Den Skandinaviern wird Innovationsfreude und eine überdurchschnittliche Sozialverträglichkeit in vielerlei Dingen nachgesagt. Charakteristika, die Rechtsanwältin Julia Loos nur bestätigen kann. Auch wenn sie für eine deutsche Kanzlei arbeitet. Doch die ist eng mit der skandinavischen Kultur und Wirtschaft verbunden. Aufgezeichnet von Christoph Berger
Julia Loos
Studium: Jura an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Schwerpunkt im Referendariat und Staatsexamen: Arbeitsrecht, Referentin einer Bundestagsabgeordneten im Rechtsausschuss und Unterausschuss Europarecht, 2014 Start als Rechtsanwältin im Frankfurter Büro der schwedischen Kanzlei Mannheimer Swartling, aus deren deutschen Büros 2016 kallan als neue, eigenständige Kanzlei hervorging, für die Julia Loos seitdem tätig ist.
Auch wenn der Zufall letztlich Schicksal spielte, nach Schweden blickte Julia Loos schon vor ihrem Einstieg in eine auf Skandinavien spezialisierte Kanzlei. „Nach dem 2. Staatsexamen überlegte ich, in Schweden einen Master of Laws zu absolvieren. Da kam das Angebot einer Bundestagsabgeordneten dazwischen, als Referentin für sie zu arbeiten. Das wollte ich gerne annehmen“, sagt sie. In diese Jobphase fiel auch die Geburt ihres ersten Kindes. Später, aus der Elternzeit heraus, bewarb sie sich auf eine Stellenausschreibung für Arbeitsrechtler bei der führenden skandinavischen Wirtschaftskanzlei Mannheimer Swartling. Und wurde genommen. Das war 2014.
Seitdem berät sie vorrangig Rechts- und Personalabteilungen skandinavischer Unternehmen hinsichtlich arbeitsrechtlicher Maßnahmen in Deutschland. Seit 2016 tut sie dies für kallan, die als eigenständige Kanzlei aus den deutschen Büros von Mannheimer Swartling hervorgegangen ist. „Gerade im Arbeitsrecht zeigt sich, dass es große Unterschiede zwischen Deutschland und insbesondere Schweden gibt“, erklärt Loos. Während man in Schweden eher von einer Konsensgesellschaft ausgehe, in der versucht werde, Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im gegenseitigen Einvernehmen zu lösen, werde in Deutschland eher und schneller geklagt.
„In Schweden gibt es auch keine Betriebsräte“, nennt Loos einen weiteren Unterschied. Dafür würden in Schweden die Gewerkschaften eine größere Rolle spielen – selbst, wenn der Arbeitgeber keinem Tarifvertrag unterliegt. „Da braucht es Fingerspitzengefühl, um den schwedischen Mandanten zum Beispiel zu vermitteln, dass Klagen von Arbeitnehmern in Deutschland üblich sind“, sagt Loos, „alleine schon die kurzen Fristen für das Einreichen einer Kündigungsschutzklage sind ein Grund für den Gang vor Gericht.“
Da fast alle Kanzleipartner sehr eng mit Skandinavien verbunden sind, fließend Schwedisch sprechen und eine Partnerin sogar die schwedische Anwaltszulassung hat, fand sich Julia Loos sehr schnell in den gesellschaftlichen und rechtlichen Unterschieden zurecht. In der Kanzlei werde skandinavische Kultur gelebt, sagt sie. Auch eine gebürtige Dänin zählt zu den Kolleginnen. Und sie selbst sei gerade dabei, die schwedische Sprache zu lernen. Dazu stellt die Kanzlei Sprachkurse zur Verfügung. „In länderübergreifenden Meetings, auf Reisen und bei gemeinsamen Events bekomme ich ebenfalls sehr viel mit“, erzählt sie.
Zur skandinavischen Kultur passt auch, Familien- und Arbeitsleben so miteinander zu verbinden, dass keiner der beiden Aspekte zu kurz kommt. Inzwischen hat Julia Loos ein zweites Kind bekommen und eine einjährige Elternzeit hinter sich. Diese zu nehmen, sei überhaupt kein Problem gewesen, erzählt sie: „Das liegt auch an unserer engen Verbindung zu Skandinavien, die unsere Unternehmenskultur prägt.“ Selbst bei ihren männlichen Kollegen werde diese Möglichkeit immer wieder – auch für längere Zeit – in Anspruch genommen. Einen Karrierestillstand ziehe das nicht nach sich, direkt nach ihrem Wiedereinstieg wurde sie unmittelbar in große Mandate integriert. Außerdem stehen ihr flexible Arbeitszeiten und das Home Office als Möglichkeiten zur Verfügung, die beiden Welten unter einem Hut miteinander zu vereinen. Sie sagt: „Das wird wirklich gelebt und ist einzigartig.“