Back to Life e. V. wurde von Stella Deetjen gegründet, einer Deutschen, die 1996 während einer Indienreise eine Straßenklinik für Leprakranke errichtete. Seitdem ist Deetjen in Indien und Nepal unterwegs, um Hilfsprojekte zu initiieren, die benachteiligten Menschen den Weg zu Selbstbestimmung und Selbstständigkeit ebnen sollen. Aufgezeichnet von Stefan Trees.
Zur Person
Stella Deetjen
Projekt: Back to Life e. V.
Ort: Nepal/Indien
Web: www.back-to-life.org
Zum ersten Mal in meinem Leben begegnete ich während meiner ersten Indienreise Leprakranken in Benares. Sie saßen bettelnd am Straßenrand, ausgestoßen von der Gesellschaft. Tagelang schlich ich an ihnen vorbei und wagte immer nur einen kurzen scheuen Blick aus den Augenwinkeln.
Wie alles begann
Als ich einmal mit starken Bauchschmerzen auf den Treppen saß, die zum heiligen Fluss Ganga führen, kam ein alter, weißhaariger Mann auf mich zu. Er war offensichtlich lepraerkrankt, sah mich an und fragte, ob er mir helfen könne. Mir verschlug es die Sprache, denn ich war die reiche Touristin, und eigentlich hätte ich ihm Hilfe anbieten müssen und nicht er mir. Er segnete mich, schenkte mir einen liebevollen Blick, der mich in Herz und Seele traf und berührte meinen Kopf. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt rein gar nichts über Lepra. Dennoch hatte ich keine Angst vor dieser Berührung, weil er mir mit seiner Geste so viel menschliche Wärme gab.
Am nächsten Tag suchte ich den alten Mann auf, um ihm zu danken, und bald gesellten sich weitere Leprakranke zu uns. Ein junger Mann, der ein wenig Englisch sprach, zeigte mir, wie wunderbar er trotz fehlender Finger zeichnen konnte, indem er sich Bleistift oder Pinsel mit einer Bandage in seiner Handinnenfläche fixierte. Ich ging los und kaufte Stifte und Papier, und von dem Tag an malten wir gemeinsam. Stets saßen andere Leprakranke um uns herum, sie brachten Tee und wollten teilnehmen. Die Freude, dass ich mich für sie interessierte, war ihnen deutlich anzumerken. Wir freundeten uns an und sie ließen mich immer tiefer in ihr Leben blicken. Manche ernannten sich zu meinem Großvater, zu meinem kleinen oder großen Bruder oder zu meiner Schwester.
Schnelle Entscheidung
Wochen später sperrte die Polizei alle leprakranken Männer der Straße in einen Lastwagen. Ich verstand nicht, was da passierte, und sah die Angst in den Augen dieser Menschen, die außer ihrer Freiheit nichts mehr besaßen. Die Polizisten antworteten mir, Betteln sei illegal und die Männer würden ins Gefängnis gebracht werden. Ich hatte Angst, dass ich die Männer, die ich meine Brüder nannte, nie wiedersehen würde. Meine Entscheidung dauerte nur einen Augenblick, und ich stieg zum Entsetzen der Polizisten mit in den Lastwagen. Sie befahlen mir, wieder auszusteigen, doch einmal in der Mitte der Unberührbaren wurde ich für diesen Moment zu einer der ihren.
Die Männer wurden in ein Lager gebracht, ich dagegen durfte gehen. Sofort suchte ich mir einen indischen Anwalt und verschob meine geplante Rückkehr nach Europa. Drei Monate lang versuchte ich täglich alles, um sie aus ihrer Gefangenschaft zu befreien, ging zum Bürgermeister und zum Richter von Benares – ohne Erfolg. Erst ein Presseartikel, der in fast jeder indischen Zeitung erschien, brachte den Durchbruch, und sie wurden freigelassen.
Zugleich begegnete ich einer Schweizer Ärztin, die mich aufklärte, dass Lepra in jedem Stadium heilbar ist. Sie schenkte mir 100 Dollar, die zum Grundstein meines Projektes wurden, denn als ich mich von den Leprakranken verabschieden und ihnen den Geldschein geben wollte, baten sie mich: „Bitte geh nicht in dein Land zurück. Wir brauchen Medizin, Häuser, unser Leben zurück!“ Und wie es so ist, wenn Dinge geschehen sollen, suchte mich eine holländische Krankenschwester auf, die eigentlich zu Mutter Teresa nach Kolkata wollte, und bot mir für einige Monate ihre Hilfe an. Also starteten wir die erste Straßenklinik für Leprakranke und ihre (Straßen-) Kinder. Den Verein, den ich darauf hin gründetet, nannte ich „Back to Life“ – Zurück ins Leben.
Ausbildung außerhalb
Um den Waisen, Halbwaisen und leprabetroffenen Straßenkindern eine Zukunft zu ermöglichen, haben wir mittlerweile zwei Kinderheime sowie ein Day-Care-Center ins Leben gerufen, die 120 Kindern und Jugendlichen ein sicheres Zuhause bieten mit allem, was für uns so selbstverständlich ist: gesundes, regelmäßiges Essen, medizinische Fürsorge, Schulbildung und dem sicheren Gefühl, in einer Familie zu leben.
Eigentlich dachte ich, dass ich nach zwei Jahren nach Europa zurückkehren würde, solange dauerte damals die Lepratherapie. Doch ein Projekt wuchs aus dem anderen, und ich blickte immer tiefer in die Nöte dieser Menschen, die durch unsere Hilfe zur Selbsthilfe schließlich ins Leben zurückkamen. So wurde mir „Back to Life“ zur Lebensaufgabe, die ich gerne erfülle. Ein großes Team unterstützt mich tatkräftig dabei.
Nach fast 20 Jahren freuen wir uns über viele Früchte der mittlerweile sieben Projekte von Back to Life e. V., mit denen wir 75.000 Menschen erreichen: In Indien engagieren wir uns weiterhin für die Leprabetroffenen und leisten medizinische und soziale Hilfen. Unsere ersten Straßenkinder, die wir vor über zehn Jahren in unsere Kinderheime aufgenommen haben, haben bereits Abitur und Studium absolviert und stehen auf eigenen Füßen.
Auch im verarmten Nachbarland Nepal sind wir mittlerweile tätig. Unsere Projektdörfer liegen in Mugu, am Rande des Himalayas im Hochgebirge an der Grenze zu Tibet in einer der ärmsten und unzugänglichsten Regionen der Welt. Keine Straße verbindet das Gebiet mit der Außenwelt und die Lebensbedingungen dort sind mittelalterlich: Es gibt keinerlei Infrastruktur wie Strom, Straßen oder medizinische Hilfe für die 55.000 Menschen in diesem Gebiet, deren Lebenserwartung bei nur 36 Jahren liegt. Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit.
Zukunft ermöglichen
Um die Lebensbedingungen dauerhaft zu verändern, reichen unsere Projektaktivitäten vom Bau von Schulen und Gemeinschaftshäusern über Schulungen zu Themen wie Landwirtschaft, Hygiene und Gesundheit sowie Einkommensgenerierung bis hin zu medizinischer Versorgung, Mikrokreditvergabe und aktivem Umwelt- und Ressourcenschutz. Außerdem fördern wir die Ausbildung von Hebammen, medizinischem Personal sowie künftigen Fachleuten in der Landwirtschaft. Die jungen Frauen und Männer erhalten außerhalb Mugus ihre Ausbildung und kehren dann in die Region zurück, um dort tätig zu werden.
Unsere Programme sind langfristig angelegt, sie greifen ineinander und sind immer auf die tatkräftige Beteiligung der Dorfbewohner ausgerichtet, ihre Lebensumstände aus eigener Kraft langfristig zu verbessern. Nach drei bis fünf Jahren können sie auf eigenen Füßen stehen und werden nicht abhängig von unserer Hilfe.
Bisher erreichen wir rund 18.000 Menschen im Mugu, das ist ein Drittel der dortigen Bevölkerung. Weil das ganz hervorragend funktioniert, möchten wir unsere Hilfe zur Selbsthilfe auf ganz Mugu ausweiten.