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Interview mit Dr. Dahai Yu

Der Internationale

Dr. Dahai Yu wurde in Shanghai geboren und studierte Chemie in Hamburg. Heute sitzt er im Vorstand des Spezialchemiekonzerns Evonik Industries. Für das Unternehmen ist Asien und insbesondere China ein enorm wichtiger Markt. Als Experte für Deutschland und China erklärt der 52-Jährige, worauf es bei internationalen Forscherkarrieren ankommt und wie Spezialchemie auf globale Megatrends reagiert. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Dahai Yu wurde am 1. August 1961 in Shanghai geboren. Ab 1981 studierte er an der Uni Hamburg Chemie, nach dem Diplom 1986 promovierte er 1989. Seine Konzernkarriere begann er 1990 als Laborleiter Zentralfoschung bei der Degussa. Nach weiteren Stationen wurde er 1999 Direktor Unternehmensentwicklung, von 2001 bis 2003 leitete er das Controlling des Unternehmensbereiches Fine & Industrial Chemicals. 2006 ging Dahai Yu für fünf Jahre als Präsident Evonik Greater China Region zurück in seine Geburtsstadt Shanghai. 2011 kehrte der 52-Jährige nach Deutschland zurück und ist seitdem Mitglied des Vorstands des Essener Konzerns.

Herr Dr. Yu, das Unternehmen Degussa – die Wurzel für das heutige Spezialchemiegeschäft von Evonik – wagte schon in den 1930er-Jahren den Weg nach China und war damit ein Pionier der Globalisierung. Zahlt sich dieser zeitliche Vorsprung noch heute aus?
Unsere Vorgängergesellschaften haben in der asiatischen Region viele Handelsbeziehungen aufgenommen, von denen wir noch heute profitieren. Mit der Herstellung von Spezialchemikalien in Asien hat Evonik dann bereits Ende der 1970er-Jahre begonnen. Viele weitere Aktivitäten folgten, heute haben wir in China eine starke Präsenz und sind an rund zehn Produktionsstandorten aktiv. Asien macht 40 Prozent des weltweiten Spezialchemiemarktes aus und verspricht – gerade in China – überdurchschnittliche Wachstumsraten. Das ist natürlich ein riesiges Potenzial.

Für den deutschen Chemikernachwuchs ist es also durchaus angebracht, sich Gedanken über einen Karriereschritt nach China oder Asien zu machen?
Auf jeden Fall, denn China ist als ein globaler Wachstumsmarkt gerade auch für viele junge Nachwuchschemiker interessant. Ich kann generell nur jedem empfehlen, einige Zeit im Ausland zu verbringen – das gilt nicht nur für China.

Was bringt ein Auslandsaufenthalt konkret?
Es ist von Bedeutung, die kulturellen und geschäftlichen Unterschiede in den verschiedenen Weltregionen zu erkunden. Daraus ergeben sich Chancen, die man später für seine persönliche Weiterentwicklung nutzen kann.

Wie fördern Sie im Unternehmen internationale Karrieren und worauf kommt es dabei an?
Unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist weltweit dezentral an mehr als 35 Standorten aufgestellt und orientiert sich eng an den Bedürfnissen der jeweiligen Märkte und Kunden. Zudem fördern wir den internationalen Einsatz unserer Mitarbeiter durch gezielte Talententwicklungsprogramme. Besonders mit Blick auf China gilt: Eine gute Personalentwicklung und loyale Mitarbeiter, die sich sehr eng mit dem Unternehmen identifizieren, sind auch ein wichtiger Faktor beim Schutz des geistigen Eigentums. Denn natürlich müssen wir auch in China selbst Forschung und Entwicklung betreiben; aktuell investieren wir erneut mehr als 20 Millionen Euro in die Erweiterung unseres Forschungszentrums in Shanghai, das wir im Herbst eröffnen wollen.

Sie kennen das Know-how und die Mentalität von Forschern und Entwicklern aus Deutschland und China. Wo liegen die Unterschiede?
Ich bin tatsächlich oft in China. Für die asiatischen Kollegen ist es wichtig zu sehen, dass sich der Vorstand aus der deutschen Konzernzentrale auch um die Kollegen vor Ort kümmert – das gilt nicht nur für die Forschung und Entwicklung, sondern für alle Abteilungen. Generell ist es wichtig, als Führungskraft in China im Gespräch „größere Ohren und einen kleineren Mund“ zu haben. Und man sollte auch zwischen den Zeilen lesen können. Ein deutlicher Unterschied zwischen Deutschland und China ist auf jeden Fall die stärkere Emotionalität im Geschäftsleben: Asiaten wollen nicht nur wissen, was ihr Gegenüber im Business ausmacht, sondern auch, was ihn als Menschen auszeichnet.

Warum ist die Spezialchemie in Ihren Augen eine wichtige Schlüsselindustrie für die Zukunft?
Die Spezialchemie leistet einen wichtigen Beitrag für globale Megatrends. Genauso haben wir uns als Unternehmen darauf eingestellt und vier starke globale Megatrends erkannt, bei denen wir mit unserem Spezialchemiegeschäft und unseren Produkten eine gewichtige Rolle spielen: Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Die Menschen in Asien geben immer mehr Geld für Gesundheitsvorsorge, Körperpflege und gesunde Ernährung aus. Mit der zunehmenden Weltbevölkerung wächst der Bedarf an sparsamen Verfahren, die die Ressourcen schonen. Und als vierter Punkt führt die Globalisierung dazu, dass sich Produkte verändern und klassische Werkstoffe durch neue Materialien ersetzt werden. Überall hier kann und wird die Spezialchemie ihren Beitrag leisten.

Wobei die Spezialchemie häufig eher versteckt und in der zweiten Reihe stehend wichtige Innovationen vorantreibt.
Ja, nehmen Sie moderne Autoreifen: Als weltweit einziger Hersteller bieten wir der Reifenindustrie das Verstärkungssystem Silica und Organosilan an. Ohne diese Komponenten lässt sich der Rollwiderstand nicht verringern – und je niedriger der Rollwiderstand, desto geringer der Spritbedarf und damit auch die Kohlendioxidemissionen. Ein anderes Beispiel sind unsere Aminosäuren: Wir bieten alle vier wichtigen Aminosäuren für die Tierernährung an, Methionin, Lysin, Threonin und Tryptophan – wobei wir einige dieser Aminosäuren fermentativ herstellen, also auf biotechnologischer Basis.

Sie waren von 2001 bis 2003 auch im Controlling tätig. Wie kann es gelingen, Forschung und Entwicklung auf der einen und Budgetierung und ökonomische Effizienz auf der anderen Seite zusammenzubringen? Sollte sich ein junger Chemiker dafür BWL-Wissen aneignen?
Es geht nicht um reines BWL-Wissen. Als global aufgestelltes Unternehmen tut man gut daran, die Entwicklung unserer jungen Führungskräfte durch gezielte Maßnahmen zu fördern. Das machen wir mit einem umfassenden Ansatz, der die Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen binden soll. In China spielt beispielsweise die Zusammenarbeit mit der in Shanghai ansässigen China Europe International Business School eine wichtige Rolle.

Sie haben als Vorstand sicherlich einen vollen Kalender mit vielen Businessterminen. Längst ist der Anzug Ihre Berufskleidung – nicht mehr der weiße Kittel. Vermissen Sie die Arbeit im Labor?
Ich stehe heute tatsächlich nicht mehr selbst im Labor und forsche. Die Zeit als Forscher war sehr interessant und erfüllend und meine jetzige Aufgabe als Vorstand ist auch wichtig. Ich halte es für sehr wichtig, den Kontakt zu unseren Mitarbeitern und Kunden zu pflegen. Wo immer es möglich ist, spreche ich mit ihnen über ihre Arbeit beziehungsweise Geschäfte, ihre Ziele und Projekte. Die Eindrücke, die ich dabei gewinne, bilden eine wichtige Grundlage für meine Entscheidungen.

Zum Unternehmen

Evonik Industries mit Sitz in Essen ist ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie. Der Konzern ist global tätig und verfügt über Produktionsanlagen in 24 Ländern. Das Unternehmen fasst seine Spezialchemie in drei Bereichen zusammen: Das Segment „Consumer, Health & Nutrition“ produziert Spezialchemie schwerpunktmäßig für Anwendungen in Konsumgütern, in der Tierernährung und im Pharmabereich. Das Segment „Resource Efficiency“ bietet umweltfreundliche und energiesparende Systemlösungen. Im Fokus des Segments „Specialty Materials“ steht die Herstellung von polymeren Werkstoffen und Zwischenprodukten, insbesondere für die Kunststoff- und Gummi-Industrie. Evonik beschäftigt derzeit weltweit rund 33.000 Mitarbeiter, darunter rund 2500 Mitarbeiter in den F&E-Abteilungen an 35 Standorten.

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