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Kanzleien im Technologiewandel

Befand sich die Rechtsbranche schon vor der Corona-Krise in einem Veränderungsprozess, so übernahm die weltweite Pandemie nochmals eine Katalysatorfunktion. Doch wohin genau wird die Entwicklung gehen? Von Christoph Berger

Wirtschaftliche, demografische, regulatorische, technologische und wettbewerbliche Erfordernisse waren es, die den Rechtsmarkt in den letzten Jahren zu tiefgreifenden Veränderungen trieben. Und dann kam Corona. Das heißt nicht, dass die fünf aufgezählten Faktoren nun einfach beiseitegeschoben wurden. Vielmehr ist es laut Experten des Informationsdienstleisters Wolters Kluwer so, dass ihre Auswirkungen durch die Corona-Krise noch einmal zusätzlich verstärkt werden. Für die Future Ready Lawyer-Studie 2020: Treiber der Performance“ haben die Analysten aktuelle Branchentrends untersucht. Und sie sind der Frage nachgegangen: Wie gut sind Kanzleien, Rechtsabteilungen und Rechtsdienstleister darauf vorbereitet, effizienter für ihre Kunden zu arbeiten?

Warum die Frage entscheidend ist, erklärt Martin O’Malley, Executive Vice President und Managing Director von Wolters Kluwer Legal & Regulatory: „Angesichts der durch die Krise hervorgerufenen finanziellen Drucksituation für Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen wird in Zukunft die Leistung von Rechtsexperten und ihre Fähigkeit, einen Mehrwert zu liefern, noch mehr im Blickpunkt stehen.“ Die größten Auswirkungen in den kommenden drei Jahren erwarten die 700 in den USA und neun europäischen Ländern befragten Juristen in der steigenden Bedeutung von Legal Technology (76 %), in den sich ändernden Erwartungen von Kunden und der Unternehmensführung (74 %), in der Fokussierung auf eine verbesserte Effizienz und Produktivität (73 %) und der Fähigkeit, Nachwuchs anzuwerben und zu binden (73 %) sowie in der Bewältigung zunehmender Informationsmengen und der -komplexität (72 %).

Technologieeinsatz schafft Wettbewerbsvorteile

All diese Herausforderungen haben mit Technologie zu tun – und sie betreffen sowohl Rechtsabteilungen in Unternehmen als auch die Kanzleiwelt. So wird es laut den Unternehmensjuristen an erster Stelle (82%) der gesteigerte Einsatz von Technologie sein, von dem man sich eine Verbesserung der Produktivität erhofft. Big Data und Predictive Analytics werden dabei mitentscheidende Technologien sein. Die Kanzleien hingegen werden versuchen, mithilfe neuer Technologien, die Kanzleiabläufe und die Kundenservices zu verbessern. Nicht zuletzt werden sie durch alternative Anbieter von Rechtsdienstleistungen vermehrt unter Druck gesetzt und müssen reagieren. Ihre Vertreter sehen in Künstlicher Intelligenz die entscheidende Technologie.

Die zu bewältigenden Herausforderungen mögen damit erkannt sein, auffällig ist jedoch sowohl bei Unternehmens- als auch Kanzleijuristen die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand. So denken gerade mal 25 Prozent der Unternehmensjuristen, die für sie entscheidenden Technologien zu verstehen. Und von den Kanzleien glauben ebenfalls nur 29 Prozent, in Bezug auf das Verständnis der vorhandenen Technologielösungen sehr gut vorbereitet zu sein. Zwar hätten sich bereits vor der Corona-Krise Rechtsabteilungen und Kanzleien schon mit der Digitalisierung beschäftigen müssen, schreiben die Studien-Autoren von Wolters Kluwer, doch sei diese Auseinandersetzung in ganz unterschiedlichem Tempo von den Akteuren vonstattengegangen. Jetzt, wegen der Krise, müssten technologische Lösungen im Eilverfahren implementiert werden. Und es zeige sich, dass Kanzleien und Rechtsabteilungen, die Technologie umfassend und effektiv einsetzen, Organisationen mit einer weniger intensiven Technologienutzung durchweg übertreffen.

Legal Tech in der juristischen Ausbildung

Mit dieser beschrieben Diskrepanz steht die Rechtsbranche nicht alleine da. In der von Clifford Chance im Sommer 2019 durchgeführten Studie „Talking Tech: Connecting Digital & Law“ kam heraus, dass nur jeder dritte Entscheider mit dem Stand der Digitalisierung und dem Einsatz von digitalen Technologien in seinem Unternehmen sehr zufrieden ist. Befragt worden waren für die Untersuchung knapp über 200 Manager der 1. bis 3. Führungsebene aus Unternehmen ab 250 Mitarbeitern, alle Branchen außer Steuern, Wirtschaftsprüfung, Recht und öffentlicher Dienst.

Doch auch wenn es anderen Branchen ähnlich wie der Rechtsbranche geht, hinkt der Vergleich. Schaut man sich nämlich die größten Hürden der anderen Branchen hin zur Digitalisierung an, so werden hier neben fehlenden Fachkräften vor allem die Berücksichtigung rechtlicher Aspekte genannt. Zum Beispiel der Datenschutz, die Haftung oder Datensicherheit. Die Rechtsbranche müsste demnach also Vorreiter in Sachen Technologieeinsatz sein. Und zumindest scheint die Beratung sogar zu klappen, denn Clifford Chance hat herausgefunden, dass insgesamt neun von zehn Unternehmen auf juristische Unterstützung zurückgreifen – sei es auf die eigene Rechtsabteilung (63%) oder auf externe rechtliche Berater (58 %). Doch wieso funktioniert die Technologieeinführung dann in der eigenen Branche nicht? Ist es ein Personal- und/oder Zeitproblem? Sind es unterschiedliche Schuhe, zum einen hinsichtlich rechtlicher Fragestellungen zu beraten und andererseits selbst technische Lösungen einzuführen? Existiert in den Rechtsabteilungen und Kanzleien überhaupt ausreichend technisches Know-how?

Vor allem im Hinblick auf die letzte Frage könnte die von der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit im Mai 2020 veröffentlichte Untersuchung „Legal Tech in der juristischen Ausbildung“ Erkenntnisse liefern. „Mit Blick auf den Ist-Zustand der juristischen Ausbildung in Deutschland legen diese Entwicklungen einen dringenden Handlungsbedarf offen. Die Studie empfiehlt, vor allem statistische Methoden der Data Sciences und die technischen Grundlagen von ‚Legal Tech‘ schnellstmöglich in das Pflicht- und Wahlpflichtprogramm sowie in den juristischen Vorbereitungsdienst aufzunehmen“, schreibt Autor Dr. Heribert M. Anzinger, Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Steuerrecht im Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm. Und damit schließt sich dann doch wieder der Kreis zu den anderen Branchen: Es fehlen auch bei den Juristen die entsprechenden Fachkräfte.

Legal Tech-Studiengänge und -Labs

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