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Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Gerke

Es ist ihm eine Herzensangelegenheit, wirtschaftliche Zusammenhänge der Öffentlichkeit nahezubringen. Schon alleine dadurch ist seine enorme Medienpräsenz zu erklären. Im karriereführer spricht er außerdem über die Auswirkungen der Finanzkrise, Tugenden und seinen persönlichen Werdegang. Die Fragen stellte Christoph Berger.

Zur Person

Wolfgang Gerke wurde 1944 in Cuxhaven geboren. Er studierte in Saarbrücken BWL. Danach promovierte er 1972 an der Universität Frankfurt, 1978 folgte die Habilitation. Anschließend hatte er Lehrstühle für Bankbetriebslehre und Finanzwirtschaft an der Universität Passau, der Universität Mannheim und der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Parallel dazu besetzte er die Position eines Forschungsprofessors am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Er war wissenschaftlicher Leiter der Frankfurt School of Finance & Management und erhielt Rufe an die Universitäten Saarbrücken, Linz, Münster und Frankfurt. Mit seiner Emeritierung 2006 wurde Gerke einer von zwei Präsidenten des Bayerischen Finanz Zentrums in München. Außerdem ist er Mitglied der Börsensachverständigenkommission und des Börsenrates der Frankfurter Börse und Honorarprofessor an der European Business School. Durch seine zahlreichen Auftritte in den Medien ist der Bank- und Börsenexperte auch einer großen Öffentlichkeit bekannt.

Herr Prof. Gerke, wir leben in den Zeiten einer Finanzkrise. Was bedeutet diese Zeit für Hochschulabsolventen der finanznahen Fächer?
Es zeigt, dass das Leben ebenso konjunkturabhängig wie die Wirtschaft ist. Manchmal gehen die Preise und der Bedarf nach Absolventen nach oben, manchmal muss man einfach froh sein, einen Job zu bekommen.

Sollten Studierende jetzt vielleicht lieber ihr Studium abbrechen und auf ein anderes Fach setzen?
Studenten sollten ihren Neigungen nachgehen. Ich halte nichts davon, sich wegen Konjunktureinbrüchen radikal umzuorientieren. Vielleicht kann man dies mal in einer Teilausrichtung machen, dass man vom Investmentbanker auf den Risikocontroller geht.

Sind vielleicht besondere Fähigkeiten gefragt, um in dieser Zeit bestehen zu können?
Nein, die geforderten Eigenschaften haben sich nicht sonderlich geändert. Flexibilität und Weltoffenheit, Auslandserfahrung und eine breite Interessenfächerung sowie die nicht zu frühe Spezialisierung auf ein Themenfeld sind wohl die wichtigsten Eigenschaften.

Werden sich die Finanzberufe durch die Krise verändern?
Es wird Veränderungen innerhalb der einzelnen Bereiche geben. Allerdings werden diese Veränderungen nur kurzfristiger Natur sein, denn die Arbeitgeber denken nicht langfristig. Damit muss man einfach leben. Thema Investmentbanking: Wie wird sich dieses Ihrer Meinung nach verändern? Das Investmentbanking wird wiederkommen, allerdings unter anderen Vorzeichen. Es wird weniger riskant sein und weniger Fremdkapital nutzen. Außerdem wird es weniger Wettbewerber geben. Das wird zur Folge haben, dass die Gewinne auch wieder steigen.

Stark diskutiert wird auch das Thema Enteignung: Wie stehen Sie dazu?
Enteignung oder Teilverstaatlichung ist ein Druckmittel, das man einsetzen muss. Diese Maßnahme ist aber keine Wunschvorstellung. Außerdem sollte es sich dabei immer nur um Notbeteiligungen und Beteiligungen auf Zeit handeln. Alleine das Wort Enteignung gefällt mir auf die Hypo Real Estate bezogen gar nicht. Ohne die staatlichen Hilfen wären die Aktien wertlos.

Vor dem Hintergrund all dieser aktuellen Ereignisse: Gibt es an der Börse noch gesunden Menschenverstand?
Nicht mehr oder weniger als auch davor. Die Börse ist ein Spiegelbild der Erwartungen. Sie zeigt, was im Markt an Stimmungen vorhanden ist. Momentan tut sie das auch. Und manchmal gibt es natürlich ungerechtfertigte Übertreibungen.

Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang ist Vertrauen. Wie sieht es mit den Tugenden in der Finanzbranche aus?
Tugenden, das ist ein sehr schöner Begriff, genauso wie Vertrauen und Ehrlichkeit. All das entwickelt sich aber nicht von selbst. Dem Finanzmarkt muss durch rechtliche Rahmenbedingungen zu der Tugend verholfen werden, zu der er alleine nicht findet. Alle Schlupflöcher, die zu einer Umgehung der Regeln genutzt werden können, müssen geschlossen werden. Und in den Verwaltungs- und Aufsichtsgremien müssen qualifizierte Mitglieder sitzen.

Fasziniert Sie der Aktienmarkt angesichts dieser ganzen Misere noch immer?
Der Aktienmarkt ist spannend, gerade wegen des ganzen Auf und Ab. Langfristig lohnt es, sich an dem Produktionsvermögen zu beteiligen. Allerdings ist der Aktienmarkt kein Instrument für Risikoscheue – zumindest nicht das Investieren in Aktien alleine.

Und was hat Sie dann an den Punkt gebracht, an dem Sie heute stehen? Sie sind ein Experte und äußerst gefragter Interviewpartner.
Das hängt mit meinem missionarischen Drang zusammen. Ich möchte die schwer verständliche Finanzwelt dem Bürger näherbringen. Die Wirtschaftswissenschaften sind eine Handlungswissenschaft, deshalb muss man auf den Bürger zugehen und die Zusammenhänge erklären. Außerdem ist die Öffentlichkeit ein gutes Mittel, um für meine Ideen zu werben. Ich sehe mich als ein Bindeglied zwischen Wissenschaft, Praxis und Bürger.

Apropos binden: Sie tragen Fliege, das ist sehr unüblich in der Finanzwelt. Grenzen sie sich dadurch bewusst ab?
Ich stamme aus der 68er-Generation, wir verweigerten das Tragen von Krawatten. Allerdings trug mein Vater immer Fliegen. Und als ich für einen Termin dann doch einmal so etwas Seriöses benötigte, habe ich mir von ihm eine ausgeliehen – und bin dabei geblieben. Heute erkenne ich aber, dass die Fliege ein Erkennungsmerkmal ist. Sie ist aber auch nur eine Äußerlichkeit, auf die man nicht allzu viel Aufmerksamkeit legen sollte.

Ein anderes Erkennungsmerkmal unserer Gesellschaft ist Geld. Welchen Bezug haben Sie dazu?
Es fasziniert mich, dass man mit Geld seine Zielsetzungen und Interessen vertreten kann. Alleine macht Geld jedoch keinen Sinn.

Und wie stehen Sie zu Gold? Das Metall gilt immerhin als Krisenwährung.
Ja, Gold ist ein Krisenmetall. Je größer die Krise wird, desto wertvoller wird es. Gold ist aber auch hochriskant. Nach der Krise wird man mit Gold wieder verlieren. Ich halte es für sinnvoller, in Immobilien zu investieren.

Zum Schluss: Ihre Vision – wie geht es weiter?
Ich sehe die Zukunft optimistisch. Wir befinden uns zwar in einer der schwersten Finanzkrisen, werden daraus aber unsere Lehren ziehen. Gewisse Akteure sind stärker zu kontrollieren, und wir benötigen mehr Risikovorsorge. Außerdem darf sich der Berufsstand der Finanzdienstleister nicht zu weit vom Bürger entfernen. Und ich hoffe natürlich, dass wir die Probleme schnell in den Griff bekommen. Eine längere Rezession könnte die zukünftige Generation ansonsten zu stark belasten.

Und Ihr Tipp für Hochschulabsolventen?
Hier gelten all die Dinge, die ich zu Beginn schon genannt habe. Studierende sollten sich außerdem frühzeitig um Praktika kümmern, damit sie einen Einblick in die Unternehmen bekommen, ein Gefühl für sie entwickeln, wissen, ob dies überhaupt etwas für sie ist, um im Notfall noch frühzeitig die Reißleine ziehen zu können.

Zum Unternehmen

Ziel des Bayerischen Finanz Zentrums (BFZ) ist es, Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammenzuführen, um für Schwerpunktthemen der Finanzbranche über die Regionen hinweg projektbezogen Lösungen zu erarbeiten. Ein Schwerpunkt ist es dabei auch, sich für eine weitere Verbesserung der Ausbildung im Finanzdienstleistungssektor einzusetzen. Momentan arbeitet das BFZ an der Ausgestaltung eines Competence Center Finance und Insurance. Auch hierbei geht es um die Verknüpfung von Wirtschaft und Forschung. Interessant ist die Plattform aber auch für Studenten und Hochschulabsolventen durch die Integration des Webportals Karrierezentrum. Dort werden sie sich über die Anforderungen in den Unternehmen informieren, sich mit anderen Studenten vergleichen und potenzielle Arbeitgeber auf sich aufmerksam machen können. Durch diese neue Profilerkennung wird sich das Angebot grundlegend von bisherigen Jobplattformen unterscheiden, bei denen es diese Transparenz nicht gibt.

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