Noch immer dominieren in den MINT-Berufen die Männer. Der Frauenanteil in den MINT-Studiengängen ist in den letzten Jahren rasant gestiegen – doch wird der weibliche Nachwuchs es in den technischen Unternehmen bis nach oben schaffen? Wir haben mit MINT-Top-Frauen gesprochen, die wichtige Vorbildfunktionen übernehmen, ob als Kapitänin bei der Lufthansa oder Personalchefin bei Porsche. Sie meinen: Die jungen Frauen brauchen Mut – und die Gesellschaft einen Kulturwandel. Von André Boße
Planung ist alles: Cordula Pflaums Tochter war gerade acht Wochen auf der Welt, da war die junge Mutter schon wieder im Seminarraum von Lufthansa Flight Training tätig. Ihr Job dort: Als Ausbildungskapitänin bringt sie dem Konzernnachwuchs das Fliegen bei. Wie das mit einem zwei Monate alten Baby funktioniert? „Mein Vater begleitete mich zur Arbeit und schob den Kinderwagen über das Gelände, sodass ich mich in den Seminarpausen um meine Tochter kümmern konnte.“
BCG-Studien Kinder stoppen Karriere
Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) blickt in einer neuen Studie vom Dezember 2015 kritisch auf die Bemühungen, mehr Frauen in Führung zu bringen. Zwar sei das Thema in aller Munde, faktisch habe Deutschland in den vergangenen Jahren jedoch kaum Fortschritte gemacht. Entscheidender Faktor sind häufig die Kinder: „Frauen ohne Kinder schaffen es dreimal häufiger in die Topmanagementpositionen“, so Rocío Lorenzo, Partnerin bei BCG und Autorin der Studie.Wirtschaft verschenkt Potenziale
Das Thema Frauen in Führungspositionen ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung. Die BCG-Studie zeigt, dass die Unternehmen sich selbst schwächen, wenn sie die Potenziale der weiblichen Arbeitskräfte nicht nutzen. „Die Wertschöpfung könnte bis zu acht Prozent steigen, wenn die Potenziale der Frauen auf dem Arbeitsmarkt aktiviert würden. Auch die Arbeitskräftelücke könnte um 35 Prozent verringert werden“, sagt die Autorin Rocío Lorenzo, „doch die Chancen wurden bisher nicht ausreichend genutzt.“
Auch ihre Schwiegereltern haben mitgeholfen, die junge Familie unterstützt, damit Cordula Pflaum und ihr Mann ihre jeweiligen Karriereziele weiter verfolgen konnten. „Ich empfand es damals als besonders wichtig, thematisch am Ball zu bleiben“, begründet sie den schnellen Wiedereinstieg. Ihre erste Tochter kam zur Welt, als Cordula Pflaum kurz vor der Ernennung zur Kapitänin war. In dieser Situation eine lange Pause? Das schien ihr eher unklug zu sein. „Ich war mir der besonderen Herausforderung durchaus bewusst“, sagt sie – und hat mit Hilfe der ganzen Familie Beruf und Familie unter einen Hut bekommen.
Alte Rollenbilder bremsen Frauen
Trotz einer Frau als Ausbildungskapitänin: Weibliche Piloten im Cockpit einer Lufthansa-Maschine sind weiterhin die Ausnahme. „Derzeit fliegen 290 Frauen in einem Lufthansa-Cockpit. Bei insgesamt 4600 Lufthansa- Piloten ist das ein Anteil von sechs Prozent“, berichtet Cordula Pflaum. Generell beobachtet die Kapitänin, die von München aus auch selbst auf Langstreckenflügen unterwegs ist, dass das generelle Interesse von jungen Frauen an technischen Berufen steigt. Strebt der weibliche Nachwuchs eine Karriere als Pilotin an, würden die jungen Frauen in der ersten Zeit nicht vom Gender-Image des Berufs beeinflusst.
Die Zahl der Studienanfängerinnen in den so genannten MINT-Fächern bestätigt ihren Optimismus. MINT – das steht für die Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Die Initiative „Komm, mach MINT“ versteht sich als nationaler Pakt für mehr Frauen in diesen MINT-Berufen und hat jetzt für das Jahr 2014 Zahlen von den Hochschulen veröffentlicht. Und die sind durchaus beeindruckend: „Waren es 2000 noch 45.671 Studienanfängerinnen im ersten Fachsemester, die sich für ein Studium im MINT-Bereich entschieden, so sind es im Studienjahr 2014 mit 105.449 mehr als doppelt so viele“, heißt es in einer Pressemitteilung der Initiative. Das Interesse ist also da. Stellt sich die Frage: Schaffen es die MINT-Frauen bis in die Führungspositionen? Und wo liegen die Stolpersteine, wann stoßen sie an die berüchtigten „gläsernen Decken“?Doch das ändert sich im Lauf des Berufslebens, wie Cordula Pflaum erkannt hat. „Der Einfluss der Geschlechter-Debatte wird den Frauen später im Berufsleben offensichtlich, und zwar vor allem in Form von Rollenbildern, die in unserer Gesellschaft weiterhin Gültigkeit haben.“ Zum Beispiel werde ein Mann am Arbeitsplatz nie gefragt, wie er es mit den Kindern regelt: „Man geht einfach davon aus, dass sich seine Frau kümmert.“ Einer Frau hingegen werde diese Frage grundsätzlich gestellt. „Das zeigt mir, dass es Generationen überdauern wird, bis sich dieses Rollenverständnis endgültig erledigt hat“, sagt die Kapitänin. „Aber meiner Meinung nach sind wir auf einem guten Weg.“
Antje Neubauer sitzt im Vorstand der Initiative Generation CEO, einem Business-Netzwerk für Frauen im Top-Management. Sie ist sich sicher: „Die Grundlagenarbeit für mehr Frauen in Führungspositionen ist gemacht.“ Viele deutsche Unternehmen hätten Konzepte entwickelt, um schon Mädchen und junge Frauen für technische Berufe zu begeistern und Frauen zu fördern. Zudem habe der Staat Programme etabliert, an denen sich Konzerne beteiligen.
So entsteht Wandel
Wie es technischen Unternehmen gelingen kann, den Anteil von Frauen auf allen Ebenen zu erhöhen, zeigt das Beispiel Porsche. „Unsere Ideen greifen“, freut sich Elke Lücke, Leiterin Personalentwicklung und Personalstrategie. Der Sportwagenhersteller konnte nach eigenen Angaben den Frauenanteil bei der Neubesetzung von Führungspositionen in den vergangenen drei Jahren verdoppeln. Wie viele Frauen beim Autobauer aktuell in Führungspositionen tätig sind, darüber gibt das Unternehmen keine Auskunft.
Die Botschaft ist aber klar: Der Anteil soll in allen Bereichen massiv erhöht werden. „Insbesondere hat es sich bewährt, verbindliche Zielgrößen zur Beförderung von Frauen in Führungspositionen zu verankern“, sagt sie. Das Unternehmen gab dabei verschiedene Ziele für die einzelnen Ressorts vor, die Führungskräfte wurden bei der Formulierung der Vorgaben beteiligt. „Dadurch sind alle Führungskräfte in das Thema involviert und werden entsprechend gefordert.“ Die Ziele selbst seien anspruchsvoll, aber realistisch – „weil wir uns daran orientieren, wie viele Frauen es im jeweiligen Ressort gibt.“
Linktipps
http://womenindigital.org
http://generation-ceo.com www.digitalmediawomen.de
http://dld-conference.com www.globalfemaleleaders.com
http://initiative-chefsache.de
http://www.she-works.de
Voraussetzung dafür, dass die Vorgaben eingehalten werden, sei eine Führungskultur, die für Chancengleichheit einsteht. Zählen soll alleine die Leistung, unabhängig von Faktoren wie zum Beispiel Geschlecht oder Herkunft. „Unterstützend wirken hierbei Faktoren wie Offenheit und Transparenz, aber auch das ständige Hinterfragen des Status quo“, sagt Elke Lücke. Was in Deutschland nun noch fehlt, bezeichnet Generation CEO-Vorstand Antje Neubauer als „gesellschaftliches Backing“. Sprich: Im beruflichen Alltag und gerade auf dem Weg nach oben fehlt jungen Frauen immer noch Akzeptanz und Rückhalt.
Antje Neubauer, die hauptberuflich bei der Deutschen Bahn die Abteilung PR und interne Kommunikation leitet, gibt Beispiele: „Väter, die in Elternzeit gehen, sind immer noch sehr viel weniger akzeptiert als Frauen; ein Sabbatical wird ebenso kritisch beäugt wie der wöchentliche Tag im Home-Office.“ Sie wünscht sich, dass flexible und moderne Arbeitszeitmodelle als genauso effizient bewertet werden, wie Acht- bis Zwölfstundentage im Unternehmen.
Damit das passiert, müssten in den technischen Unternehmen noch mehr Frauen ganz selbstverständlich ihren Platz finden. Mehr Frauen generell, mehr Frauen in Führung – nur so entstehe Wandel. Vor allem mit Blick in die oberen Etagen ist es noch nicht soweit. Neubauer: „Zwar gibt es inzwischen den einen oder anderen weiblichen Technik-Vorstand oder weibliche Führungskräfte in den technischen Ressorts, aber die meisten dieser Positionen sind nach wie vor männlich besetzt.“ So entstehe ein falscher Eindruck, nämlich der von Männerdomänen, in denen es Frauen prinzipiell schwer haben – als handele es sich um ein Naturgesetz. Das ist natürlich Quatsch. „Klassische Männerdomänen gibt es aber einfach nicht mehr“, sagt Antje Neubauer. „Das muss in den Köpfen der Menschen ankommen und gelebt werden.“
Frauen schätzen Jobs mit Sinn
Die Pharma- und Gesundheitsbranche ist in dieser Hinsicht schon weit. Annette Pascoe ist Geschäftsleiterin des Unternehmens Pascoe Naturmedizin. Viele Jobs im Gesundheitswesen haben mit Naturwissenschaft und Technik zu tun. Dennoch: „In kaum einer anderen Branche sind so viele Frauen beschäftigt, wie in der Gesundheitswirtschaft“, sagt sie. Pascoe will dieses Potenzial nutzen: „Junge Frauen sind heute hervorragend ausgebildet und bereit Verantwortung, zu übernehmen“, schwärmt die Geschäftsleiterin. Der Vorteil der Pharmabranche: „Frauen wünschen sich, in ihren Berufsfeldern auch einen Lebenssinn zu erkennen.“
Deutscher Ingenieurinnenbund (dib) Das Netzwerk für Ingenieurinnen, Ingenieurstudentinnen und Frauen in technischen Berufen gibt es bereits seit 30 Jahren. Es ist bundesweit aktiv und besteht aus 22 Regionalgruppen.
www.dibev.de
Das klappt beim Thema Naturmedizin leichter als beispielsweise beim Anlagen- oder Maschinenbau, womit sich den Unternehmen der klassischen Ingenieursbereiche eine Aufgabe stellt: Auch in diesen Branchen werden heute Innovationen entwickelt, die das Leben der Menschen positiv beeinflussen, das Thema Green-Tech ist hier nur ein Beispiel.
„Die Welt jeden Tag ein Stück besser zu machen“, das ist laut Annette Pascoe der Antrieb für die Mitarbeiter ihres Unternehmens. Diesen Wert auf andere Branchen zu übertragen – das ist ein wichtiger Schritt, um bei den Frauen die Begeisterung für MINT weiter zu stärken. Und die Frauen selbst? Sind natürlich auch gefordert. Das oberste Gebot: Mut beweisen, da sind sich die Expertinnen aus den Top-Managements der MINT Unternehmen einig. „Ich rate jeder Frau, bei der Berufswahl ihrem Herzen zu folgen“, sagt Annette Pascoe – und wenn das für einen technischen Beruf schlägt, dann sollte man sich nicht von der skeptischen Stimme im Kopf abbringen lassen.
„Trauen Sie sich!“, gibt auch Porsche-Personalleiterin Elke Lücke dem ambitionierten weiblichen Nachwuchs mit auf den Weg. Klar, der Name eines Traditionsunternehmens wie Porsche erweckt Ehrfurcht, bei Einsteigerinnen genauso wie bei Einsteigern. Doch gerade der weibliche Nachwuchs dürfe sich davon nicht abschrecken lassen. Schwellenangst ist unnötig. Lücke: „Bei uns gibt es weder goldene Wasserhähne noch übermenschliche Erwartungen an Bewerber.“
Frauen in Aufsichtsräten FidAr – die Initiative für mehr Frauen in die Aufsichtsräte wurde 2006 mit dem Ziel gegründet, den Frauenanteil in den deutschen Aufsichtsräten nachhaltig zu erhöhen. Mittlerweile hat die Initiative 550 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem öffentlichen Leben. www.fidar.de