diversen Legal Tech-Interessierten zu bauen. germanlegaltechhub.com

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