Als Arbeitsdirektorin, Chief Human Ressources Officer und Mitglied des Vorstands von Siemens zählt Janina Kugel zu den Frauen mit der größten Personalverantwortung in Deutschland. Im Interview erzählt die 49 Jahre alte VWL-Absolventin, ob auch sie auf gläserne Decken und alte Vorurteile traf und was ihr Konzern tut, um Diversität in allen Bereichen zu garantieren. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Janina Kugel, 49 Jahre, studierte Volkswirtschaft an der Universität Mainz und an der Università degli Studi di Verona, Italien. Ihren beruflichen Werdegang begann sie 1997 als Management Consultant bei Accenture. 2001 kam sie als Vice President Business Transformation & Knowledge Management zu Siemens. Dort war sie in verschiedenen Führungspositionen tätig, bevor sie 2012 kurz als Personalchefin zu Osram ging. 2013 kehrte sie zu Siemens zurück, wo sie zunächst die Personalstrategie- und Führungskräfteentwicklung leitete, 2014 zusätzlich als Chief Diversity Officer tätig war und 2015 zum Mitglied des Vorstands berufen wurde.
Frau Kugel, als Arbeitsdirektorin tragen Sie die Verantwortung für rund 380.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Siemens. In welchen Momenten werden Sie sich dieser Verantwortung besonders bewusst?
Die Verantwortung ist allgegenwärtig, es geht schließlich um Menschen. Und besonders heute, wo die Digitalisierung immer schneller die Arbeitswelt verändert und viele Menschen verunsichert, ist Verantwortungsbewusstsein wichtig. Verantwortung müssen einerseits wir als Unternehmen gegenüber unseren Mitarbeitern übernehmen, andererseits muss aber auch jeder selbst Verantwortung für sich übernehmen, indem er bereit ist, ständig Neues zu lernen. „Lebenslanges Lernen“ ist keine Floskel – es ist in der heutigen Arbeitswelt zwingend erforderlich!
Wann wird diese Verantwortung unter Umständen zu einer Belastung?
Verantwortung übernehmen bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Da muss ich das Wohl der gesamten Belegschaft im Blick behalten. Das bedeutet manchmal auch, dass eine Entscheidung für einige Mitarbeiter schmerzhaft ist, weil sie beispielsweise ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Digitalisierung wird neue Arbeitsplätze schaffen, aber sie wird auch dazu führen, dass manche Arbeitsplätze nicht mehr benötigt werden. Wenn ich das den betroffenen Mitarbeitern von Angesicht zu Angesicht sagen muss, dann geht das auch an mir nicht spurlos vorüber.
Nur wenn wir ein Umdenken in der Gesellschaft erreichen, werden wir mehr Diversität erreichen.
Wir tun aber viel, um für den gegenwärtig stattfindenden Strukturwandel gewappnet zu sein. Siemens gibt jährlich mehr als 500 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung aus. In den nächsten vier Jahren kommen noch einmal bis zu 100 Millionen Euro für Qualifizierungsmaßnahmen den Strukturwandel betreffend hinzu.
Was ist Ihr ganz persönlicher Ansatz, um Karrieren von Frauen in einem Konzern wie Siemens nachhaltig zu unterstützen?
Unser Engagement, Frauen auf allen Ebenen des Unternehmens zu fördern, endet nicht mit der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Deshalb fördern wir weiterhin verschiedene Initiativen, Programme und Maßnahmen, um einen Kulturwandel in Geschlechtergleichheit, Vielfalt und Integration auszulösen. Beispielsweise gibt es bei Siemens weltweit mehr als 45 Netzwerke für Frauen. Allein im „Grow2Glow“-Netzwerk coachen mehr als 140 Führungskräfte ihre Kolleginnen. Mit Initiativen wie „Job Shadowing“ oder „Unconscious-Bias- Trainings“ wollen wir den Nutzen, den Diversity jedem von uns und dem Unternehmen bringt, verdeutlichen – besonders unseren Führungskräften. Denn dort muss Diversity vorgelebt werden. Neben all dem möchte ich aber auch an die Frauen selbst appellieren: Frauen müssen mutiger und selbstbewusster im Arbeitsalltag sein!
Sind Sie jemals an die ominöse gläserne Decke gestoßen?
Natürlich, die gläserne Decke ist ja leider immer noch allgegenwärtig. Schauen Sie sich die Besetzung von Führungspositionen an. Was Diversität betrifft, liegt Deutschland im internationalen Vergleich ziemlich weit hinten. Letztlich muss zwar jeder oder jede selbst durch Leistung überzeugen und hat damit ein Stück weit selbst die Karriere in der Hand. Dazu braucht es Wissen, Überzeugungskraft und Beharrlichkeit. Aber die Chancen sind nicht für alle gleich, insbesondere in Deutschland zeigt sich, dass die Herkunft und auch der Bildungsabschluss der Eltern für das eigene Fortkommen eine erhebliche Rolle spielen. Nur wenn wir ein Umdenken in der Gesellschaft erreichen, werden wir mehr Diversität erreichen. „Diversity“ beflügelt Innovationen und macht uns erfolgreicher! Und das gilt nicht nur für Gender-Diversity.
Wie blicken Sie generell auf die Wege von Frauen in großen Unternehmen? Tut sich was? Oder wird zwar viel geredet, bleiben die Folgen aber hinter Ihren Erwartungen zurück?
Auf Unternehmensseite gibt es heute viele gute Initiativen zur Frauenförderung – nicht nur bei Siemens. Wir dürfen aber nicht lockerlassen, sonst rutschen wir wieder in alte Denkmuster und Frauenbilder ab. Und die sind noch stark vertreten.
„Diversity“ beflügelt Innovationen und macht uns erfolgreicher! Und das gilt nicht nur für Gender-Diversity.
Welche meinen Sie konkret?
Ich finde es befremdlich, wenn ich lese, dass manche es nicht für im Interesse ihres Unternehmens halten, wenn Frauen zum Beispiel im Vorstand vertreten sind. Oder wenn manche immer noch glauben, dass nur Männer Führungskräfte sein können. Solche Beispiele zeigen, dass wir in der Gesellschaft noch einen weiten Weg vor uns haben – auch wenn wir schon viel erreicht haben.
Unter „Unconscious Bias“ versteht man unbewusste Vorurteile und Annahmen einer Person gegenüber. So leiden Frauen gerade in technischen Konzernen häufig darunter, dass man sie schon im Vorfeld unterschätzt. Wie gelingt es Ihnen, diese Voreingenommenheit auszuschließen oder zumindest ihre Wirkung bei Personalentscheidungen abzumildern?
Zunächst einmal sind unbewusste Denkmuster – oder auf Englisch „Unconscious Bias“ – nicht per se schlecht, sie können uns in manchen Situationen auch vor Gefahren schützen. Aber es gibt auch Denkmuster, die nicht einfach aus den Köpfen vieler Menschen herauszubekommen sind. Prominente Beispiele dafür sind bestimmte Frauen- oder Männerbilder. So hat eine Studie der Harvard University ergeben, dass mehr als 70 Prozent aller Menschen Karriere eher mit Männern, Familie dagegen eher mit Frauen verbinden. Das führt dazu, dass es Frauen schwerer haben, in Führungspositionen zu gelangen. Wir verzichten damit auf einen wertvollen Pool an Fachkräften. Das ist besonders gravierend in Zeiten des Fachkräftemangels.
Bei Siemens möchten wir unsere Mitarbeiter sensibilisieren, damit sie unbewusste Denkmuster erkennen und mit gezieltem Training überwinden können. So haben wir beispielsweise eine Online-Schulung entwickelt, die auf allen Hierarchieebenen – im Management, von Angestellten und in der Personalabteilung – genutzt werden kann. Vor drei Jahren haben wir zudem eine globale Unconscious-Bias-Expertengruppe ins Leben gerufen – als Ratgeber, um die lokale Realisierung von Projekten zu unterstützen. Denn wenn sich jeder von uns über seine „bias“ bewusst wird, dann besteht die Chance, aktiv dagegen zu steuern und damit auch die alten Denkmuster aufzubrechen.
Was geben Sie persönlich jungen Frauen mit auf den Weg, die jetzt vor dem Einstieg ins Berufsleben stehen?
Egal ob junge Frau oder junger Mann – ich gebe beiden denselben Rat mit auf den Weg: Seid bereit, euer ganzes Leben lang zu lernen und eure Qualifikationen ständig anzupassen. Es reicht heutzutage nicht mehr aus, nur mit einer Ausbildung das ganze Berufsleben zu bestreiten – dafür ändert sich die Welt, in der wir leben und arbeiten, viel zu schnell.
Zum Unternehmen
Siemens ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit rund 380.000 Beschäftigten. Der Schwerpunkt des Geschäfts liegt auf den Gebieten Stromerzeugung und -verteilung, intelligente Infrastruktur bei Gebäuden und dezentralen Energiesystemen sowie Automatisierung und Digitalisierung in der Prozess- und Fertigungsindustrie. Durch das eigenständig geführte Unternehmen Siemens Mobility gestaltet das Unternehmen außerdem den Weltmarkt für Personen- und Güterverkehr. Über die Mehrheitsbeteiligungen an den börsennotierten Sparten „Healthineers“ und „Gamesa Renewable Energy“ gehört das Unternehmen zudem zu den führenden Anbietern von Medizintechnik und digitalen Gesundheitsservices sowie umweltfreundlichen Lösungen für die On- und Offshore-Windkrafterzeugung.