Work-Life-Balance ist keinesfalls nur ein Thema für vom Burnout bedrohte Top-Manager oder Väter und Mütter. Untersuchungen zeigen, dass das Thema in den Fokus von Berufseinsteigern gerückt ist. Sie möchten ihre Arbeit und ihr Leben selbst gestalten, und dafür bieten Unternehmen mittlerweile die unterschiedlichsten Möglichkeiten. Personaler und Coachs raten Einsteigern, sich früh klarzumachen, was ihnen wirklich wichtig ist – und diese Themen dann offen anzusprechen. Von André Boße
Was Karriere ist? Von Beginn an gutes Geld verdienen und schnell nach oben kommen – dorthin, wo es noch mehr Geld gibt. Eine provozierende Antwort? Vor allem eine überholte Antwort, denn für die junge Generation steht Karriere vielfach für etwas anderes. Das Beratungsunternehmen Universum hat im zweiten Halbjahr 2011 rund 7000 Professionals mit Hochschulabschluss nach ihren wichtigsten Karrierezielen gefragt. Mit weitem Abstand die meisten Nennungen erhielt der Aspekt „eine ausgewogene Work-Life-Balance haben“ (60 Prozent). Auf Platz zwei mit 49 Prozent: „intellektuell herausgefordert sein“. Klassische Aufsteigerziele erhielten dagegen deutlich weniger Zustimmung: Der Punkt „Führungskraft in leitender Position werden“ wurde von 34 Prozent der Befragten genannt, „Technischer oder Fachexperte sein“ lediglich von 17 Prozent. Mit Blick auf die Young Professionals, also auf Fachkräfte unter 40 Jahren und mit weniger als acht Jahren Berufserfahrung, spricht Stefan Lake, Country Manager Deutschland bei Universum, von einem klaren Trend bei den Karrierepräferenzen: „Parallel zu den Steigerungen bei Work-Life-Balance und der intellektuellen Herausforderung nimmt die Relevanz der eigenen Funktion im Unternehmen ab. Solange Young Professionals das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatem ausgewogen sehen und vor herausfordernde, abwechslungsreiche Aufgaben gestellt werden, ist es den Befragten weniger wichtig, ob sie eine Führungsposition innehaben oder eine fachliche Laufbahn einschlagen.“
Buchtipp
Stress und Burnout werden leider oft undifferenziert zum Bedrohungsszenario erklärt in der Familie, in der Schule aber vor allem in der Arbeitswelt. Der Neurobiologe Bernd Hufnagl plädiert für mehr Geduld und Achtsamkeit in der Hektik des Alltags.
Bernd Hufnagl
Besser fix als fertig: Hirngerecht arbeiten in der Welt des Multitasking.
Molden Verlag 2014.
ISBN 978-3854853312.
22,99 Euro
Die Studie liefert ein Ergebnis mit großer Schlagkraft. Die junge Generation stellt die eigene Persönlichkeit vor die aufstiegsorientierte Laufbahn. Einschränkungen in der Lebensqualität zugunsten guter Gehälter und einflussreicher Posten sind nicht mehr akzeptabel. Der Weg nach oben? Ja, aber nur, wenn die persönliche Entwicklung Schritt halten kann. Die junge Generation betrachtet berufliche Arbeit und privates Leben nicht als zwei gegensätzliche, unvereinbare Welten. Gewünscht sind daher Konzepte, die Arbeit und Leben zusammenfließen lassen – in eine ausgeglichene Work-Life-Balance, in der Top-Leistung für den Arbeitgeber genauso an der Tagesordnung steht wie flexible Arbeitszeiten, mobile Arbeitsorte und berufliche Auszeiten, um sich zu erholen oder sich der Familie zu widmen.
Aber ist es nicht seltsam, dass schon Einsteiger eine gesunde Work-Life-Balance als Karriereziel Nummer eins betrachten? Sollten nicht Absolventen bei ihrem ersten Job das Privatleben zunächst einmal komplett hintanstellen und sich auf Leistung im Unternehmen fokussieren? „Nein, keineswegs“, findet Claudia Schlossberger, Personalbereichsleiterin beim Handelskonzern Metro. „Nachwuchskräfte hinterfragen zurecht kritisch einen ausschließlichen Fokus auf Arbeit und Karriere.“ Der Verantwortlichen für das Recruiting kommt es nicht verdächtig vor, wenn schon Einsteiger oder Young Professionals im Bewerbungsprozess sehr deutlich machen, dass für sie Work-Life-Balance ein wichtiges Thema ist. „Die gesellschaftlichen Werte haben sich verändert, und wenn junge Menschen heute schon beim Arbeitseintritt deutlich machen, dass sie auch Ziele außerhalb der Arbeitswelt verfolgen, sehen wir das positiv“, sagt sie – und weiß aus Erfahrung, das Selbstbewusstsein beim Thema Work-Life-Balance bedeutet, dass die Nachwuchskräfte im Unternehmen trotzdem mit hohem Engagement und Einsatzwillen glänzen. Der Vorteil dieser Mitarbeiter: Sie glänzen in der Regel länger als die, die sich ohne Rücksicht auf das persönliche Befinden auspowern.
Leistung ist also auch für die Work-Lifesensible Generation weiterhin selbstverständlich – wenn das Gesamtpaket stimmt. Claudia Schlossberger hat beobachtet, dass topqualifizierte Absolventen im Bewerbungsprozess deutlich kritischere Fragen stellen als noch vor einigen Jahren. Sie wollen nicht nur wissen, wie die Möglichkeiten für flexible Arbeitszeiten oder Arbeiten im Home Office sind, sondern auch, wie das Unternehmen zu Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder gesellschaftlicher Verantwortung steht. Auch diese Aspekte fließen in die Work-Life-Balance hinein, denn viele Nachwuchskräfte legen großen Wert darauf, dass ein Unternehmen, für das sie sich engagieren wollen, nachhaltig wirtschaftet und verantwortungsbewusst handelt. „Arbeitgeber sind daher gut beraten, zu all diesen Fragen das Gespräch anzubieten und sich kontinuierlich selbst kritisch auf den Prüfstand zu stellen“, sagt Claudia Schlossberger. Sie erwartet für die nahe Zukunft eine Arbeitswelt, in der Unternehmen noch mehr als heute vor der Aufgabe stehen, ihren Fachkräften möglichst großen individuellen Gestaltungsraum zu geben.
„Die Arbeitswelt wird in zehn Jahren deutlich anders aussehen“, prognostiziert sie. „Mitarbeiter werden häufiger wechseln – ob innerhalb eines Unternehmens oder zu einem anderen Arbeitgeber.“ In dieser mobilen Arbeitswelt entsteht Loyalität nicht mehr durch langjährige Zugehörigkeit, sondern durch einen lebendigen und transparenten Austausch zwischen Unternehmen, Führungskräften und Mitarbeitern. Ein Einsteiger, dem besondere Aspekte der Work-Life-Balance wichtig sind, sollte diese daher direkt und offen ansprechen. Ein „zu früh“ gibt es bei diesen Themen nicht. Ein „zu spät“ jedoch sehr wohl. „Angesichts der steigenden Zahlen psychosozialer Erkrankungen – gerade auch bei Berufsanfängern – rate ich Einsteigern, von Beginn an auf eine gute Work-Life-Balance zu pochen“, sagt Birgit Wintermann, Expertin für Unternehmenskultur bei der Bertelsmann-Stiftung. Selbst in stark mitarbeiterorientierten Unternehmen könnten die Führungskräfte nicht in die Köpfe ihrer Mitarbeiter schauen. „Daher ist es wichtig, selbst seine Grenzen zu erkennen, diese nicht dauerhaft zu überschreiten und bei Bedarf das Gespräch mit dem Vorgesetzten zu suchen“, sagt Wintermann. Allerdings merkt sie an, dass die Nachricht, man wolle seine Arbeitszeit aus persönlichen Gründen einschränken, auch in fortschrittlichen Unternehmen keine Jubelszenen auslösen wird. „Kein Arbeitgeber hört es gerne, wenn ein Mitarbeiter weniger arbeiten möchte oder ein gewisses Arbeitspensum nicht schafft“, sagt Wintermann. Doch dies ist weder ein Grund dafür, das Bedürfnis zu verdrängen, noch, stur auf sein Recht zu pochen. „Ratsam ist es, sensibel zu sein und eigenverantwortlich Lösungsvorschläge mit ins Gespräch zu bringen“, sagt Birgit Wintermann. Denn am besten lässt sich eine Work-Life-Balance herstellen, wenn Unternehmen und Mitarbeiter gleichwertig daran beteiligt sind.
Mitarbeiterzufriedenheit als Unternehmensziel
Zwei Drittel aller Unternehmen und sogar fast drei Viertel der Großunternehmen ab 250 Beschäftigte haben ihre Führungskräfte explizit verpflichtet, die Arbeitszufriedenheit ihrer Mitarbeiter zu verbessern. Das belegt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, die im Rahmen des Projekts Vitness durchgeführt wurde. Vor allem innovative und erfolgreiche Unternehmen bemühen sich darum, Mitarbeiter langfristig zu binden. Dazu gehören unter anderem Vertrauen in die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, jährliche Mitarbeitergespräche sowie eine familienfreundliche und chancengerechte Personalpolitik.