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Mobilität in Städten

Um die Probleme mit Verkehr in unseren Städten zu verstehen, muss man sich zunächst mit der Stadt, ihrer Genesis und ihrer „DNA“ beschäftigen. Die eigentlichen Probleme sind nicht der Autostau, die verparkten Straßen, das, was man riecht und hört – dies sind nur die Symptome dahinterliegender Ursachen: Man hat den Menschen bisher vergessen. Von Prof. Dr. Hermann Knoflacher, Stadt- und Verkehrsplaner, aktiver Em. Univ.-Prof. am Institut für Verkehrswissen schaften in Wien, Leiter des Club of Vienna

Städte sind, wie alle künstliche Dinge, von Menschen gemacht. Sie sind lebende, also offene Systeme, die auf den „Durchzug“ von Energie und Ressourcen angewiesen sind, um ihre Strukturen aufbauen und erhalten zu können. Voraussetzung für ihre Entstehung waren zwei mit der Mobilität zusammenhängende Faktoren: Zum einen mussten ausreichende Ressourcen im erreichbaren Umfeld geschaffen werden. Zum anderen hat man die Lebensund Produktionszyklen von Pflanzen und Tieren begriffen, daher mussten Jäger und Sammler nicht mehr zwangsweise mobil sein, und die Gesellschaft konnte sich sozialisieren. Beides sind Ergebnisse der geistigen Mobilität als Folge von beschränkter physischer Mobilität. Nun hat die geistige Mobilität nicht nur Vorteile, die auch zur Arbeitsteilung, Spezialisierung, Vielfalt und zur Einrichtung von Institutionen führen. Sie hat auch den Nachteil, dass sie sehr teuer ist.

Geistige Mobilität, also die Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt wahrzunehmen, zu verarbeiten und daraus die richtigen Vorhersagen abzuleiten, war die Voraussetzung, um mit der bescheidenen physischen Energie des Fußgängers zu überleben. Nur rund zehn Prozent der Muskelenergie werden beim Fußgänger in Bewegung umgesetzt – jene Mobilitätsform, auf der unsere gesamte Kultur und der nachhaltige Teil unserer Zivilisation aufgebaut wurden.

Autos aus Städten entfernen
Eines der beeindruckendsten Ergebnisse dieser Prozesse waren Städte nach menschlichem Maß, die wir rund 10.000 Jahre zurückverfolgen können. Den Höhepunkt der menschengerechten Stadtentwicklung erreichte das europäische Mittelalter. In diesen noch erhaltenen und revitalisierten Strukturen fühlt sich auch der heutige Mensch am wohlsten – wenn man aus den Strukturen die Autos entfernt. Setzt man eine Fußgängerzone in der Praxis durch, gewinnen die Städte in kürzester Zeit ihre Vitalität zurück, siedeln sich Geschäfte und Betriebe an, steigen die Umsätze bestehender Läden.

Mit den Eisenbahnen erhielten die Städte einen Wachstumsschub, denn die Landbevölkerung, die durch die dampfbetriebenen landwirtschaftlichen Maschinen ihre Erwerbsmöglichkeiten verlor, musste in die entstehenden Industrien abwandern. Diese Erweiterungsgebiete wurden mit Straßenbahnen und dem Fußgängerverkehr erschlossen und weisen, obwohl sie nicht mehr die städtische Qualität des Mittelalters haben, immer noch einen menschlichen Maßstab auf.

Dies änderte sich grundlegend im 20. Jahrhundert mit dem aufkommenden Autoverkehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Zersiedlung des städtischen Umlandes und die weitere Aushöhlung des Landes. Voraussetzung dafür waren die Garagenordnung aus 1939, die allgemeine Motorisierung und die fundamentalen Irrtümer herkömmlichen Verkehrswesens: das „Mobilitätswachstum“, die „Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit“ und die „Freiheit der Verkehrsmittelwahl“. Man glaubte und glaubt noch heute an „Mobilitätswachstum“, weil der Begriff Mobilität aus den Sozialwissenschaften auf die Bewegung von Autos umgewandelt und reduziert wurde.

Ein Paradigmenwechsel
Definiert man Mobilität zweckbezogen, zeigt sich, dass die durchschnittliche Zahl der Wege pro Person und Tag eine Konstante ist. Es gibt weder Mobilitätswachstum noch Zeiteinsparung im System. Auch die individuelle Erfahrung, dass man durch Geschwindigkeit im Verkehr „Zeit sparen“ kann, trifft im System nicht zu. Die Wegezeiten langsamer und schneller Verkehrsteilnehmer sind gleich, nur die Wege werden länger, weil die Geschwindigkeit die Strukturen verändert. Damit wird auch die Veränderung in den Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen erklärbar. Wenn man die Stellplätze in Städten vorschreibt, wird den Menschen die Wahlfreiheit im Verkehr genommen. Es kommt zu einer Bindung an das Auto „von innen her“. Man plant und baut nicht mehr Städte für Menschen, sondern für und um die Autos. Wissenschaftlich lässt sich dieser Zusammenhang nicht aus den Ingenieurwissenschaften erklären, sondern nur durch eine „Längsschnittmethode“ der Evolutionstheorie, die durch viele Disziplinen führt. Damit ergibt sich ein faszinierendes Arbeitsfeld zur Wiederherstellung der Harmonie zwischen Stadt, Natur, Sozialsystem und einer nachhaltigen Wirtschaft. Für Ingenieure ist dies ein erfüllendes Arbeitsfeld, um die Fehler des vergangenen Jahrhunderts im Städtebau und Verkehrswesen zu beseitigen.

Der Ansatz liegt nicht, wie bisher angenommen, im Fließverkehr – dieser ist nur ein Symptom. Die Lösung liegt in der baulichen, finanziellen und organisatorischen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit. Die Stadt strukturiert sich an der neuen nachhaltigen Mobilität stadtverträglicher Verkehrsmittel neu. Die Jugend hat das bereits intuitiv erfasst und löst sich aus der Gefangenschaft des Autoverkehrs. Dass dies funktioniert, zeigt die Praxis in vielen Städten wie Wien-Seestadt, Freiburg-Vauban, Tübingen, Hamburg und anderen Orten, an denen wieder menschengerechtes Leben in der Stadt mit verantwortbarer Mobilität und der Freiheit vom Zwang zum Autofahren möglich wird.

Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV“

Die Verkehrswissenschaft an der Technischen Universität Dresden analysiert seit fast 40 Jahren die Entwicklung des Einwohnerverkehrs in Städten durch regelmäßige Haushaltsbefragungen. Das als System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) wissenschaftlich begründete Erhebungsinstrument erfasst stadtübergreifende Tendenzen der Verkehrsentwicklung und stellt gleichzeitig stadtspezifische Kennziffern für die Verkehrsplanung bereit.
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