Rein bildlich vorgestellt liegt der Vergleich nahe, dass das Verkehrswegenetz sich nicht allzu sehr von Computernetzen unterscheidet: Straßen sind wie Kabel und Autos sind wie Daten, die von Ort zu Ort fließen. Organisiert wird der Verkehr in beiden Welten nach festen Regeln. Doch handelt es sich überhaupt noch um unterschiedliche, voneinander getrennte Welten? Von Christoph Berger
Das Auto fährt. Und demnächst auch ohne einen Menschen am Steuer – wie es in Science-Fiction-Filmen schon häufiger zu sehen war. Im August sickerten Gerüchte durch, dass ein großer amerikanischer Internet- und Technologiekonzern an einem „Robo-Taxi“ für Großstädte tüftelt: ein selbstfahrendes Auto, das autonom Fahrgäste einsammelt und zu ihrem Ziel bringt. Auch in Deutschland gibt es Forschungen in diesem Bereich: Die FU Berlin stellte 2012 ein selbstfahrendes Auto vor, das unter anderem Ampelschaltungen erkennt. Die Forscher des Berliner Innovationslabors AutoNOMOS schreiben: „Das ‚Gehirn‘ des fahrenden Roboters ist eine Software, die die Daten der Sensoren auswertet, Regeln beachtet und Entscheidungen für die Navigation und das Verhalten des Fahrzeugs trifft.“
„IT wird produktrelevant“, sagt Dr. Juergen Reiner. Der studierte Informatiker ist Partner des globalen Automotive- Bereichs sowie der Information Technology & Operations Practice des Beratungsunternehmens Oliver Wyman. Für die Logistik, Entwicklung und Produktion ist IT schon lange wichtig. Doch jetzt ist sie Teil des Produkts. Oder anders formuliert: Das Auto wird zum Endgerät und zu einem Teil des Internets. Diese Entwicklung hat nicht nur Folgen für das Auto selbst. Rund um seine Nutzung entstehen zahlreiche neue Geschäftsmodelle: zum Beispiel im Bereich des Flottenmanagements oder bei Versicherungen. Auch diese Geschäftsfelder sind wiederum eng mit der IT verbunden.
Wie die Symbiose von Auto und Software vorangeschritten ist, zeigt das Beispiel Audi. „Wir bieten im neuen Audi A3 schon heute 18 Online-Dienste an – damit ist das Fahrzeug Teil des digitalen Lebens unserer Kunden“, sagt Mattias Ulbrich, Leiter IT und Organisation (CIO) der Ingolstädter Aktiengesellschaft. Das Unternehmen strebt die umfassende Vernetzung des Autos mit dem Fahrer, dem Internet, der Infrastruktur und anderen Fahrzeugen auf der Straße an. „Außerdem könnte ohne IT bei uns kein einziges Fahrzeug vom Band laufen, sie steckt in so gut wie jedem Prozess“, sagt der IT-Leiter. In Fertigung und Logistik beispielsweise wachsen mit der Modellvielfalt auch die Teilevarianz und damit die Komplexität in den Prozessen. Um diese zu beherrschen, müssen die Arbeitsabläufe der Mitarbeiter optimal unterstützt werden. „Auch die IT-Systemlandschaft verändert sich: weg von vielen Einzellösungen hin zu integrierten Lösungen, bei denen die Prozesse durchgängig mit möglichst wenigen Schnittstellen laufen. Die Maßgabe lautet ‚IT folgt Prozess‘“, sagt Ulbrich.
Übergreifendes Verständnis
Bei der Entwicklung der Digitalisierung ist kein Ende abzusehen. Juergen Reiner sagt: „Alle Services rund um das Auto haben einen kurzen Lebenszyklus.“ Immer wieder müssen die Lösungen den neuen technischen Entwicklungen angepasst werden. Dafür werden nicht nur Entwickler gebraucht, sondern auch Experten mit Beurteilungskompetenz. Sie sollten technische Innovationen einschätzen und deren möglichen Einfluss auf das Auto beurteilen können. „Das gilt gleichermaßen für Experten bei den Automobilherstellern und bei den Zulieferunternehmen“, sagt Reiner. Funktionalität ist die Prämisse.
Bei Audi steht an erster Stelle die Persönlichkeit der einzelnen Bewerber. „Wir prüfen, wer zu uns passt und umgekehrt“, sagt Mattias Ulbrich. Bewerber sollten einen guten Hochschulabschluss vorweisen und erste Erfahrungen im Projektmanagement sowie Kenntnisse der IT-Architektur, IT-Sicherheit und der gängigen ITStandrads mitbringen. Ausgehend von der jeweiligen Aufgabenstellung brauchen sie außerdem Kenntnisse der SAP-Standardsystemsoftware, im Systemdesign oder technische beziehungsweise fachliche Prozesskenntnisse. „Neben den fachlichen Fähigkeiten sollten sie zudem über ausgeprägte Kommunikations- und Teamfähigkeiten verfügen“, so Ulbrich. Wer diese Fertigkeiten hat, kann schnell Verantwortung übernehmen.
So stellt sich schließlich die Frage: Handelt es sich bei den Autos der Zukunft noch um Autos oder schon um Roboter, wie das „Robo-Taxi“? Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) heißt es: „Durch den Einbau von Sensoren und Kameras hat das Auto inzwischen fühlen und sehen gelernt. Diese Intelligenz ist die Voraussetzung für die Vernetzung der Fahrzeuge. Das Auto empfängt in Zukunft nicht nur Daten aus verschiedenen Kanälen, sondern tauscht die eigenen mit der gesamten Umwelt aus.“ Das kommt der Roboter- Definition des Duden schon ziemlich nahe: Nach der ist ein Roboter sowohl eine Apparatur, die bestimmte Funktionen eines Menschen ausführen kann, als auch ein Automat, der ferngesteuert oder nach Sensorsignalen beziehungsweise einprogrammierten Befehlsfolgen anstelle eines Menschen bestimmte mechanische Tätigkeiten verrichtet. Bestimmt lässt sich über die Vereinigung der beiden Begriffe streiten – klar ist aber: Heutige Informatik- Absolventen werden die Entwicklung maßgeblich mit beeinflussen.
Redaktionstipp
Der VDA hat im August 2012 eine Informationsbroschüre mit dem Titel „Vernetzung. Die digitale Revolution im Automobil“ herausgegeben. Darin werden unter anderem die Themen Mobilität, Vernetzung, Sicherheit, Infotainment und Komfort behandelt. Die Broschüre steht auf www.vernetzung-vda.de zum freien Download zur Verfügung.