Diplom-Wirtschaftsingenieur Otmar Ehrl ist Geschäftsführer und Creative Director der führenden deutschen Querdenker-Agentur ICCOM International GmbH und Leiter der Deutschen Experten-Akademie. Im Interview spricht er darüber, wie wichtig neue Ideen und das Durchbrechen verkrusteter Normen für die Zukunft sind.
Zur Person
Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH) Otmar Ehrl (Jahrgang 1969) ist Vizepräsident des Verbandes Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) e.V. und Geschäftsführer und Inhaber der ICCOM International GmbH.
www.iccom.de
Seit 1995 organisiert er den Deutschen Wirtschaftsingenieurtag auf dem sich führende Entscheider und Experten zu einem interdisziplinären Austausch treffen.
www.dewit.de
Herr Ehrl, welchen Beitrag leisten Querdenker für Wirtschaft und Gesellschaft?
Querdenker sind diejenigen, die Fortschritt überhaupt erst möglich machen, da sie den Mut haben manifestiertes Wissen anzuzweifeln. Sie sind bereit für ihre Überzeugung Opfer zu bringen und gegen das Establishment zu kämpfen. Ein Beispiel für gesellschaftliche Querdenker sind zum Beispiel die Suffragetten in England. Ihr Aufbegehren hat die Emanzipation der Frau in Europa überhaupt erst möglich gemacht. Und auch in der Wirtschaft profitieren Unternehmen und Führungskräfte von den Ideen alter und neuer Querdenker, die Stagnation durchbrechen und Raum für neue Denkansätze und unterschiedliche Perspektiven geben.
Querdenker wurden schon immer auch als Quertreiber empfunden. Sogar Genies und Neuerer wie der Wissenschaftler Nikolaus Kopernikus oder der Theologe Martin Luther kämpften mit den Vorurteilen ihrer Zeitgenossen. Was ist die Motivation des Querdenkers und wie kann er sich in der heutigen Zeit durchsetzen?
Der Querdenker ist von dem Ziel getrieben, die Schwächen eines Systems aufzudecken und zu verändern. Dabei steht niemals sein persönlicher Profit im Vordergrund, sondern die Realisierung seiner Vision. Der Weg dorthin ist meist sehr unkonventionell, manchmal ein wenig verrückt. Erfolgsdruck oder andere „weltliche“ Einschränkungen interessieren ihn erst einmal gar nicht. Eine solche Einstellung trifft bei vielen Menschen auf Misstrauen, sogar Neid. Um also die eigenen Ziele weiter zu verfolgen, bleibt – wie auch den Querdenkern der vergangenen Zeiten – den heutigen Ideen-Schaffern nichts anderes übrig, als eine feste Überzeugung und eine gehörige Portion Sturheit an den Tag zu legen.
Wie unterscheiden Sie den Querdenker vom Querulanten?
Es gibt Menschen, die anders denken, nur um aufzufallen und im Mittelpunkt zu stehen. Ihr Trotz gegen bestehende Regeln entspringt allein dem konkreten Ziel, Herausforderungen und Anstrengung zu meiden und mit möglichst geringem Aufwand größtmögliche Ziele zu erreichen. Daher sind ihre Ideen auch meistens plötzliche Einfälle, die nur kurzfristige Veränderungen bringen. Die höchste Priorität ist die Anerkennung durch die Umwelt und die persönliche finanzielle Bereicherung.
… und der Querdenker?
Seine Ideen sind kein Produkt eines Augenblicks, sondern Gedanken, die auf langen, sorgfältigen Überlegungen beruhen. Erst wenn ein Konzept wirklich ausgereift ist und der Querdenker mit voller Überzeugung dahintersteht, stellt er sich damit der Öffentlichkeit. Er kämpft mit all seinem Hab und Gut für seine Überzeugung. Gelenkt wird der echte Querdenker dabei von sehr starken ethischen und moralischen Grundsätzen.
Welches Beispiel für Querdenkertum hat sie am meisten beeindruckt?
Besonders beeindruckt hat mich das Lebenswerk von Nikola Tesla. Seine Forschung zum Thema Energiegewinnung war bahnbrechend und ganz im Zeichen des Querdenkertums. Leider ist er auch ein gutes Beispiel dafür, dass Veränderungen, vor allem in den vergangenen Jahrhunderten, mit großer Skepsis betrachtet wurden. Für den Wissenschaftler ging dies sogar so weit, dass er aus der Gesellschaft verstoßen wurde und seine kostbaren Aufzeichnungen durch einen Brandanschlag vollkommen vernichtet wurden. Für seine Idee hat er sich wirtschaftlich vollkommen ruiniert, war bereit sein Leben aufs Spiel zu setzen und hat nie aufgegeben. Glücklicherweise sind die Reaktionen auf neue Theorien heute nicht mehr so drastisch, dennoch flackert von Zeit zu Zeit die Angst vor Veränderung in den Menschen auf.
Der amerikanische Komponist John Cage sagte einmal: „Ich kann nicht verstehen, warum sich die Menschen vor neuen Ideen fürchten. Mir machen die alten Angst.“ Für wie wichtig halten Sie klassische Denkmuster und Traditionen in Unternehmen?
Traditionelle Werte sind immer wichtig, da sie Stabilität und Kontinuität bedeuten. Das gilt für unsere Gesellschaft ebenso wie für Unternehmen. Doch wenn Traditionen nur noch aus Bequemlichkeit und Angst vor Veränderung verteidigt werden, können Sie großen Schaden anrichten. Sogar große, traditionsreiche Familienunternehmen sind an dieser fehlenden Mobilität schon gescheitert.
Der globalisierte Markt erfordert völlig neue Handlungsweisen. Wie können sich heutige Unternehmen an diese Veränderungen anpassen?
Natürlich bedeutet dies zunächst eine große Herausforderung. Tiefgreifende Veränderungen erfordern in jedem Unternehmen Zeit und Geduld. Oft muss man mit starren Hierarchien und langen Entscheidungsprozessen kämpfen. Doch immer mehr Unternehmen sind zu der wichtigen Erkenntnis gelangt, dass die Zeit für neue Ideen und Strukturen reif ist. Leider gibt es keine allgemein gültigen Lösungsvorschläge, wie man dem globalen Markt erfolgreich begegnet. Doch ein offener Umgang mit ungewöhnlichen Konzepten, kann ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Welche Rolle spielen Querdenker beim wirtschaftlichen Wandel?
Querdenker sind nicht nur eine Quelle für innovatives Potenzial, sie können auch helfen, den Geist der anderen für Veränderungen zu öffnen. Anders, als viele glauben, ist es dabei nicht das Wichtigste die richtigen Antworten zu finden, sondern erst einmal die richtigen Fragen zu stellen und den viel zitierten Blick über den Tellerrand zu wagen. Für Führungskräfte und Entscheider bedeutet dies jedoch nicht nur, querdenkende Mitarbeiter zu haben, sondern vor allem selbst die Perspektive zu wechseln und zum Beispiel mit Außenstehenden ein Problem zu diskutieren. Personen, die nicht direkt involviert sind, können oft Situationen objektiver beurteilen. Nicht immer folgen darauf Lösungen, aber in vielen Fällen nützliche Denkanstöße.
Was kann eine Führungskraft von einem Querdenker lernen?
Von Führungskräften wird ein sehr hohes Maß an Flexibilität und Ideenreichtum verlangt. Die Gedankenfreiheit des Querdenkers, ist da sicherlich eine Inspiration, denn wer die Fähigkeit hat, ein Problem aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, sich von konventionellen Denkrastern zu befreien, findet meist bessere, nachhaltigere Lösungen. Führungskräfte unterstehen einer großen Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und auch dem eigenen Unternehmen. Dennoch hilft es manchmal, die Fesseln des täglichen Trotts zu lösen.
Der Manager und Querdenker Hans Pestalozzi stieg plötzlich aus seinem Beruf aus und verzichtete auf ein hohes Einkommen, um seine Vision zu realisieren. Was tun Sie, um erfolgreich quer zu denken?
Nicht immer muss man komplett „aussteigen“, um seine Vision zu verwirklichen. Veränderungen – und sind sie noch so klein -können eine ganze Welle der Innovation mit sich bringen. Auch wer in der Welt der Wirtschaft und Wissenschaft bleibt und querdenkt, kann eine Menge erreichen. Wenn Sie zum Beispiel durch ständige neue Ideen Ihren Kunden so inspirieren, dass auch dieser anfängt, ein wenig quer zu denken, dann eröffnen sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten.
Der Querdenker kann also auch erfolgreicher Geschäftsmann sein?
Auch das ist möglich. Eine herausragende Idee, die Menschen begeistert, führt langfristig auch zum Erfolg. Auch die Definition des Querdenkers hat sich mit der Zeit verändert. Es ist nicht mehr nur der grübelnde Wissenschaftler gemeint, sondern eine Lebenseinstellung, die in jedem Beruf in jeder Branche angewendet werden kann. Sie soll den Menschen die Augen öffnen für Ungewohntes und neuen Raum für Kreativität und Innovation schaffen.
Wirtschaftsingenieure sind Ihrer Meinung nach prädestiniert zum Querdenken?
Eine der wichtigsten Vorrausetzungen für das Querdenken ist Interdisziplinarität und die Fähigkeit aus einem bestimmten Kontext ausbrechen zu können, um ein Problem oder auch ein Konzept aus einer anderen Perspektive zu sehen. Der Wirtschaftsingenieur ist interdisziplinärer Denker aus Leidenschaft. Schließlich befasst er sich jeden Tag mit der Herausforderung, wirtschaftliche und technologische Themen zusammenzuführen und aus ihnen innovatives Potenzial für die Zukunft zu schaffen. Dazu gehört es manchmal auch traditionelle Ideen über Bord zu werfen und dort Lösungen zu suchen, wo niemand glaubt, sie zu finden.
Haben Sie ein spezielles Motto, das Sie antreibt?
Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.