StartIngenieureMobilität: Alles neu, alles anders

Mobilität: Alles neu, alles anders

Wer als Ingenieur in der Autoindustrie anfängt, steigt in eine Branche im Umbruch ein. Ob IT oder Elektrotechnik: Die Fahrzeuge entwickeln sich zu komplexen und vernetzten Systemen. Gefragt sind neugierige Entwickler, die auch Marketing und Ethik mitdenken und bei aller Leidenschaft fürs Auto Freude daran haben, ganz neue Mobilitätskonzepte zu entwerfen. Von André Boße

Ein gutes Auto vor 20 Jahren? Hatte fünf Gänge, acht Zylinder – und vermittelte ein gutes Fahrgefühl. Und morgen? Werden wir bei einem guten Auto von ganz anderen Dingen reden. Von elektrischen Antrieben. Von vernetzten IT-Komponenten an Bord, die miteinander kommunizieren und Kontakt zu anderen Autos aufnehmen. Und von Fahrerassistenzsystemen, die schon bald so ausgeklügelt sein werden, dass sie in der Lage sind, das Auto selbst zu steuern, ganz autonom, ohne Zutun des Fahrers. Das Auto wird zwar auch in Zukunft in erster Linie ein individuelles Fortbewegungsmittel bleiben. Es wird aber zugleich auch Teil eines digital vernetzten Mobilitätssystems sein.

Plädoyer für die grundlegenden Dinge
Was das für den Autoingenieur der Zukunft bedeutet? Die Frage geht an Dr. Ulrich Knödel, den leitenden Ingenieur bei Getrag, einem Unternehmen aus der Region Heilbronn, das die Autoindustrie seit vielen Jahren mit Getrieben beliefert. Man erwartet von ihm eine Antwort mit vielen neuen technischen Schlagworten, mit Begriffen aus der IT oder sogar der Kybernetik. Alles auch wichtig, sagt er. „Ich plädiere jedoch dafür, sich als Berufseinsteiger auf die Grundlagen zu konzentrieren: Elektrotechnik, Elektronik, Technische Mechanik, Strömungslehre, Thermodynamik.“ Zugegeben, diese Grundlagen seien auf dem Studienplan oftmals die unpopulären Disziplinen. „Aber sie setzen den Nachwuchsingenieur in die Lage, sich später auf unbekanntem Terrain zu bewegen und neue Themen selbst zu erarbeiten. Und darauf kommt es an.“

Die Rückbesinnung auf die grundlegenden Wissensgebiete der Ingenieurwissenschaften hat einen Grund: Durch die Elektrifizierung immer weiterer Teilbereiche ist das Auto zu einem so komplexen Produkt geworden, dass man die vielen technischen Zusammenhänge mit einem einzigen Studium gar nicht mehr abbilden kann. Wer als Ingenieur hier und dort ein wenig hineinschnuppert, erhält zwar eine Idee von der Vielfalt der Themen. Es bestehe, so Knödel, aber auch die Gefahr, dass man sich überall ein bisschen auskennt, aber nirgendwo so richtig. Auf Basis der Grundlagen tue man sich dagegen leichter, sich in die verschiedenen Bereiche einzuarbeiten, wenn es beim Job darauf ankommt. Und das ist die bessere Taktik.

Der Ratschlag zeigt, wie sehr die neue Mobilität die Arbeit der Ingenieure in der Automobilindustrie verändert. „Die Anforderungen an unsere Ingenieurteams werden immer höher“, sagt Ulrich Knödel. Im Bereich des Antriebsstrangs gebe es heute eine Vielzahl von Disziplinen, die eine Rolle spielen. „So ist weiterhin die mechanische Konstruktion wichtig, da auch elektrische Antriebe Drehmomente auf die Achse verteilen – und dafür benötigen auch die Elektroautos Stahl und Eisen im Triebstrang. Hinzu kommen die Themen, die sich durch die Elektrifizierung vieler Komponenten im Auto ergeben, wobei diese heute vielfach auch noch miteinander kommunizieren und zusammenwirken.“ Generalisten, die alle technischen Bereiche eines Autos beherrschen, werden daher immer seltener. Und selbst der Weg zum Spezialisten ist schwierig, weil sich die Technik und ihre Ansprüche sehr schnell ändern und die Erkenntnisse immer neuer Disziplinen einfließen.

Das DRIVE-E-Programm

DRIVE-E wurde 2009 vom BMBF und der Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam initiiert. Das studentische Nachwuchsprogramm zum Thema Elektromobilität besteht aus dem DRIVE-E-Studienpreis und der DRIVE-E-Akademie. Mit dem Studienpreis zeichnen die Veranstalter hervorragende, innovative studentische Arbeiten zur Elektromobilität aus. Die jährlich stattfindende Akademie bietet die Möglichkeit, einen exklusiven Einblick in die Theorie und Praxis der Elektromobilität zu gewinnen. Seit 2012 wird DRIVE-E in Partnerschaft mit einer jährlich wechselnden Hochschule durchgeführt. Hochschulpartner 2015 ist die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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Werkstatt und Silicon Valley
So entsteht eine neue Welt der individuellen Mobilität, in der IT-Themen wichtiger sind als klassische Motortüfteleien. Wer heute als Ingenieur in die Autoindustrie einsteigt, verbindet im Idealfall die alte mit der neuen Welt. „Bei uns ist man richtig, wenn man mit großem Spaß in der heimischen Garage am Auto bastelt und zeitgleich von den Entwicklungen im Silicon Valley fasziniert ist“, sagt Ralf Hunecke, Leiter des Personalmanagements bei BMW. Im Silicon Valley entstehen schließlich die großen Innovationen der vernetzten und digitalen Technik. Was die Unternehmen dort besonders gut können, ist, die Bedürfnisse der Kunden treffsicher und schnell zu erkennen und in neue Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Und darum, so Hunecke, gehe es heute auch in der Autoindustrie. „Das Thema Kundenorientierung hat im Zuge der neuen Mobilität noch mehr an Bedeutung gewonnen. Es geht nicht nur darum, was technisch möglich ist. Im Fokus steht, was die Kunden wollen.“

Ingenieure tüfteln also nicht länger abgeschottet an neuen Ideen und präsentieren sie dann einer staunenden Kundschaft. Sie müssen auch Themen wie Marketing oder Ethik mitdenken. „Den klassischen Ingenieur, der am liebsten alleine vor sich hintüftelt, gibt es zwar noch hier und da. Aber der Trend geht woanders hin“, so der BMW-Personalleiter. Gefragt seien heute Ingenieure, die Spaß daran haben, intensiv in Teams zu arbeiten. „Nicht nur in internen Teams, sondern auch in Netzwerken mit Forschern oder auch Mitarbeitern anderer Automobilunternehmen. Es geht in vielen Bereichen der neuen Mobilität darum, gemeinsam neue Lösungen zu finden. Dabei werden viele alte Grenzen überwunden.“

Arbeitgeberwechsel? Kein Problem
Das gilt auch für die Unternehmenskultur in den Konzernen. Der Idee des Ingenieurs, der sein Leben lang für einen Autobauer arbeitet, wohnt zwar eine Romantik inne. Wirklich zeitgemäß ist sie jedoch nicht mehr. „Wir müssen uns als Konzern daran gewöhnen, dass gute Leute nach einer gewissen Zeit eventuell weiterziehen, weil sie noch andere Erfahrungen sammeln möchten“, sagt Ralf Hunecke. Gerade in besonders innovativen Bereichen müsse man den talentierten Leuten die Möglichkeit geben, den Arbeitgeber zu wechseln, ohne dass dieser Schritt gleich als Hochverrat eingestuft wird. „In diesem Sinne benötigen wir neben Konzepten, die Mitarbeiter zu binden, auch eine gute Trennungskultur, denn dort, wo Innovationen entstehen sollen, ist es hilfreich, wenn mit neuen Leuten immer wieder auch neue Ideen ins Unternehmen kommen.“

Wie wichtig diese neuen Entwicklungen für die Mobilität der Zukunft sind, verdeutlicht Jürgen Schenk, Chief Engineer Electric Vehicles bei Daimler. „Innovationen sind heute mehr denn je der Schlüssel zum Erfolg“, sagt er. Um diese auf den Weg zu bringen, setzt der Konzern auf Teams, bei denen Diversity eine große Rolle spielt. „Wir legen Wert darauf, Fachkräfte unterschiedlicher Arbeitsgenerationen, Fachdisziplinen, Kulturen und Nationen zusammenzubringen.“ Bezeichnend ist, dass Daimler sich längst nicht mehr nur als Autohersteller sieht, sondern als Dienstleister. Das Ziel: die Innovationsführerschaft im Bereich urbaner Mobilitätskonzepte.

Es gehe daher bei Elektromobilität längst nicht mehr ausschließlich um das Produkt Auto selbst. „Das veränderte Nutzungsverhalten erfordert neue Systemansätze, Mobilitätskonzepte, intelligente Vernetzung und maßgeschneiderte Dienstleistungen“, sagt Schenk. Die Zukunft der Mobilität – sie wird smart, daran lässt der Daimler-E-Mobility-Manager keinen Zweifel. „Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien spielen in der Elektromobilität eine wichtige Rolle. Sie steuern alle wichtigen Funktionen im Fahrzeug und bilden die Grundlage für dessen Integration in zukünftige intelligente Energie- und Verkehrssysteme.“

Vom Wandel begeistern lassen
Bleibt noch die Frage, ob man die Ingenieure auf Dauer damit überfordert, wenn diese auf so vielen Ebenen denken und handeln müssen – zumal die Elektromobilität zwar überall als Technik der Zukunft gilt, der Durchbruch auf den deutschen Straßen aber noch aussteht. „Nachwuchskräfte, die an der Zukunft der Mobilität arbeiten wollen, sollten unbedingt eine Faszination für Neues mitbringen“, sagt Konstantin Drozhdin, Head of Corporate Employer Branding & Strategic Recruiting bei Continental, dem größten Zulieferer für die deutsche Autoindustrie. In der Autoindustrie hat man auch erkannt, dass es vor allem bei den Entwicklungsingenieuren und Führungskräften einen Ausgleich zur ständigen Lern- und Leistungsbereitschaft geben muss.

„Neben den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten ist uns auch eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtig. Zudem unterstützen wir unsere Führungskräfte dabei, in ihrer Rolle zu wachsen und Realismus und Innovationen miteinander zu verknüpfen“, sagt Konstantin Drozhdin. Die Mobilität der Zukunft mitzugestalten, ist eine große Herausforderung. Die Unternehmen wissen das nicht nur. Sie wissen es auch wertzuschätzen.

Elektroauto: Gar nicht mehr so teuer

Die hohen Anschaffungspreise für Elektrofahrzeuge stellen bislang eine der größten Hürden für die Etablierung der E-Mobilität in Deutschland dar. Doch dieses Argument könnte bald hinfällig werden, wie eine Studie der Managementberatung Horváth & Partners zeigt: Waren Elektrofahrzeuge bis 2010 noch fast doppelt so teuer wie vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, beträgt der Preisaufschlag für Elektrofahrzeuge, die 2013 neu auf den Markt gekommen sind, im Durchschnitt nur noch knapp 45 Prozent. Würde sich der Trend fortsetzen, läge der Aufpreis für Elektrofahrzeuge bis 2020 deutlich unter zehn Prozent, schätzt das Beratungsunternehmen.

Horváth & Partners: Fakten-Check Mobilität 3.0

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