Die Baubranche wurde von der digitalen Transformation erfasst. Die Digitalisierung wird, wie es derzeit auch in anderen Branchen passiert, die Gesamtheit der Prozesse am Bau beeinflussen. Jetzt geht es um die Umsetzung. Diese eröffnet Bauingenieuren viele neue Möglichkeiten: zum Beispiel in der Bauplanung, Bauüberwachung und Qualitätssicherung. Ob neue Baustoffe aus dem 3D-Drucker oder Roboter auf der Baustelle: Spannende digitale Innovationen stehen für eine echte Revolution der Arbeit auf dem Bau. Damit dockt die Arbeit des Bauingenieurs noch stärker an Maschinenbau und IT an. Die Aufgabe ist es, digitale Planungsdaten für die Baustelle nutzbar zu machen. Ein attraktives Job-Profil. Von André Boße
Angenommen, ein technisch interessierter Mensch hat 20 Jahre als Eremit in der Einöde verbracht. Nun packt er seine sieben Sachen zusammen und zieht zurück aus dem Wald in die Stadt. Ihn interessiert, was sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten technisch getan hat. Also besucht er Fabriken – und staunt über neue Automaten und digitale Schnittstellen. Keine Frage, hier hat sich eine Menge getan, die Innovationen sind offensichtlich. Danach besucht er eine Baustelle – und denkt sich: Scheinbar alles beim Alten. Das gleiche Gerät wie vor 20 Jahren, noch immer steht der Bauplan auf Papier. Innovationen sind auf den ersten Blick kaum zu entdecken.
Wer erfahren möchte, warum das so ist, erhält Antworten bei Sigrid Brell-Cokcan. Die 43-Jährige Wissenschaftlerin ist seit 2015 Universitätsprofessorin für das Fach Individualisierte Bauproduktion an der RWTH Aachen University. Dabei versteht sie sich nicht nur als Forscherin, sondern auch als Vermittlerin zwischen zwei Welten. Da ist einerseits der Maschinenbau, eine verstärkt durchdigitalisierte Welt, und andererseits der Hausbau – eine Branche, die sie mit Blick auf Innovationen als „behäbig“ einschätzt.
3D-Drucker aus einem Baukastensystem
Fischertechnik hat den weltweit ersten 3D-Drucker aus einem Baukastensystem entwickelt.
Er enthält auf die Fischertechnik-Bauteile abgestimmte Komponenten der German RepRap GmbH, einem renommierten 3D-Drucker-Spezialisten. Um die Technik sicht-und erlebbar zu machen, wurde bewusst auf eine umschließende Abdeckung verzichtet. In der Bibliothek der Software sind zahlreiche fertige Druckbeispiele als druckfähige G-Codes gespeichert. Die Software erlaubt es aber auch, aus Internet-Datenbanken importierte oder selbst mit einem CAD-Programm gestaltete STL-Dateien in der Fischertechnik-Software 3D Print Control zu nutzen und im Slicer in einen druckfähigen G-Code zu verarbeiten. Der Baukasten enthält 890 Bauteile.
„Ein Grund dafür ist, dass die Baubranche keinen so großen Globalisierungsdruck spürt wie der Maschinenbau“, erklärt Sigrid Brell-Cokcan. Der Bau sei vielfach von lokalen Gegebenheiten geprägt, „von der örtlichen Kultur bis zu lokalen Baustandards und unterschiedlichen technischen Bauvorschriften“. Während der globale Blick der Industrie die Entwicklung von Innovationen fördere, war die Baubranche hier weniger aktiv. „Daher fehlt eine gemeinsame Basis für Gespräche und den Austausch“, sagt die Professorin.
Sie arbeitet daran, das zu ändern. So berät sie zum Beispiel den Automatisierungs- und Robotik-Spezialisten Kuka bei der Entwicklung von Innovationen, die der Baubranche bei der digitalen Transformation helfen. Denn eines ist der Wissenschaftlerin klar: „Im Zuge der Digitalisierung der Gesellschaft muss die Baubranche aufschließen.“ Sonst droht sie – auch mit Blick auf das, was im Ausland passiert – den Anschluss zu verlieren.
Zögerliche Digitalisierung
Dass die digitale Innovation keine Option, sondern eine Notwendigkeit ist, davon sind auch die meisten Bauunternehmen überzeugt. Laut einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags stimmen 93 Prozent der Baufirmen zu, dass die Digitalisierung die Gesamtheit der Prozesse beeinflussen wird. „Das Bewusstsein für die Bedeutung des Megatrends Digitalisierung ist also vorhanden. Jedoch hapert es an der Umsetzung“, kritisiert die Studie „Digitalisierung der Bauwirtschaft“ der Unternehmensberatung Roland Berger aus dem Sommer 2016.
Die Autoren haben Manager und Führungskräfte der Bauunternehmen gefragt, in welchen Bereichen der Firmen bereits digitale Lösungen angewandt werden. Das Fazit der Studie: Die Baubranche hat ein Problem mit der Produktivität, die in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland nur um bescheidene 4,1 Prozent gestiegen ist. Die gesamte deutsche Wirtschaft legte über diesen Zeitraum um elf Prozent zu, die produzierende Industrie um satte 27,1 Prozent. Wie offensichtlich das Problem mit der Produktivität für die Baubranche ist, zeigt eine weitere Zahl aus der Roland-Berger-Studie: 70 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt ein Bauarbeiter nicht mit seiner Haupttätigkeit, sondern „auf Wegen und mit Transportarbeiten, mit Auf- und Umräumarbeiten sowie auf der Suche nach Materialien oder Geräten“.
Dennoch zögert die Baubranche bei der digitalen Transformation weiterhin. „Nur wenige Akteure nutzen bei der Lösung des Produktivitätsproblems bislang die Potenziale der Digitalisierung“, schreiben die Studien-Autoren. Die befragten Unternehmen stimmten zu, dass es bislang nur wenige Ansätze gibt, digitale Themen wie Big Data oder Cloud-Computing einzubinden. Auch die Automation von Produktionsabläufen spiele bislang nur eine kleine Rolle. Und selbst Devices wie Smartphones oder Tablet-PCs kämen nur selten als Arbeitsgeräte zum Einsatz.
Roboter auf dem Bau
Wenn Sigrid Brell-Cokcan mit Bauunternehmen über das Thema Automation spricht, hört sie häufig den gleichen Vorbehält: In der Industrie sei das ja durchaus ein Thema, beim Autobau zum Beispiel seien die Abläufe häufig gleich. Der Bau dagegen funktioniere anders: Jedes Projekt sei individuell – und damit nicht automatisierbar. Die Aachenerin hat diesen Satz häufig genug gehört. Hochmotiviert leistet sie daher Überzeugungsarbeit in der Baubranche und forscht am neugegründeten Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion an Lösungen.
„Wir untersuchen Automatisierungspotenziale in der Vorfertigung, vor allem aber auch auf regulären Baustellen“, sagt sie. Dabei werde es dort eher keine Vollautomatisierung geben wie in einer Fabrik, in der die Prozessetatsächlich klarer strukturiert und vorhersagbarer sind. „Wir denken daher eher an Teilautomatisierungen mit robotischen Hilfsassistenten, die den Menschen unterstützen – aber eben nicht ersetzen.“ Dabei hat Sigrid Brell-Cokcan zwei positive Effekte im Blick. Erstens helfe eine kluge Robotisierung dabei, das Problem mit der geringen Produktivität zu lösen. „Zweitens macht sie die Berufe der Bauindustrie über viele Gesellschaftsschichten hinweg wieder attraktiver.“
Hadrian baut ein Haus
Das australische Unternehmen Fastbrick Robotics hat mit „Hadrian“ einen auf einem Truck montierten Roboter entwickelt, der in zwei Tagen ein kleinesHaus mauern kann. Der Automat behandelt die Steine mit einem Kleber, der den Mörtel ersetzt. Eine dreidimensionale CAD-Softwaresteuert den Roboterarm und legt die Steine dank Lasertechnik auf den Punktgenau. Das Unternehmen hat einen Clip online gestellt, der die Arbeit von Hadrian zeigt: www.fbr.com.au
Denn eines ist klar: Eine Branche, die eher träge als innovativ ist, hat bei der jungen Generation ein Imageproblem. Gerade bei Digital Natives, die jetzt ins Berufsleben einsteigen – und die es gewohnt sind, dass digitale Tools ganz selbstverständlich Teil der Lebenswelt sind. Noch gebe es besonders auf den Baustellen echte „Datenlecks“, wie Brell-Cokcan sagt. Man müsse davon ausgehen, dass maximal ein Prozent der Dateninformationen aus den Planungsprozessen auf der Baustelle ankommt. Was nützen also die innovativsten digitalen Planungstools, wenn 99 Prozent der Daten verpuffen?
„Baurobotik wird eine entscheidende Rolle spielen, diese digitalen Datenlecks auf der Baustelle zu überwinden“, sagt die Forscherin. Roboter sollen also nicht nur Bauteile vorproduzieren, sondern auf den Baustellen Daten sammeln, zur Verfügung stellen und bewerten. Dadurch werde das „Datenleck“ geschlossen – und die Effizienz von digitalen Planungsmethoden wie Building Information Modeling, kurz BIM, deutlich steigen.
Doch wie soll ein Roboter auf einer Baustelle arbeiten? In Frage kommen sensitive Leichtbauroboter, wie sie zum Beispiel von Kuka entwickelt werden. Diese Innovationen besitzen durch ihre Sensorik ein regelrechtes Feingefühl. Was wo zu tun ist, lernt der Roboter anhand der bereits vorhandenen CAD-Planungsdaten. Hat er seinen Platz gefunden, ist er in der Lage, sich mithilfe von Suchalgorithmen seine optimale Position zu ertasten, um dann dort zum Beispiel mit seiner Montagearbeit zu beginnen.
Beton aus dem 3D-Drucker
Doch Roboter sind nicht die einzigen Hoffnungsträger für digitale Entwicklungen in der Baubranche. Die 3D-Drucktechnik zählt zu den spannendsten Innovationen der Digitalisierung. Die Fortschritte in diesem Bereich sind enorm – gerade auch mit Blick auf die Baubranche. Das bayerische Unternehmen Voxeljet zählt zu den Pionieren im Bereich industrietauglicher 3D-Drucksysteme. Das große Potenzial der Technik liegt darin, Baustoffe mit neuen Eigenschaften zu entwickeln und auszudrucken.
„Durch unsere Forschung haben wir ein auf Beton basierendes Baumaterial entwickelt, das durch seine geschlossene Oberfläche Feuchtigkeit abweist und darüber hinaus absolut feuerbeständig ist“, sagt Tobias Grün, der bei Voxeljet für den Bereich der Betonanwendungen zuständig ist. Noch fehlt diesem Beton die Stärke, um ihn für tragende Wände im Bau einzusetzen. Aber daran arbeiten die Entwickler genauso wie an der Beimischung weiterer Materialien. „Die vielen verschiedenen Stoffe, die wir beim 3D-Druck einsetzen können, geben der Baubranche neue Potenziale“, sagt Grün. Er geht davon aus, dass der 3D-Druck schon bald eine etablierte Technik sein wird.
Daran glauben auch große Bauunternehmen wie Ed. Züblin: Der Konzern kooperiert mit Voxeljet, um die Chancen des 3D-Drucks für die Bauindustrie auszuloten – gerade mit Blick auf geometrisch komplexe Betonelemente, deren Produktion auf herkömmliche Art und Weise teuer ist. Beton aus dem Drucker, Roboter auf dem Bau: Was bedeuten diese technischen Innovationen für die Arbeit auf der Baustelle? Steht zu befürchten, dass die Arbeit von Bauingenieuren früher oder später von digitalen Systemen übernommen wird?
Sigrid Brell-Cokcan glaubt, dass das Gegenteil der Fall sein wird. „Für den Bauingenieur sehe ich viele neue Möglichkeiten in der Bauplanung, Bauüberwachung und Qualitätssicherung“, sagt die Forscherin. Besonders an der Schnittstellezwischen der digitalen Planung mithilfe von Methoden wie BIM und der Ausführung auf der Baustelle – „BIM to Production“ lautet das Schlagwort – komme es auf Bauingenieure an. „Diese Revolution kann nicht von Maschinenbauern alleine getrieben werden, denn das Bauen ist komplexer als alle Produktionslinien.“
Prinzipiell seien Bauingenieure gut für diese neuen Aufgaben ausgebildet. „Sie denken strukturiert und in Prozessen, ein Grundverständnis in Programmiersprachen ist in der Regel vorhanden. „Eine wichtige Charaktereigenschaft sei zudem ein gutes Maß an Neugierde und die Fähigkeit zum Querdenken– schließlich geht es darum, wirklich neue Baustrategien zu entwickeln.
Wie die digital geprägten Baufirmen der Zukunft operieren und organisiert sein werden, stellt die Studie „Digitalisierung der Bauwirtschaft“ der Unternehmensberatung Roland Berger in Aussicht. So werden sich die Unternehmen schon bald „mit digitalen Tools punktgenau mit Material beliefern lassen, sodass die Kosten für Lagerung und Transport sinken und die Effizienz steigt“, schreiben die Autoren. Die Materialien beschaffe sich das Unternehmen auf elektronischen Portalen; Bauzulieferer setzten in der Produktion auf intelligente Maschinen und Applikationen, die ein Netzwerk entstehen lassen, in dem „alle Produktionsprozesse im Voraus geplant werden können“.
Auch Marketing und Vertrieb nutzten in Zukunft digitale Verkaufs-Applikationen, um Händler und Kunden zu überzeugen. An dieser Vision von morgen zeigt sich, dass die Innovationen auf dem Bau nicht nur einige Stellschrauben beeinflussen: Die Innovationen werden „tatsächlich alle Stufen der Wertschöpfungskette beeinflussen“, heißt es in Studie. Bauingenieure sind daher gut beraten, schon heute fit für die digitalen Innovationen von morgen zu sein.
Häuser aus dem Drucker
WASP, ein italienisches Spezialunternehmen für 3D-Drucker, hat mit dem Big Delta einen zwölf Meterhohen 3D-Drucker entwickelt, der theoretisch groß genug ist, um Häuser zu drucken. Visionäres Ziel ist es, als Baustoff lokal auffindbare Materialien wie Lehm zu nutzen, um somit kostengünstig und nachhaltig Häuser zu errichten. Weitere Infos: unter: www.wasproject.it/w/en/category/3dprinter-en/3d-big-delta-printer-en
Dem chinesischen Bauunternehmen HuaShang Tengda ist es gelungen, innerhalb von sechs Wochen ein zweistöckiges und 400 Quadratmeter hohes Haus aus gedruckten Teilen zu errichten.