„Juristen kommunizieren oftmals mit vagen Aussagen, um beispielsweise falsche Beschuldigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen zu verhindern. Neurokognitive Studien zur Personenbeurteilung zeigen jedoch, dass diese Ausdrucksweise nicht immer zum gewünschten Ziel führt. Von Christoph Berger
In dubio pro reo. Oder: Im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Grundsatz sagt dem Gericht, wie es zu entscheiden hat, wenn es Zweifel bei einer Entscheidung hat. Nicht ohne Grund wählen Juristen auch gerne Begriffe wie „angeblich“, „mutmaßlich“ oder „wird verdächtigt“. Auf diese Weise wird Zweifel am Wahrheitsgehalt von Informationen ausgedrückt. Oder es sollen falsche Beschuldigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen verhindert werden. Und nicht zuletzt hat dieser Grundsatz längst Eingang in unsere Alltagskommunikation genommen. Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin haben nun allerdings untersucht, wie das menschliche Gehirn derartig verbal kommunizierte Personeninformationen verarbeitet und Urteile beeinflusst. Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass es sich bei den Urteilen nicht um Gerichtsurteile handelt, sondern um persönliche Urteile von Menschen über andere.
Doch anders, als man unter Umständen denken mag, kamen die Neurowissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Urteile über Personen nicht automatisch aufgrund unsicherer Informationen abgemildert oder gar Fehlurteile vermieden werden. Dies wiesen sie anhand von Messungen der Gehirnaktivität von Versuchsteilnehmern mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG) nach, während sie den Probanden Informationen mit negativen oder vergleichsweise neutralen Inhalten zu zuvor unbekannten Gesichtern gaben. Dabei stellten sie fest, dass die erhaltenen Informationen die Probanden stark beeinflussten. Zwar sei von den Studienteilnehmern erkannt worden, dass die Informationen zu den Gesichtern unzuverlässig sind, doch auf die im EEG festgestellte emotionale Reaktion habe das keinen mildernden Einfluss sowie das dann gefällte Urteil über die Personen gehabt. Die Urteile fielen negativ aus. Gleiches passierte bei der Weitergabe von positiven Informationen zu den Gesichtern – nur in anderer Richtung. Diese Personen wurden von den Versuchsteilnehmern als sympathisch eingeschätzt und positiv beurteilt. Auch hier sprachen die über das EGG festgehaltenen Gehirnaktivitäten eine deutliche Sprache – wobei auch der geäußerte Zweifel beziehungsweise die Zuverlässigkeit an den Informationen keinen modulierenden Einfluss hatte.
Quelle: Clear judgments based on unclear evidence: Person evaluation is strongly influenced by untrustworthy gossip
Die Befunde zeigen laut den Wissenschaftlern, dass wir Menschen tendenziell selbst dann stark emotional beurteilen, wenn dieses Urteil wissentlich auf unsicherer Evidenz beruht. Somit scheint sich auch ein anderes Sprichwort zu bewahrheiten: semper aliquid haeret. Übersetzt: Verleumde nur dreist, es bleibt immer etwas hängen. Hoffnung könnte allerdings machen, dass die Studienteilnehmer nicht explizit dazu aufgefordert worden waren, die emotionalen Inhalte zu unterdrücken oder sich bewusst mit den Auswirkungen von Gerüchten auseinanderzusetzen. Dies soll in künftigen Studien passieren, um dann festzustellen, ob es Wege gibt, die Unzuverlässigkeit personenbezogener Informationen zu berücksichtigen und somit emotionalen Reaktionen und Urteile zu regulieren.