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Sebastian Purps: Potenziale entfalten

(Aus BerufSZiel 1.2013) Der Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther ist davon überzeugt: „Wir sind alle nur eine Kümmerversion dessen, was wir sein könnten.“ Damit das nicht so bleibt, hat der Wissenschaftler zusammen mit Führungskräftecoach Sebastian Purps die Initiative „Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen“ gegründet, die zeigt, dass ein positives Arbeitsumfeld die Potenziale von Einzelpersonen, Teams und sogar ganzen Organisationseinheiten zur Entfaltung bringen kann. Was steckt hinter dem Kulturwandel? Und wie können Young Professionals sich einbringen? Von Sebastian Purps

Die Führungsetagen zahlreicher Unternehmen bestätigen, wie wichtig die Entfaltung ungenutzter Potenziale für den Erfolg von morgen ist. Bereits in der Global CEO Studie von IBM aus dem Jahr 2010 sagte die Mehrheit der darin befragten 1500 CEOs, dass die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so komplex sind wie nie zuvor. Viele Chefs waren sich einig, dass nur durch den Zugriff auf das kreative Potenzial der Mitarbeiter die aktuellen und kommenden Herausforderungen gelöst werden können. Zwei Jahre später hatten die inzwischen 1700 befragten CEOs bereits erkannt, dass eine offenere Unternehmenskultur hilft, das Potenzial einer zunehmenden Vernetzung besser zu nutzen. Auch der Stellenwert ethischer Unternehmenswerte ist laut der Studie enorm gestiegen.

Beispiele von Unternehmen, in denen Kulturwandel bereits erfolgreich umgesetzt wurde:
www.kulturwandel.org

Ein Blick auf die Voraussagen der Weltgesundheitsorganisation WHO und die Analysen mancher Krankenversicherung zeigt jedoch, dass es um diesen „Zugriff auf das kreative Potenzial“ und eine positive Unternehmenskultur immer noch eher düster bestellt ist: Die WHO geht davon aus, dass im Jahr 2020 die psychischen Erkrankungen die physischen überholt haben werden. Bereits jetzt entstehen der deutschen Wirtschaft aufgrund psychischer Erkrankungen der Mitarbeiter jährliche Kosten im zweistelligen Milliardenbereich. Das deutet darauf hin, dass die Arbeitskulturen in vielen Unternehmen weder positiv noch nachhaltig sind – geschweige denn zur Potenzialentfaltung beitragen können. Dass es einen Wandel in vielen Unternehmen braucht, ist also kein „weiches“ Thema einzelner Personalentwickler mehr.

Das Thema interessiert inzwischen auch zahlreiche Firmenlenker, die harte wirtschaftliche Zahlen im Blick haben. Hier wächst die Erkenntnis: Ein Kulturwandel ist die Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiter sich wieder voll einbringen und Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben können.

Grundbedürfnisse erfüllen

Das erfolgreiche Unternehmen von morgen sollte sich also heute die Frage stellen: Was genau müssen wir verändern, um auf das kreative Potenzial unserer Mitarbeiter zugreifen zu können? Überdurchschnittlicher Verdienst, Dienstwagen und steile Aufstiegschancen sind längst nicht mehr die Antwort. Studien des Massachusetts Institute of Technology legen dar, dass gerade hohe Bonusanreize kognitive Leistungen reduzieren. Auch die Erfolgsbeispiele der Initiative „Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen“ zeigen, dass Firmen ihre Arbeitsumfelder attraktiver gestalten müssen, um bisher ungenutzte Poten ziale zur Entfaltung zu bringen.

Erfolgreiche Organisationen erfüllen dabei insbesondere zwei wichtige neurobiologische Grundbedürfnisse ihrer Mitarbeiter. Zum einen das Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit: Wenn Menschen dieses Gefühl bemerken – beispielsweise weil der Unternehmenschef wahrnehmbarer wird, die Führungskraft zugewandter agiert oder das Team harmonischer arbeitet –, werden sie innerlich ruhiger und fokussierter. Zum anderen erkennen wir in diesen Unternehmen Rahmenbedingungen, die es Mitarbeitern ermöglichen, selbstbestimmt und selbstwirksam zu arbeiten. Auf diese Weise messen Mitarbeiter dem eigenen Handeln eine viel größere Bedeutung bei. So können sich wahre Feuer der Begeisterung entzünden. Die Hirnregionen, in denen ungenutzte Potenziale verborgen sind, beginnen dann besonders aktiv zu werden.

Young Professionals können das Wissen um diese zwei Schlüsseleigenschaften für sich nutzen, indem sie im eigenen Unternehmen nach Führungskräften suchen, die ihren Teams Freiraum zur Gestaltung bieten und von ihren Mitarbeitern als wichtige Bezugsperson anerkannt sind. Die Chancen für die eigene Potenzialentfaltung steigen beträchtlich, wenn man als Teil eines solchen Teams arbeitet. Zudem können Führungskräfte, die solche Teams leiten, als Rollenmodell für Young Professionals dienen. Sie können vom Verhalten dieser Chefs lernen. Fast noch wichtiger ist es jedoch zu verstehen, mit welcher inneren Haltung und Motivation diese Führungskräfte agieren – das kann ein wichtiger Schlüssel sein, um eigene Veränderungen erfolgreich voranzutreiben.

Haltung und Handlung

Ein Experiment der Sozialpsychologie zeigt, wie bedeutend die innere Haltung sein kann: Der sogenannte Rosenthal-Effekt bezeichnet ein bekanntes Experiment zwischen Lehrern und Schülern. Wissenschaftler haben darin 20 Prozent der Schüler einer Klasse willkürlich ausgewählt – und sie dem Klassenlehrer, unabhängig von der tatsächlichen Begabung oder Leistung, als High Potentials verkauft. Das erstaunliche Ergebnis: Nach einem Jahr konnten die Wissenschaftler bei diesen 20 Prozent eine überdurchschnittliche Leistungssteigerung feststellen. Offensichtlich haben die Überzeugung und innere Haltung des Lehrers sein Verhalten gegenüber diesen Schülern derart beeinflusst, dass seine Arbeit letztlich zu einer Potenzialentfaltung bei den ursprünglich zufällig ausgewählten Schülern geführt hat.

Die innere Haltung von Führungskräften kann also den wesentlichen Unterschied machen. Führungskräfte, die mit einem Mangel an Überzeugung eine neue Führungskultur „probieren“, scheitern öfter. Die Belegschaft spürt, dass der Chef nur eine Methode übernommen hat, und erkennt den Mangel an Authentizität. Eine Führungskraft, die überzeugend eine Arbeits- und Führungskultur verändern will, braucht also starke innere Bilder, an die sie glaubt und die das Handeln leiten. Innere Bilder sind nichts anderes als neuronale Netzwerke. Solche Netzwerke entstehen durch zwei Faktoren: Erstens muss der Führungskraft klar sein, was genau sie durch den Wandel im Unternehmen erreichen will. Das geschieht durch wiederkehrende, fokussierte Reflexion sowie durch Gespräche mit anderen. Die moderne Hirnforschung weiß, dass gerade der Austausch und das Eingehen von Beziehungen einen günstigen Einfluss auf die Bildung neuer neuronaler Netzwerke haben.

Zweitens braucht die Führungskraft genügend inneren Antrieb. Sie muss sich fragen, warum ihr das Erreichen des Wandels wichtig ist. Es muss etwas sein, das sie berührt, etwas, das unter die Haut geht. Nur dann schüttet das Gehirn sogenannte neuroplastische Botenstoffe aus, die dafür sorgen, dass sich die neuen Netzwerke stabilisieren und fest verankern. Das Gehirn ist bestrebt, dass innere Bilder und Realität zusammenpassen. Daher wirken diese starken inneren Bilder als ein intensiver Antrieb: Sie sorgen dafür, dass der Mensch sich aufmacht, die Außenwelt so zu verändern, dass sie zu den eigenen inneren Bildern passt. Dadurch wird das Handeln der Führungsperson authentisch und ermöglicht es anderen, Vertrauen zu fassen, um die eigenen Potenziale noch mehr zu entfalten.

Das ideale Umfeld für so eine Führungskraft und Mitarbeiter, die dann ihre Potenziale entfalten können, ist ein Unternehmen, in dem eine offene Kultur herrscht. Bisher passe diese neue Offenheit jedoch oft kaum zu den traditionellen hierarchischen Kontrollstrukturen, meint Gregor Pillen, Geschäftsführer IBM Deutschland, in einem Interview im Rahmen der Global CEO Studie 2012. Aber es gibt Hoffnung:

„Die Chefs scheinen zunehmend bereit, starre Prozesse zu lockern und durch flexiblere Rahmenwerke zu ersetzen. Sie sind deutlich bestrebt, offenere und kollaborative Kulturen zu fördern und ihre Mitarbeiter zu ermutigen, sich zu vernetzen, voneinander zu lernen und so Veränderungen voranzutreiben.“

Das hieße im Gegenzug aber auch, so Pillen, dass neue Kernkompetenzen von der Belegschaft erwartet werden: Kommunikationsfähigkeit, Kollaborationsskills und die Bereitschaft, möglichst flexibel in wechselnden Teams zu arbeiten. „Die CEOs suchen also Mitarbeiter, denen Veränderungen Spaß machen, die neugierig sind und sich gerne in Netzwerken bewegen.“ Das ist eine gute Nachricht für Young Professionals, denn genau diese Eigenschaften sind in ihrer Generation nachweislich stark ausgeprägt.

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