StartRechtDie Rechts-Ethikerin Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski im Interview

Die Rechts-Ethikerin Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski im Interview

Impfpflicht im Kampf gegen das Coronavirus, drängende Fragen zum Klimaschutz, Folgen des Krieges auf europäischem Boden: Wir leben in einer Zeit, in der Politik und Recht gemeinsam vor der Herausforderung stehen, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Als Mitglied des Deutschen Ethikrats beschäftigt sich die Kölner Rechtsprofessorin Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski mit dem komplexen Verhältnis zwischen Ethik, Politik und Recht. Auch ihr zweites Kernthema trifft den Zeitgeist: Die Frage, wie Systeme mit Künstlicher Intelligenz die juristische Arbeit verändern. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. iur. Dr. phil. Frauke Rostalski wurde am 6. Januar 1985 in Bad Nauheim geboren. Ihr Studium der Rechtswissenschaften absolvierte sie an der Uni Marburg, von 2009 bis 2014 war sie dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. 2017 schloss sie ihre Habilitation zum Thema „Der Tatbegriff im Strafrecht“ ab, 2017 promovierte sie zusätzlich im Fach Philosophie. Ihre erste Professur erhielt sie 2018 an der Uni Köln. Im April 2020 wurde sie als Mitglied in den Deutschen Ethikrat berufen, seit 2021 ist sie Mit-Herausgeberin der „Zeitschrift für Digitalisierung und Recht“. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter.

Frau Prof. Dr. Dr. Rostalski, wie bewerten Sie in der heutigen Zeit das Verhältnis des Rechts zur Politik: Verstehen Sie es als einen Gegenpol oder sogar als eine Korrekturebene?
Das Verhältnis der beiden Bereiche ist zu komplex, als dass man Recht als bloßen Gegenpol zur Politik beschreiben könnte. Politik bewegt sich in den Bahnen des Rechts: Insbesondere durch unsere verfassungsmäßige Ordnung wird politischem Handeln Schranken gesetzt. Gleichzeitig kommt der Politik eine rechtsgestaltende Funktion zu, so auch wenn sie neue Problemlagen meistern muss. Eine Korrekturebene bieten insbesondere die Gerichte, die politische Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Eben dies ist durch die Gewaltenteilung intendiert.

Welches Verhältnis hat das Recht zur Ethik?
Die Frage betrifft ein altes und viel diskutiertes Problem, nicht nur der Rechtswissenschaft. Nicht zuletzt Kant widmete sich der Frage. Er beschreibt das Recht als die äußeren, zwingenden moralischen Gesetze, während die Ethik innere moralische Verpflichtungen betrifft. Dabei regeln sowohl das Recht als auch die Ethik das Miteinander der Menschen. Ich verstehe das Recht dabei als denjenigen Bereich an gesellschaftlichen Normen, die wir für ein Zusammenleben in Frieden als so wichtig einstufen, dass sie von staatlicher Seite erzwingbar sein müssen. Ich denke dabei etwa an strafrechtlich geschützte Verhaltensnormen wie das Tötungsverbot oder das Diebstahlsverbot. Das heißt aber nicht, dass die Ethik weniger bedeutsam wäre. Vielmehr ist unser gesamtes Miteinander von moralischen Normen durchdrungen. Es kann immer wieder geschehen, dass das, was wir bislang „lediglich“ dem Bereich der Ethik zugeschrieben haben, aufgrund eines gewandelten Zeitgeistes in seiner Bedeutung wächst und daher zu Recht erhoben wird. Auch im Hinblick auf neue gesellschaftliche Phänomene spielt die Ethik eine große Rolle – wenn es noch kein Recht gibt und wir aushandeln müssen, wie sich unser Recht etwa in Bezug auf Risiken durch die Digitalisierung gestalten soll.

Das Recht wandelt sich durch die Digitalisierung. Um zunächst auf die Veränderungen in der juristischen Arbeit zu schauen: Welche Chancen bietet Legal Tech?
Legal Tech-Anwendungen können die Rechtsanwendung erleichtern, beispielsweise durch Software, die bei der Sachverhaltserfassung unterstützt und in der anwaltlichen Praxis bereits verwendet wird. Weiterhin können sie Rechtsanwendung transparent machen und gerechtere Ergebnisse fördern. Beispielsweise könnte anhand des Einsatzes von KI eine Urteilsdatenbank geschaffen werden, die die Strafzumessung vergleichbarer machen kann. Insofern könnte sie einen Gegenpol zu subjektiv eingefärbten Entscheidungen bilden. KI-basierte Verhandlungsaufzeichnungen können die manuelle Protokollierung des Gerichtsverfahrens ersetzen. Legal Tech-Anwendungen wie zum Beispiel ein Vertragsgenerator kann es auch Nicht-Juristen erleichtern, Rechte wahrzunehmen. Gleichzeitig zeigt sich anhand dieses Beispiels bereits ein Risiko von Legal Tech-Anwendungen.

Rechtsanwendung setzt häufig eine umfassende und komplexe Wertung voraus. Dazu ist KI derzeit aber nicht in der Lage.

Nämlich?
Aufgrund eines standardisierten Vorgehens könnten gerade die Besonderheiten des Einzelfalles aus dem Blick geraten. Rechtsanwendung setzt häufig eine umfassende und komplexe Wertung voraus. Dazu ist KI derzeit aber nicht in der Lage. Grundsätzlich besteht beim Einsatz von KI zudem die Gefahr, dass der Lernprozess einer KI nicht hinreichend nachvollzogen werden kann, so dass Fehler vielleicht nicht sichtbar werden. Wenn also KI zum Einsatz kommt, ist ein kritischer Umgang mit ihr zwingend erforderlich.

Wo liegt die Grenze dessen, was digitale Technik im Recht leisten kann?
Juristisches Arbeiten setzt die Berücksichtigung der Besonderheiten des Ein 19 zelfalls voraus. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrads von Rechtsnormen müssen diese ausgelegt werden. Recht verlangt nach einer Abwägung – wir müssen die Gründe ermitteln, die für oder gegen eine bestimmte Entscheidung sprechen. Selbst wenn all dies in Zukunft von einer KI geleistet werden könnte, muss immer auch die Frage beantwortet werden, ob sie diese Aufgabe denn übernehmen soll. Ein anwaltliches Beratungsgespräch hat insbesondere im Strafrecht für den Einzelnen nicht nur die Funktion, Rechtsfragen zu beantworten. Ein Gerichtsprozess soll nicht einfach ein richtiges Ergebnis produzieren, vielmehr dienen Zivil- und Strafprozesse der Kommunikation. Im Hinblick auf das Strafrecht betrifft dies die Kommunikation zwischen dem – potenziellen – Täter sowie der Rechtsgemeinschaft. Dabei wird die Gesellschaft durch den Richter oder die Richterin vertreten. Diese Aufgabe können technische Systeme nicht leisten. Nicht zu vergessen ist, dass trotz aller Bemühungen – etwa zur optimalen Sachverhaltserfassung – immer auch Fehler in Gerichtsverfahren geschehen können. Es bedarf daher verantwortlicher Personen, die Entscheidungen treffen – auch dies kann nicht auf einen „Robo-Judge“ übertragen werden.

Ich bin allerdings nicht der Auffassung, dass eine solche Lücke existiert, denn in jedem Fall hat sich ein Mensch einer Technologie bedient – und ist der Verantwortliche für die damit verbundenen negativen Folgen.

Mit Blick auf die digitale Transformation der Gesellschaft: Ist in Ihren Augen die Frage, wer bei Systemen mit Künstlicher Intelligenz die Verantwortung trägt und damit haftet, bereits zufriedenstellend geklärt?
In diesem Kontext wird häufig von einer Verantwortungslücke gesprochen. Damit ist gemeint, dass bei Fehlern der KI-Anwendungen niemand für negative Folgen haftet und damit die Verantwortung trägt. Das Problem resultiert daraus, dass sich die KI eigenständig weiterentwickelt und deswegen „Entscheidungen“ trifft, die für den Anwender oder die Anwenderin nicht immer vorhersehbar sind. Ich bin allerdings nicht der Auffassung, dass eine solche Lücke existiert, denn in jedem Fall hat sich ein Mensch einer Technologie bedient – und ist der Verantwortliche für die damit verbundenen negativen Folgen. Damit dies aber wiederum nicht das Aus für KI-Anwendungen bedeutet, weil sich ihrer aufgrund der Haftungsfolgen nur wenige bedienen möchten, müssen Kriterien für den sicheren und vertrauenswürdigen Einsatz von KI-Systemen erarbeitet werden. Und hier ist in letzter Zeit viel geschehen. Es besteht in der Rechtswissenschaft ein großes Forschungsinteresse im Bereich der Künstlichen Intelligenz.

Welche neuen Job-Profile werden sich im Bereich der fortschreitenden Digitalisierung für die junge Generation der Jurist*innen ergeben?
Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung sollten sich junge Juristen und Juristinnen grundsätzlich darauf einstellen, in der Arbeitswelt mit KI konfrontiert zu sein. Es ist deswegen zu empfehlen, ein gewisses Grundverständnis zu entwickeln. Ferner könnte es in Zukunft notwendig sein, den vertrauenswürdigen Einsatz von KI-Anwendungen zu bewerten, sowohl durch den Anwender und die Anwenderin als auch übergreifend, zum Beispiel durch eine Behörde. Die Digitalisierung wird dazu führen, dass sich die Tätigkeit von Juristen und Juristinnen künftig verändern wird. Viele Aufgaben, die wir schon heute aufgrund ihrer Eintönigkeit eher als lästig empfinden, werden uns Technologieanwendungen abnehmen können. Dies wird dazu führen, dass wir in Teilen unser Berufsbild neu erfinden oder zumindest im Schwerpunkt anders als bislang zuschneiden müssen.

Deutscher Ethikrat

Im Zuge der Corona-Pandemie rückte der Deutsche Ethikrat ins Zentrum der Debatte, weil hier überdisziplinär über die ethischen Auswirkungen politischer Entscheidungen diskutiert wurde. „Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens“, heißt es auf der Homepage. Die Mitglieder werden vom Präsidenten des Deutschen Bundestages ernannt, Vorsitzende ist seit 2020 die Medizinethikerin Prof. Dr. med. Alena Buyx. Frauke Rostalski wurde 2020 in das Gremium berufen, kurz nach dem Ausbruch des Corona- Virus. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind rechtliche und ethische Fragen der Fortschritte im Bereich der Medizin und der Biotechnologie, Herausforderungen der digitalen Transformation für Recht und Ethik sowie aktuelle rechtliche und ethische Fragen im Umgang mit der Pandemie.

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