Die Realität schafft sich ihr Recht. Somit spiegeln sich die Globalisierung einerseits, die ganz unterschiedlichen Auffassungen von Recht in den Kulturen und Regionen der Welt andererseits auch in ihm wieder. Das Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ in Bonn sucht nach neuen Mitteln und Wegen, diese spannungsvolle Konstellation zu verstehen. Und liefert in der Praxis arbeitenden Juristen damit Hilfestellungen für ihre tägliche Arbeit. Von Dr. phil. Jan Christoph Suntrup, wissenschaftlicher Koordinator des Käte Hamburger Kollegs „Recht als Kultur“
Die Welt des Rechts wird durch die ambivalente Dynamik der Transnationalisierung und Globalisierung zutiefst durchdrungen. Einerseits sind Tenden-zen einer normativen Vereinheitlichung zu beobachten: In der EU wächst das Bestreben, das herkömmliche Kollisionsrecht durch gemeinsame Rechtsprinzipien im Bereich des Privatrechts zu ersetzen; im Völkerrecht wiederum lassen sich die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs und andere Übertrumpfungen klassischer national-souveräner Argumente und Instrumente mit gutem Willen als Rudimente eines „Humanity Law“, der Begriff stammt von der amerikanischen Jura-Professorin Ruti G. Teitel, lesen.
Andererseits gibt es zahlreiche und medial sichtbare Beispiele dafür, dass Identitätskämpfe das Recht nicht aussparen. Hierfür muss man nicht bloß nach Tunesien, Israel und Afgha-nistan schauen, sondern wird schon im Herzen Europas fündig, wie die noch schwelende polnische Verfassungskrise offenbart. Der politische Kampf um die „richtige“ soziale Ordnung ist nicht zuletzt ein Kampf ums Recht, und wie vehement dieser ausgefochten werden kann, zeigt sich besonders dann, wenn religiöse Überzeugungen und Dogmen ins Spiel kommen.
Aber auch jenseits offener Identitätspolitik wird schnell deutlich, dass jede Rechtsordnung ein spezifisches Sinngeflecht mit bestimmten Spielregeln ist, das sich nicht ohne Weiteres in einen anderen normativen Kontext „transplantieren“ lässt. Denn Recht besteht nicht nur aus Gesetzestexten und Verfahrensordnungen, sondern verschafft sich Geltung in Symbolen und Ritualen, basiert auf einem komplexen Geflecht von Institutionen und Rechtsautoritäten und ist eingebettet in größere und kleinere Erzählungen.
All dies zeigt, dass sich Recht nicht mehr bloß im nationalen Rahmen verstehen lässt, und deutet zugleich an, dass der Konflikt von – oft auch intern umstrittenen und dynamischen – Rechtskulturen mit der rein juristischen Brille nicht zu erfassen ist. Dies ist die Grundüberzeugung des Käte Hamburger Kollegs „Recht als Kultur“ in Bonn, das seit 2010 einen juristischen, aber auch besonders geisteswissenschaftlichen Beitrag zur Rechtsanalyse leistet, der dem Tatbestand fortschreitender Globalisierung in einer zwischen Kulturen differenzierenden Weise Rechnung trägt.
Wie – wenn überhaupt – trennen Kulturen Recht von Religion und anderen normativen und sozialen Ordnungen? Wie unterscheiden sich Gesellschaften in ihren rechtlichen Strafritualen? Welche Symbole von Herrschaft und Gerechtigkeit sind dem Recht eingeschrieben? Was macht ein faires Verfahren aus, und wie steht es eigentlich um den Status der „Wahrheit“, die dort ermittelt werden soll?
Solche Fragen sind nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern von zentraler Bedeutung für alle Rechtspraktiker, die mit der Kollision verschiedener Rechtskulturen konfrontiert sind. Und so wendet sich das Projekt der Analyse von „Recht als Kultur“, manifestiert in Tagungen, Publikationen oder interdisziplinären Arbeitszirkeln, nicht zuletzt an die juristische Zunft. Denn für diese wird es immer wichtiger, nicht nur die eigene Rechtstechnik zu beherrschen, sondern über hermeneutische Sensibilität und ein historisches und kulturwissenschaftliches Grundlagenwissen zu verfügen.
Über „Recht als Kultur“
Das Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ möchte einen Beitrag zum Verständnis von Recht in Zeiten einer voranschreitenden Globalisierung normativer Ordnungen leisten.
Im Jungen Forum werden dafür zum Beispiel die sogenannten Luncheon Talks angeboten: Postdocs verschiedener Fachrichtungen tauschen sich dabei regelmäßig und interdisziplinär
über Grundfragen und Grundlagen normativ-rechtlicher Ordnungen aus.Weitere Infos unter: www.recht-als-kultur.de