Ich werde oft gefragt: Wie wird das Automobil der Zukunft aussehen? Meine Antwort: Es wird autonom fahren! Überraschend ist das nicht, eine entsprechende Entwicklung hat in der Automobilindustrie bereits begonnen. Von Dr.-Ing. Thao Dang, Daimler
Dr.-Ing. Thao Dang, 38 Jahre,
Ingenieur für Elektrotechnik,
Senior Engineer Autonomous Driving
Schon heute können Fahrzeuge beim Einparken selbstständig lenken, der Fahrer gibt nur noch Gas und bremst. Außerdem bieten viele Hersteller Fahrerassistenzsysteme an, die automatisch den Abstand zum Vordermann einhalten können, Lenkunterstützung auf Autobahnen geben oder teilautonom im langsamen Verkehr fahren können, wie zum Beispiel ein Stop- & Go-Pilot. Teilautonom bedeutet, dass das Fahrzeug zwar selbstständig lenkt und bremst, der Fahrer aber dennoch die Fahrsituation ständig im Auge behalten muss. Auf Autobahnen oder ähnlichen Straßen wird es wahrscheinlich in absehbarer Zeit sogar hochautomatisiertes Fahren geben: Der Fahrer wird sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren müssen, sondern kann zum Beispiel seine E-Mails lesen, während ihn ein ständig aufmerksames Fahrzeug sicher über die Autobahn chauffiert.
Ein schönes Beispiel für die Zukunft des autonomen Fahrens ist der Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive. Dieses Versuchsfahrzeug wiederholte im Sommer 2013 die Pionierfahrt des Automobils. 125 Jahre zuvor fuhr Bertha Benz mit ihren beiden Söhnen im Patent Motorwagen Nr. 3 ihres Ehemannes Carl Benz von Mannheim nach Pforzheim. Diese Fahrt im August 1888 wird heute als die erste Überlandfahrt in der Geschichte betrachtet und steht für den Beginn des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolges des Automobils. Der S 500 Intelligent Drive – von uns Ingenieuren Bertha getauft – bewältigte diese 103 Kilometer lange Strecke selbstständig, ohne Eingriffe eines Fahrers. Bertha fuhr über Landstraßen, passierte kleine Ortschaften und durchquerte die Innenstädte von Mannheim, Heidelberg und Bruchsal im realen Verkehr. Bertha musste komplexe Verkehrssituationen meistern, Kreuzungen überqueren, Kreisverkehre durchfahren, Ampeln erkennen und an Zebrastreifen anhalten. Sie reagierte auf andere Fahrzeuge, beachtete Radfahrer und Fußgänger.
Die verschiedenen Fahrsituationen entlang der Bertha-Benz-Route deuten bereits das breite Spektrum der Entwicklungsaufgaben an, die für das autonome Fahren erforderlich sind. Eine zentrale Rolle spielt die Sensorik: Wie können Hindernisse, Fahrbahnmarkierungen und andere Verkehrsteilnehmer erkannt werden? Bertha löst diese Aufgaben mit Hilfe von Stereosehen und Radarsensoren. Eine Stereokamera kann eine Szene wie ein menschliches Augenpaar dreidimensional erfassen und damit Hindernisse vermessen. Außerdem nutzen wir Kameras für Klassifikationsaufgaben, das heißt, sie können entscheiden, ob es sich bei einem Objekt um einen Fußgänger, einen Radfahrer oder ein Auto handelt. Ein schwieriges Klassifikationsproblem ist etwa die Erkennung von Ampeln und die Bestimmung der Ampelphasen rot, gelb oder grün.
Sensoren alleine reichen aber nicht aus, um alle Information zu erfassen, die für das autonome Fahren erforderlich sind. Zusätzlich werden genaue digitale Karten benötigt, in denen beispielsweise der Verlauf von Fahrspuren oder Vorfahrtsregeln abgespeichert sind. Diese Karten dienen zum einen der Routenplanung wie in heutigen Navigationsgeräten. Zum anderen sind solche Daten besonders in der Innenstadt notwendig, wo klare Markierungen von Fahrspuren häufig fehlen oder komplexe Kreuzungen anzutreffen sind. Eine Verwendung von genauen Karten erfordert aber immer auch eine genaue Lokalisierung. In den letzten Jahren hat sich ein neues Forschungsgebiet entwickelt, das sich mit der Selbstlokalisierung von Robotern beschäftigt. Bertha verwendet einen solchen Ansatz, bei dem markante Punkte – sogenannte Landmarken – in der digitalen Karte abgelegt werden. Findet das autonome Fahrzeug während einer Fahrt mehrere solcher Landmarken in einem Kamerabild wieder, kann es seine aktuelle Kartenposition mit hoher Genauigkeit berechnen.
Die künstliche Intelligenz des autonomen Fahrzeugs findet sich in der sogenannten Manöverplanung. Diese besteht aus Algorithmen, die anhand der Karteninformation, der erfassten Umgebungsdaten und der Straßenverkehrsordnung entscheiden, wie sich das Fahrzeug verhalten soll. Für Bertha bedeutet das etwa, Vorfahrt an Kreuzungen zu beachten, ausreichend große Lücken bei der Einfahrt in Kreisverkehre abzuwarten oder entgegenkommende Fahrzeuge an engen Stellen vorbeizulassen. Zum Verhalten des Fahrzeugs gehört auch die Berechnung einer Bahn, die das Fahrzeug sicher an Hindernissen wie zum Beispiel parkenden Fahrzeugen vorbeiführt. Auch hier kommen Methoden aus der Robotik zum Einsatz. Schließlich muss die vorgegebene Bahn auch vom Fahrzeug umgesetzt werden. Dazu wird eine Regelung verwendet, welche die erforderlichen Lenk-, Beschleunigungs- oder Bremsbefehle berechnet. Hierzu müssen die Entwickler nicht nur die Lenkund Antriebskomponenten des Fahrzeugs beherrschen. An der Auslegung der Regelung entscheidet sich, ob die Passagiere ihre Fahrt als komfortabel erleben oder nicht. Damit sind aber noch lange nicht alle Aufgabenbereiche des autonomen Fahrens abgedeckt. Spannende Fragen sind auch: Wie kann der Fahrer das selbstfahrende System intuitiv bedienen? Wie gewinnt er Vertrauen zum autonomen Fahrzeug?
Nicht zuletzt müssen sich Entwicklungsingenieure auch gesellschaftlichen Fragen wie den rechtlichen Grundlagen des autonomen Fahrens stellen. Was bedeutet das für die Arbeit eines Entwicklers? Das Beispiel Bertha zeigt, wie interdisziplinär die Entwicklung eines selbstfahrenden Automobils ist. Viele Fragestellungen sind noch offen, und die Entwicklung orientiert sich wie in wenigen anderen Feldern an den neuesten Ergebnissen aus den Forschungsbereichen Robotik, Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz und Sensorik. Ich glaube, autonomes Fahren gehört zu den aufregendsten und anspruchsvollsten Aufgaben, die die Automobilindustrie bereithält.