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Wirtschaftsprüfung: In der Verantwortung

Der Paradigmenwechsel ist da: Klima- und Coronakrise treiben Unternehmen zum Umdenken an. Erfolgreich zu sein, bleibt das Ziel des Managements. Doch die Dimensionen erweitern sich: Soziale, ökologische und gesundheitliche Faktoren gewinnen immens an Bedeutung. Einfluss hat das auch auf die Wirtschaftsprüfung, in der die Arbeit an und Beratung zu nichtfinanziellen Unternehmensberichten verstärkt zum Thema wird. Von André Boße.

„Das Geschäft des Unternehmens ist das Geschäft.“ Diesen legendären Satz des Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman zitiert Martin Wambach, Geschäftsführender Partner der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Rödl & Partner im Vorwort einer aktuellen Publikation des Unternehmens, die sich dem Thema Klimaschutz widmet. Wobei Wambach klarmacht: Dieser Satz stammt noch aus den 70er-Jahren. Aus einer anderen Epoche also. Über Jahrzehnte hat er die Agenda der Unternehmen bestimmt – als eine Agenda, die „intensiv vom Ziel der Gewinnmaximierung bzw. der Maximierung des Shareholder Values beherrscht wurde“, wie Wambach schreibt. Im Jahr 2020 jedoch gerate diese Agenda massiv ins Wanken: „Wir alle beginnen zu verstehen, dass in einer globalisierten und vernetzten Welt die einzelnen gesellschaftlichen Akteure ihre Agenden nicht an monokausalen, singulär betriebswirtschaftlichen Zielen ausrichten können.“

Unternehmen sind erst dann im Jahr 2020 angekommen, wenn sie erkennen, dass ihre Verantwortung weit über die eigenen Geschäfte hinausgeht.

Es geht um gesellschaftliche Akzeptanz

Wie Friedman seinen Satz heute formulieren würde, mit Blick auf die riesigen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Herausforderungen? Wambach schlägt folgendes vor: „Das Geschäft des Unternehmens ist gesellschaftliche Akzeptanz.“ Keine Rede also mehr von Business und Kapital, wobei Martin Wambach damit nicht meint, die Unternehmen müssten sich kleinmachen. Im Gegenteil, für ihn ist es an der Zeit, dass die wirtschaftlichen Akteure ihre bestimmende Rolle in dieser Welt annehmen: „Unternehmen prägen unsere Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht. Zum einen werden sie als selbstständige Akteure verstanden, zum anderen prägen Unternehmen ihre Mitarbeiter. Sie wirken als Multiplikatoren und sind Katalysatoren von Veränderungen. Aus diesen Funktionen erwächst eine Verantwortung, die Unternehmen gezielt kraftvoll einsetzen können, wenn sie dauerhaft erfolgreich sein wollen.“

Leitlinien zu klimabezogenen Berichten

Die EU-Kommission hat im Juni 2019 unverbindliche Leitlinien zur Berichterstattung über klimabezogene Informationen veröffentlicht. Diese geben Unternehmen Empfehlungen, wie sie darüber berichten können, wie ihre Aktivitäten sich auf den Klimawandel auswirken und welchen Einfluss dieser auf das Geschäftsmodell nimmt. Hier stehen besonders potenzielle Risiken im Fokus. Die Leitlinien erhalten zudem Best Practice-Beispiele zur Berichterstattung über wesentliche Erfolgsfaktoren. Die Leitlinien zum Download: Website der Kommission oder der Wirtschaftsprüferkammer.

Die Grundlage des Erfolgs hat sich seit den 70er-Jahren also entscheidend geändert: Zu Friedmans Zeiten war alleine das Geschäft ausschlaggebend – ein enger Blick, der damals sinnvoll erschien: Wer Dinge verkaufen will, der muss sich halt blendend darauf verstehen, diese Dinge herzustellen und zu vertreiben. In den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts erweitert sich nun der Erfolgsbegriff um weitere Ebenen. Ausschlaggebend ist nicht nur, ob ein Unternehmen mit seinen Produkten ein Angebot herstellt, das im Markt nachgefragt wird. Im Blick haben müssen die wirtschaftlichen Organisatoren zu jeder Zeit die gesamte Gesellschaft – also auch diejenigen Akteure, die zwar als Kunden nicht in Frage kommen, sich aber dennoch sehr genau anschauen, auf welche Art das Unternehmen Geschäfte macht und welche Folgen diese haben. Unternehmen sind erst dann im Jahr 2020 angekommen, wenn sie erkennen, dass ihre Verantwortung weit über die eigenen Geschäfte hinausgeht. Diese Verantwortung, so Martin Wambach, beinhalte, „sich als verlässlicher Partner im Veränderungsprozess und Treiber für nachhaltige Entwicklungen zu begreifen.“

Gesamtes Management auf dem Prüfstand

Diese Transformation in die Nachhaltigkeit lässt keinen Bereich aus. Modernes Management analysiert daher in allen Segmenten der Organisation den Ist-Zustand, um daraus Ziele abzuleiten. Dazu zählen zukunftsorientierte Rechenzentren, die zu einer deutlich nachhaltigeren IT-Landschaft führen – wobei hier auch die Kommunikationskultur eine Rolle spielt: Es ist wichtig, dass Mitarbeiter begreifen, dass es zwar gut ist, auf digitale Kommunikation zu setzen und somit Papier zu sparen, dass andererseits aber auch jede verschickte E-Mail einen CO2-Fußabruck hinterlässt. Zur Management-Aufgabe im Jahr 2020 zählt es auch, mit Blick auf die Folgen der Pandemie zu analysieren, welche neuen Arten des Arbeitens und von Meetings in einer Post- Corona-Zeit beibehalten werden können.

Mobiles und flexibles Arbeiten war lange Zeit eine softe Idee, der selten harte Entscheidungen folgten. SARS-CoV-2 hat das geändert, sehr wahrscheinlich sogar für immer: Der französische Autokonzern PSA hat im Zuge der Corona-Krise einen Paradigmenwechsel vorgenommen, der Ende 2019 kaum möglich gewesen wäre: Der Mutterkonzern der Marken Opel, Citroën und Peugeot hat eine „Neue Ära der Agilität“ ausgerufen, die den CO2-Abdruck verkleinert, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärkt und die Gesundheit jedes Einzelnen sowie der Belegschaft schützt. Was das konkret heißt? Wer nicht in der Produktion arbeitet, für den ist ab jetzt nicht mehr der Arbeitstag im Office die Regel, sondern im Homeoffice. Ein bis anderthalb Tage in der Woche im Konzernbüro – das müsste reichen, wer häufiger kommen will, müsse das begründen, so die PSADirektive.

Homeoffice wird zum Standard

Was für ein Wandel! Noch bis Ende 2019 war es üblich, dass diejenigen die Begründung vorlegen mussten, die im Homeoffice tätig sein wollten, wobei nicht selten alles Argumentieren nichts half. Hier wird deutlich, wie sehr die Pandemie tatsächlich an vielen Stellen im Management den Hebel umgelegt hat. „Mit der Gelegenheit des Paradigmenwechsels nach der Krise wollen wir unseren Handlungen mehr Sinn geben, die richtige Energie zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetzen, Ressourcen und Zeit verantwortungsbewusster nutzen“, sagt Xavier Chéreau, Personalchef der Groupe PSA und zuständig für die Transformation des Unternehmens. Ganz bewusst spricht er von „Sozialpartnern“, mit denen zusammen der Konzern gesellschaftliche Veränderungen beobachtet, „die uns darin bestärken, die Motivation und das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter zu wichtigen Säulen der Unternehmensleistung zu machen“. Man könnte nun fragen: Warum nicht schon früher? Andererseits, besser spät als nie.

Klimaschutz-Unternehmen

Im Verein Klimaschutz-Unternehmen haben sich Unternehmen zusammengetan, die sich als Vordenker und Vorreiter bei diesem Thema sehen. Aktuell hat der Verband 39 Mitglieder. Die Idee ist es, sich ambitionierte Ziele zu setzen und individuelle Lösungen für die betriebliche Energieeffizienz bei Produkten, Dienstleistungen und Produktionsprozessen zu entwickeln, die einen wirklich messbaren Unterschied machen und als Best-Practice-Modelle auch für andere Unternehmen umsetzbar sind. www.klimaschutz-unternehmen.de

Einen Einfluss hat dieser Paradigmenwechsel in Richtung gesellschaftlicher Verantwortung auch für den Bereich der Wirtschaftsprüfung. Noch geht es hier um Zahlen, jedoch gibt es Signale, dass sich bereits vieles ändert – und noch mehr ändern wird. Die EU-Kommission erlässt Gesetze und formuliert Leitlinien, die von den Unternehmen „nichtfinanzielle Berichte“ fordern oder empfehlen. Das Corporate Social Responsibility (CSR)-Richtlinie-Umsetzungsgesetz verpflichtet bestimmte kapitalmarkorientierte Unternehmen bereits jetzt dazu, nichtfinanzielle Berichte anzufertigen, die erläutern, was das Unternehmen in den Belangen der Umwelt, der Arbeitnehmer, der Menschenrechte sowie der Korruptionsund Bestechungsbekämpfung tut. „Die inhaltliche Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung hat durch den Aufsichtsrat als Überwachungsorgan zu erfolgen. Der Abschlussprüfer muss lediglich prüfen, ob die Erklärung bzw. der Bericht abgegeben wurde. Er kann allerdings freiwillig mit einer inhaltlichen Prüfung beauftragt werden“, sagt Christian Maier, Wirtschaftsprüfer bei Rödl & Partner.

Klimabezogene Berichterstattung: Fokus auch für Prüfer

Wer sich in dieser Angelegenheit freiwillig prüfen lässt? Unternehmen mit Weitblick. Für Maier ist das ernsthafte Engagement in diesem Bereich sowie die Fähigkeit, diese Aktivitäten auch tatsächlich zu erläutern, eine Chance, sich „tatsächlich mit der Resilienz ihres Geschäftsmodells im Zeichen des Klimawandels auseinanderzusetzen.“ Eine Arbeitsgruppe der EU in Brüssel hat sich die klimabezogene Berichterstattung von Unternehmen genauer angeschaut, die Analyse stellt fest, wo es hakt: Häufig seien die Aussagen zum Klimaschutz zu allgemein, zu wenig auf das Unternehmen bezogen. Maßnahmen werden häufig aufgezählt, jedoch ohne ihnen einen kontextuellen Rahmen zu geben, sodass es schwerfällt, ein Gesamtbild der Aktivitäten zu erkennen.

Eines ist klar: Der Paradigmenwechsel ist eingeleitet – und einen Schritt zurück wird es nicht mehr geben.

Der Wirtschaftsprüfer Christian Maier sagt, es werde deutlich, „dass die Unternehmen bei der klimabezogenen Berichterstattung noch in den Kinderschuhen stecken.“ Sein Ratschlag: Auch, wenn aktuell nur bestimmte kapitalmarktorientierte Unternehmen zur Berichterstattung verpflichtet seien, sollten sich auch kleine und mittelständischer Unternehmen Gedanken zu freiwilligen klimabezogenen Angaben machen. „Der Klimawandel und seine Folgen müssen unternehmensspezifisch adressiert, Geschäftsmodelle in Zeiten des Klimawandels auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Maier – und betont: „Der Preis, sich nicht mit dem Thema auseinanderzusetzen, kann hoch ausfallen.“ Es stehe dabei weitaus mehr als „nur“ Reputation auf dem Spiel: Er gehe davon aus, dass die Regelungen und Leitlinien, die aktuell nur für bestimmte kapitalmarktorientierte Unternehmen gelten, auch auf andere Unternehmensarten erweitert werden. „Und zwar eher früher als später.“

Für junge Menschen, die in der Wirtschaftsprüfung Karriere machen möchten, ergeben sich hier neue Chancen: Die Gesellschaften benötigen in Zukunft verstärkt Mitarbeiter, die sich nicht nur mit Zahlen auskennen, sondern auch in der Lage sind, klimabezogene Berichte zu bewerten. Im Fokus stehen dabei insbesondere drei Aspekte: Wird das Unternehmen der Verantwortung gerecht? Ergeben sich durch wenig nachhaltige und klimaschädliche Segmente und Aktivitäten unternehmerische Risiken? Und, nicht zuletzt: Wirken die Maßnahmen im Sinne von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit attraktiv auf Investoren sowie Kunden – und halten sie der kritischen Prüfung von Seiten der Politik und NGOs stand? In den Beratungs- und Prüfungsgesellschaften werden die Kräfte gute Chancen haben, die Unternehmen fundiert beraten, aber auch im Sinne der Gesellschaft die Unternehmen so genau prüfen, dass zum Beispiel ein „Greenwashing“ nicht mehr möglich sein wird. Denn eines ist klar: Der Paradigmenwechsel ist eingeleitet – und einen Schritt zurück wird es nicht mehr geben.

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Vertrauen ist für die Gesellschaft so wichtig wie für den Einzelnen die Luft zum Atmen – doch wir befinden uns in einer Vertrauenskrise: Unternehmen wird nicht mehr vertraut, Politikern auch nicht, und der Presse wird vorgeworfen, Fake News zu verbreiten. Martin Hartmann, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern, betrachtet diese Krise und analysiert, was Vertrauen ist, warum es so grundlegend wichtig ist und wie wir „dem Vertrauen Luft zum Atmen geben“. Sein Plädoyer: Wagen wir wieder mehr Vertrauen – für ein besseres Miteinander. Martin Hartmann: Vertrauen. Die unsichtbare Macht. S. Fischer 2020. 22 Euro

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