Die junge Wissenschaftlerin Giulia Enders hat in ihrem Buch spannend und unterhaltsam erklärt, warum der Darm so wichtig ist. Im Interview verrät sie, was man bei wissenschaftlichen Publikationen beachten muss. Die Fragen stellt André Boße.
Giulia Enders: Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ.
Ullstein 2014.
ISBN 978-3550080418.
Preis: 16,99 Euro.
Ihr Buch über den Darm ist ein sensationeller Beststeller. Warum hat das Organ diesen Erfolg verdient?
Weil es den Darm gar nicht interessiert, ob er erfolgreich ist. Er will einfach nur das Beste für unser Inneres, denn vom Rest kriegt er da drinnen nichts mit. Wenn nach dem Buch Leute ihren Darm besser behandeln als davor, dann ist das ein echter Erfolg, der jeden einzelnen Darm freut. Ein gutgelaunter Darm kann dann wiederum das eigene Leben angenehmer machen – et voilá: Win-win-Situation, denn der Darm hat viel mitzureden in unserem Körper. Er trainiert zwei Drittel der Immunzellen, bildet etwa 20 eigene Hormone, arbeitet eng mit unserem Gehirn, und all das auf einer Fläche, die sehr viel größer ist als unsere Haut.
Worauf kommt es an, wenn man wie Sie naturwissenschaftliches Fachwissen für die Allgemeinheit aufbereiten will? Und woran scheitern Forscher, denen das nicht gelingt?
Ich denke, es kommt auf zwei Dinge an: Einmal ist es das Zusammenarbeiten mit anderen. Viele wissenschaftliche Fakten habe ich letztendlich rausgelassen, weil meine Schwester, die Designerin ist, sie nicht spannend fand. Durch Zusammenarbeit kann ich mit mehreren Perspektiven auf mein Buch schauen – das macht das Endprodukt auch für verschiedene Menschen interessant. Zweitens ist es aber auch mehr Arbeit, etwas ganz einfach und bildlich zu beschreiben. Ein Wissenschaftler oder Professor, der jeden Tag acht Stunden und mehr in seinem Labor oder der Klinik steht, muss nicht auch noch ein großartiger Metaphern-Finder sein. Dafür fehlt oft schlichtweg die Zeit. Auch wortkarge Experten sind sehr, sehr wichtig für unsere Wissenschaft. Wir brauchen beide – die Redseligen und die stummen Tüftler.
Eine Ihrer Methoden war die Nutzung von PubMed. Worauf müssen junge Naturwissenschaftler achten, wenn Sie dieses Archiv anzapfen?
Ich denke, man sollte immer selbst mitdenken. Man sollte genau hinsehen – auch wenn etwas auf PubMed veröffentlicht ist. Sehr geholfen hat mir außerdem ein Universitätskurs, bei dem uns verschiedene Techniken bei der PubMed-Suche gezeigt wurden. Damals haben alle gestöhnt und fanden den Kurs langweilig. Für mich war es einer der hilfreichsten Kurse der gesamten Vorklinik.
Sie haben im Vorfeld auch hochkarätige Wissenschaftler kontaktiert, ohne Rückmeldung. Dann haben Sie alleine weitergemacht. Was hat Sie motiviert?
Mein Thema war zu wichtig und zu schön, um aufzugeben. Ich habe aber tatsächlich mit sehr viel mehr Angst weitergearbeitet, denn wenn niemand wissenschaftlich berät, kann viel schiefgehen. Angst kann aber auch gut sein – ich habe dadurch natürlich sehr viel mehr gelesen, sehr viel mehr Papers gesammelt und sehr viel mehr doppelt gecheckt. Und im Nachhinein weiß ich: Ich habe es geschafft, trotz Angst oder Sorgen. Das gibt mir Mut, dass ich mich auch in Zukunft immer ein bisschen mehr trauen kann, als ich von mir denke. Mein Hirn wächst dann schon rein.
Sie haben „Darm mit Charme“ erstmals auf dem Science Slam in Berlin vorgestellt. Wie ernst werden solche neuen Methoden der Präsentationen heute von der Wissenschaft genommen? Verspielt man auf solchen Slams seinen Ruf als „ernsthafte Forscherin“ – oder zeigt man gerade dort, dass man in der Lage ist, wissenschaftliche Themen unterhaltsam und verständlich zu vermitteln?
Das müssten Sie mich vermutlich in ein paar Jahren noch einmal fragen. Bis jetzt habe ich auf jeden Fall sehr viel positives Feedback von Ärzten und Professoren bekommen. Es geht mir mit dem Buch ja auch nicht darum, eine Forscherin zu sein, sondern darum, Menschen die Scham zu nehmen und neugierig zu machen – auf ein fabelhaftes Organ.
Filmtipp
Auf www.darm-mit-charme.de findet sich neben Informationen zum Buch ein Video, in dem Giulia Enders ihre Faszination für den Darm erläutert.