Es gibt Beispiele von Frauen, die in technischen Unternehmen spannende Führungskarrieren gemacht haben. Was diese Frauen gemeinsam haben: Sie waren mutig und haben weder Konflikte noch Verantwortung gescheut. Denn fachliche Qualifikation ist nicht alles – es kommt auch auf die Motivation an, eine Spitzenposition zu erreichen. Von André Boße
Um mit Zahlen zu beginnen: Die Lage bessert sich, ist aber noch nicht zufriedenstellend. „Der Frauenanteil in den technischen Berufen ist langsam steigend, jedoch mit 14 Prozent immer noch deutlich unterdurchschnittlich“, heißt es im aktuellen Bericht der Bundesagentur für Arbeit zur Situation in den MINT-Berufen, also Berufen aus den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik. Auch die Zahl der Frauen, die MINT-Fächer studierten, nehme kontinuierlich zu. „Ihr Anteil ist jedoch insgesamt immer noch zu klein“, so die Bundesagentur.
Buchtipp: Sie wissen alles
Die langsame Entwicklung hin zu mehr Frauen-Power in der Technikwelt belegen auch Bücher von weiblichen Autoren zu aktuellen Technikthemen. Ein Beispiel ist Yvonne Hofstetters Spiegel-Bestseller „Sie wissen alles“. Die Expertin für künstliche Intelligenz ist seit 1999 in Softwareunternehmen tätig und erklärt, wie hochintelligente Algorithmen die Internetnutzer zunächst analysieren, um sie dann zu manipulieren und zu kontrollieren. Ihr Plädoyer für eine „Ethik der Algorithmen“ führt vor, wie sich herausragendes technisches Fachwissen und Moral kombinieren lassen.
Yvonne Hofstetter: Sie wissen alles.
Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen.
Bertelsmann 2014.
ISBN 978-3570102169.
19,99 Euro
Immerhin: Blickt man in die Technikkonzerne oder Forschungsunternehmen, finden sich heute beinahe überall Frauen in hohen Positionen. Was sie häufig eint: Ihre Karrierewege sind nicht geradlinig und durchgeplant. Die Laufbahn von Katja Schenke-Layland ist dafür ein gutes Bespiel. Studiert hat sie Biologie, Soziologie und Psychologie, ihr erstes Berufsziel: Verhaltensforschung. Dann kam ein „Drift in die Biomedizin“, wie sie sagt. Sie hatte diverse Nebenjobs, war als wissenschaftliche Assistentin tätig – und schnell stand die Frage im Raum: zusätzlich noch Medizin studieren? Der Ausblick auf sechs weitere Jahre an der Uni war nicht sehr attraktiv, denn sie wollte loslegen, etwas bewegen, Menschen helfen. Da traf es sich gut, dass ein Arzt aus der Herzchirurgie im Krankenhaus in Jena, wo sie gerade ein Praktikum machte, ihr Talent entdeckte und ihr vorschlug, eine biomedizinische Doktorarbeit anzugehen. Ihr Thema: Sie entwickelt Biomaterial für die regenerative Medizin, um zum Beispiel geschädigtes Herzgewebe so zu behandeln, dass es wieder funktionsfähig ist. Oder für die Krebsforschung, um die Wirkung einer Therapie vorab individuell zu testen.
Interdisziplinär erfolgreich
Wie sehr sie mit ihrem Karriereweg die typischen Raster sprengte, zeigt, dass sie mit ihrer Doktorarbeit bei den Biologen in den Bereich der „speziellen Zoologie“ eingeordnet wurde. „Es ist also gar nicht so einfach zu sagen, was ich eigentlich genau bin“, sagt die 37-Jährige, in deren Arbeit neben der Biologie auch Ingenieurwesen, Physik oder Chemie einfließen. Man nennt ein so breites Spektrum gerne interdisziplinär. „Das klingt nett, ist im wahren Leben aber nicht immer einfach, weil man sich die Karrierewege häufig selbst suchen muss.“ Was jedoch feststeht: Katja Schenke-Layland ist erfolgreich. Und zwar aktuell an drei Arbeitsplätzen: Sie forscht an der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen, am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart sowie an der University of California in Los Angeles. In allen drei Stellen ist sie Führungskraft, setzt dabei auf flache Hierarchien, legt Wert auf eine offene Feedbackkultur. Viele Frauen interpretieren Führung ganz ähnlich, dennoch: Die Quote von anderen Frauen in einer ähnlichen Führungsposition ist bei den deutschen Arbeitgebern dünn. Schenke-Layland nennt zwei Gründe: Zum einen interessierten sich noch immer zu wenig junge Frauen für die technischen Studiengänge wie Maschinenbau.
Hinzu kommt eine Beobachtung bei der jungen Generation: „Ich kenne Nachwuchswissenschaftlerinnen, die sehr gute Masterstudentinnen waren, nun aber nicht promovieren möchten, weil ihnen die Freizeit und geregelte Arbeitszeiten wichtiger sind.“ Damit trifft sie den Kern der Debatte um die Generation Z, die nun im Begriff ist, die Vorgängergeneration Y abzulösen. Sie kennzeichnet sich unter anderem dadurch, dass „Führungsverantwortung und flexible Arbeitszeiten an Reiz verlieren“, wie der Ökonomieprofessor Christian Scholz feststellt. So könnte der Aufstieg der Frauen in den MINT-Bereichen ins Stocken geraten: Das Interesse an technischen Berufen steigt, die Lust, dort eine Führungsposition einzunehmen, jedoch nicht. „Viele junge Frauen sind zufrieden mit dem, was sie erreicht haben“, fasst Katja Schenke-Layland zusammen. Das sei schön und gut. „Aber ich vermisse den Hunger nach mehr.“
Ziele klar formulieren
Diesen Hunger besitzt Martina Fiddrich. Als BWL-Absolventin hat sie sich bei IBM Deutschland hochgearbeitet und ist seit 2013 Leiterin des Geschäftsbereichs Mittelstand und Cloud Service Provider – eine Spitzenposition in der MINT-Branche Informatik, in der der Frauenanteil besonders gering ist. Fiddrich stieg 1993 in den Konzern ein. Dass es sich um eine männerdominierte Branche handelte, war ihr damals nicht wichtig; relevant waren Aspekte wie Kreativität und Internationalität. „Ich habe zunächst kleinere, später auch internationale Teams auf fachlicher Seite geführt, bevor ich Personalverantwortung übernommen habe“, erklärt sie. Auf dem Weg nach oben half ihr Neugier, aber auch Klarheit in der Führung. „Um erfolgreich zu führen, muss man hinter seinem Team und seiner Position stehen und Ziele klar formulieren.“ Genauso wichtig sei es, sich innerhalb des Unternehmens, aber auch mit Kunden und Geschäftspartnern zu vernetzen und aktiv in die Diskussion einzubringen. „Hier sind Frauen nach wie vor zurückhaltender – und das völlig grundlos.“
Martina Fiddrich beobachtet, dass ihre jüngeren Kolleginnen extrem gut ausgebildet sind und analytisch zu arbeiten verstehen, „vor allem in Bezug auf das technische Verständnis, das man in der IT-Branche ohne Zweifel braucht“. Um diese gute Basis zu nutzen, gibt sie jungen Frauen in technischen Branchen drei Ratschläge mit auf den Weg: „Mut, ungewöhnliches Terrain zu beschreiten. Sich erlauben, mit der eigenen Leistung zu glänzen. Und, auch wenn es viele Frauen kaum glauben werden: Erkennen, dass Konflikte manchmal der schnellere und effektivere Weg sind, gemeinsam Herausforderungen zu meistern.“
Wenige Frauen in MINT-Berufen, wenig Nachwuchs in Sicht
Frauen sind immer noch wesentlich seltener in MINT-Berufen tätig als Männer – das zeigt ein aktueller Bericht der Bundesagentur für Arbeit. In mathematischen und naturwissenschaftlichen Berufen liegt der Anteil weiblicher Beschäftigter bei gut einem Drittel, in technischen oder Informatik-Berufen sogar nur zwischen 13 und 17 Prozent. Positiv vermerkt der Bericht, dass die Zahl der Frauen, die sich für ein MINT-Studium entscheiden, in allen Fachrichtungen zugenommen hat.
Allerdings ist das Interesse von Mädchen an MINT-Berufen weiterhin geringer als bei Jungen, das bestätigt der erste OECD-Bildungsbericht mit Fokus auf den Geschlechtern, erschienen im März 2015. Die Studie stellt fest, dass sich die Einstellung von Jungen und Mädchen gegenüber Mathematik und Naturwissenschaften fundamental unterscheidet, ebenso das Interesse an einer entsprechenden Karriere. Im Schnitt kann sich weniger als eines von 20 Mädchen im Alter von 15 Jahren vorstellen, später in einem MINT-Fach zu arbeiten. Bei den Jungen sind es immerhin 4 von 20. Ein erstaunliches Ergebnis, denn beide Geschlechter erbringen im PISA-Test Naturwissenschaften ähnliche Leistungen.