Filz, Steuerdelikte, grotesk überzogene Manager-Boni: Der Kapitalismus ist in Verruf geraten. Wie er wieder zu Ansehen gelangen kann, gehört zu den wichtigen Fragen der Zeit. Verfechter einer Renaissance des Ehrbaren Kaufmanns sehen die Antwort im ethisch korrekten Verhalten der jeweils einzelnen Führungskraft. Doch Zweifel sind erlaubt. Von Wolf Alexander Hanisch
Hosenträger über Winchesterhemden, das Haar drakonisch zurückgegelt, im Gesicht kalte, zahlenklirrende Berechnung – der Finanzhai Gordon Gekko aus dem ersten Teil des Börsenthrillers „Wall Street“ ist ein archetypischer Schurke. Und das nicht ohne Anziehungskraft: Vor einem Vierteljahrhundert avancierte die von Michael Douglas gespielte Figur zum provokanten Idol in der Businesswelt. Vor allem Young Professionals führten damals – ergriffen von ihrer eigenen Kühnheit – Gekkos Sprüche im Mund und erhoben sie damit in den Rang von Maximen. „Wenn du einen Freund brauchst, kauf dir einen Hund“ ist die vielleicht zynischste, „Gier ist gut“ die berühmteste Sentenz. Ihr Kurswert stürzte erst ab, als 20 Jahre nach dem Kinohit die Finanzkrise ausbrach. Dann aber mit Pauken und Trompeten.
Jetzt soll eine gänzlich andere Leitfigur die Selbstzweifel kurieren, die viele Geschäftsmenschen seither befallen hat: der Ehrbare Kaufmann. Anstelle der draufgängerischen Brokerkluft ist es der Anstand und Sitte verkörpernde Zylinder eines Johann Buddenbrook, den immer mehr Unternehmen und Management-Theoretiker gleichsam im Schilde führen. „Sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können“, ermahnt der Lübecker Paradekaufmann seinen Sohn im Roman „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann.
Inneres Geländer
Daniel Klink vom Institut für Management der Berliner Humboldt-Universität macht sich besonders für ein Comeback des Leitbildes stark. Er will damit der Unternehmerschelte begegnen, die inzwischen mittelständische Geschäftsführer ebenso betrifft wie die Lenker großer Konzerne. Für den Betreiber eines Informationsportals zum Ehrbaren Kaufmann wurzeln die moralischen Verfehlungen der jüngeren Vergangenheit in der akademischen Ausbildung: „Viele Manager legen ihren Entscheidungen die Erkenntnisse der reinen Ökonomie aus ihrem Studium zugrunde und übersehen dabei ihre gesellschaftliche Verantwortung.“
Daher seien sie häufig überfordert, wenn es um eine nachhaltige Unternehmensführung geht. Die Tugenden des Ehrbaren Kaufmanns – etwa Ehrlichkeit, Vorsicht, Ernsthaftigkeit und Wagemut im rechten Moment – schaffen demgegenüber laut Klink „ein inneres kulturelles Geländer, das das Handeln von Unternehmen in Einklang mit der Gesellschaft bringt“. Dass ihre Berücksichtigung auch Erfolg verspricht, ist für die Verfechter des Leitbilds offenkundig. Glaubt man ihnen, stiftet Ehrbarkeit als Handlungsmotiv Vertrauen, was wiederum Reibungsverluste und Transaktionskosten verringert, kostspielige Überwachungssysteme erübrigt und so letzten Endes Märkte funktionstüchtiger macht und die Effizienz erhöht.
Wer das nicht unbesehen glauben will, muss zunächst einen Blick auf die Geschichte des Ehrbaren Kaufmanns werfen. Der Begriff geht zurück auf den Lübecker Bürgermeister und Hansekaufmann Hinrich Castorp, der im 15. Jahrhundert die Gottgewolltheit des Kaufmannsberufes erklärte und forderte, die Geschäfte mit den Prinzipien christlicher Moral zu verknüpfen. Was alles andere als selbstverständlich war. Denn da der Beruf des Händlers keine eigenen Werte schafft, nahm man ihn als notwendigen Funktionär des Lebens selten ernst und begegnete ihm seit jeher mit großem Misstrauen. „Ein Kaufmann kann sich nur schwer hüten vor Unrecht und Sünde“, heißt es bereits im Alten Testament. Besitzt aber ein Ehrbegriff aus dem Spätmittelalter, der seine Blüte zur Zeit der nordeuropäischen Hanse und der italienischen Renaissance erlebte, noch Gültigkeit im 21. Jahrhundert?
Daran bestehen Zweifel. Denn die Wirtschaftswelt vor 500 Jahren war ungleich übersichtlicher als die Moderne unserer Tage. Alle Akteure waren in Gilden organisiert, denen man allein die Ehre zu erweisen hatte. Der Ehrbare Kaufmann handelte insofern nicht selbstlos anständig, sondern buchstäblich nur, um seinem Stand zu entsprechen. Und innerhalb dieser Grenzen war er stets handfest von der Wirkung seines Gebarens betroffen: Der Ehrbare Kaufmann früherer Zeiten wirtschaftete ausschließlich auf eigene Rechnung. Heute dagegen ist der angestellte Manager der Normalfall – was ihn unter Umständen dazu verleiten kann, es mit der Verantwortung nicht ganz so genau zu nehmen.
Der Ehrbegriff ist zudem weitgehend regional definiert. Im Wertepluralismus unserer globalen Welt wird das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns darum zu einem problematischen Kodex: Während man unter ehrenhaftem Verhalten in Europa und Nordamerika ähnliches versteht, ruhen Werte in Asien oder Afrika auf ganz anderen Säulen. So steht beispielsweise im chinesischen Wirtschaftsleben die List äußerst hoch im Kurs. Das westliche, von der Aufklärung und dem Streben nach Klarheit dominierte Denken hingegen lehnt sie ab – und stößt bei Verhandlungen mit chinesischen Geschäftspartnern oft an seine Grenzen.
Legitimität statt Akzeptanz
Was aber macht nun die Integrität eines modernen Kaufmanns aus? Sie ergibt sich aus der Fähigkeit, den vielfältigen Ansprüchen verschiedener Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft zu entsprechen – und nicht nur einer überschaubaren Menge von Standesgenossen. Strebte der Ehrbare Kaufmann alten Schlags lediglich nach der Akzeptanz unter seinesgleichen, muss es dem Manager der Gegenwart um die Legitimität des kompletten Geschäftsmodells gehen. Anders gesagt: Während die Individualethik früher ihren Dienst tat, lassen sich Unternehmen heute ohne eine transparente, weithin geteilte Institutionenethik kaum noch verantwortungsvoll führen.
Eine solche Ethik ist schon allein deswegen ratsam, weil das Ehrgefühl eines Menschen entweder im tatsächlichen oder nur im vermeintlichen Ansehen in den Augen anderer liegt. Demnach kann sich im Ehrgefühl auch derjenige sonnen, der sich in Wahrheit über das eigene Ansehen täuscht. Das heißt: Anders als unter dem Regiment transparenter Regeln – wie sie etwa in Wertemanagementsystemen zum Ausdruck kommen – kann man beim Ehrbaren Kaufmann nie völlig sicher sein, welche Tugenden tatsächlich am Werk sind.
Mehr zum Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns:
www.der-ehrbare-kaufmann.de
Zweifel bestehen auch hinsichtlich der Wettbewerbstauglichkeit des Leitbildes. „Starkes Konkurrenzverhalten war verpönt beim Ehrbaren Kaufmann“, schreibt etwa der große Soziologe Werner Sombart. Dabei existiert der gegenwärtige Primat der Gewinnmaximierung im unternehmerischen Wettstreit – und damit der zentrale Motor unseres Wohlstands – unabhängig von jedem Tugendkatalog. Das Streben nach immer mehr Profit ist nämlich mitnichten ein menschlicher Trieb, dem man irgendwie beikommen müsste. Es ist vielmehr ein Aufruf unseres modernen Wirtschaftssystems, dem selbst der ehrbarste Geschäftsmann Gehör zu schenken hat. Und genau dort, am System, das den kurzfristigen Gewinn nur zu oft über nachhaltige Effekte stellt, müsste eine Veränderung ansetzen.
Sie bräuchte dem Ideal des Ehrbaren Kaufmanns auch gar nicht zuwiderlaufen. Im Gegenteil: Viele seiner traditionellen Prinzipien können durchaus eingehen in ein Regelsystem, das den Sirenengesängen des Turbokapitalismus zu trotzen verstünde. Und dennoch: In letzter Konsequenz ist es die Redlichkeit, die das Verhalten des Ehrbaren Kaufmanns mehr als andere Tugenden charakterisiert. Wer sie aber genauer ins Auge fasst, ahnt, dass zu jedem Erfolg auch ein Schuss Laster gehört. Denn was macht den Redlichen im Grunde aus? Ihn plagen Skrupel, auch nur eine Regel des sozialen Verkehrs zu brechen. Der Redliche will nicht aus der Reihe tanzen, sein Ideal ist die Seriosität. Dafür aber muss er einen Preis bezahlen – nämlich einen gewissen Mangel an Kreativität. Wer allerdings heute im Wettbewerb bestehen will, weiß: Ohne sie wird es schwer. Es muss sich dabei ja nicht um die Kreativität eines Gordon Gekko handeln.