Bruder Paulus, Sie sind als Seelsorger ja durchaus auch eine Art „Persönlichkeitsberater“. Haben Sie einen Tipp für Einsteiger in der Beraterbranche – wie berät man richtig?
Rate, was du raten willst. Und nicht das, was du meinst, was andere gern geraten bekommen. Nichts ist erbärmlicher als eine Beraterpersönlichkeit, die Sprechblasen produziert, Charts und Analysen, die mehr vernebeln als klären. Gute Berater lassen sich beraten. Gute Chefs lassen sich korrigieren. Und gute Kunden behält man, wenn sie merken: Der Berater ist mehr interessiert am Kundenwohl als am eigenen.
Bruder Paulus ist Ordensbruder der Kapuziner und verkündet das Reich Gottes gern auf allen Kanälen: In seinen Büchern ebenso wie im Fernsehen oder bei Facebook und Twitter. Mit seiner Sendung „So gesehen – Talk am Sonntag“ ist er jeden zweiten Sonntag auf SAT.1 zu sehen.
Wenn nun ein Berufseinsteiger einen „ethischen Kompass“ entwickeln möchte – wie kommt man diesem auf die Spur, wie entwickelt man ihn?
Stille. Stille. Stille. Ich kann das nicht oft genug sagen. Eine Universität ohne Kapelle, eine Business-School ohne eine Zone des Schweigens: Das sollte es meines Erachtens nicht geben. Denn die Dinge zu lernen ist das eine, sie aber anzuwenden, oder auch nicht anzuwenden: Das ist eine Frage der Stimme des Gewissens, die einen nach dem ethischen Kompass führt. Auf die Spur kommt man dem mit guten Lehrerinnen und Lehrern, dem Meditieren heiliger Schriften. Und durch Stille.
Ein weiterer aktueller Begriff ist Achtsamkeit. Interessant, dass man das erst wieder lernen muss, oder?
Achtsamkeit braucht Langsamkeit. Die hohe Emotionalisierung ist das größte Hin-dernis für Achtsamkeit. Der letzte Schrei in der Mode, die besondere Notlage bei Nachbar X oder das schreckliche Drama bei Y – wir springen von Gefühlsevent zu Gefühlsevent, werden immer leerer, was unsere echten Gefühle angeht, und landen am Ende in einer Suchtschleife, die das Denken und Fühlen abtötet, damit der Konsum weiterläuft. Berufseinsteiger lernen oft sehr viel, bekommen jedoch auch das Gefühl, die Balance zu verlieren.
Wie kann es gelingen, sich treu zu bleiben?
Freundschaften pflegen, Auszeiten nehmen, Urlaub gut planen, den Sonntag achten, nicht mehr als vierzig Stunden in der Woche mit Hingabe arbeiten und studieren: Das sind die guten alten Regeln der Menschheit, sein Herz zu bewahren.
Sie sind vom Papst als einer von 1000 „Missionaren der Barmherzigkeit“ ausgesandt worden. Was ist Ihre Aufgabe?
Ich sehe zwei Hauptaufgaben. Die eine ist innerkirchlich: Für die da sein, die in schweren inneren Konflikten nicht wissen, wie sie sich mit dem Glauben wieder in Einklang bekommen. Und außerkirchlich: Wirtschaft und Gesellschaft zu fragen, ob sie sich eher nach der Logik der Zahlen oder nach der Logik des Herzens formen wollen.
Warum ist es wichtig, sich als junger Mensch mit Barmherzigkeit zu befassen?
Wer weiterkommen will, muss die Quellen seines Lebens beständig reinigen. Meines Erachtens ist die ganze menschliche Person einzubringen in die Lebensplanung. Die Lebensziele und die beruflichen Ziele in Einklang bringen, das braucht Barmherzig-keit: Verständnis nach allen Seiten, Offenheit und auch Liebe.
Das Interview führte André Boße.