In Andreas Salchers Karriere ging es früh bergauf: Nach seiner BWL-Promotion zog er schon mit 26 als jüngster Abgeordneter in den Wiener Landtag ein. Heute weiß der 52 Jahre alte Bestsellerautor und Unternehmensberater: Den geraden Karriereweg gibt es nicht. Richtig handelt, wer für sein Leben die Verantwortung übernimmt und von den Besten der Besten lernt. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Andreas Salcher, geboren 1960 in Wien, studierte BWL an der Wirtschaftsuniversität Wien und legte dort 1986 seine Promotion ab. Er begann seine Karriere 1987 in der Politik als damals jüngstes Mitglied des Wiener Landtags, dem er zwölf Jahre angehörte. Heute ist er als Buchautor, Vortragsredner und Unternehmensberater tätig. Alle seine Bücher sind in Österreich Nummer-Eins-Bestseller, dazu zählt auch das Buch „Der verletzte Mensch“, das sich der Frage widmet, was Menschen, die an ihren Wunden aus Verletzungen zerbrechen, von denen unterscheidet, die daran wachsen. Als kritischer Vordenker in Bildungsthemen ist Salcher Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ für besonders begabte Kinder und engagiert sich mit dem „Curriculum Project“ für bessere Schulen.
Website mit Blog: www.andreassalcher.com
Twitter: twitter.com/salcherandreas
Herr Dr. Salcher, wir alle kennen erfolgreiche Vorbilder, denen man nacheifern möchte. Können Sie mir ein Vorbild nennen, das in der Niederlage nicht nur Größe gezeigt, sondern auch Kraft für spätere Erfolge gesammelt hat?
Nehmen wir die Spieler von Bayern München. Im Jahr vor den großen Triumphen im Frühsommer 2013 erlitt der Verein eine schwere Niederlage im Finale der Champions League: Man war die bessere Mannschaft, verlor das Finale aber dennoch. An dieser Niederlage hätten sie zerbrechen können. Die Bayern haben es jedoch geschafft, den Schmerz in Kraft zu verwandeln. Eine außergewöhnliche Leistung, denn es gibt genügend Mannschaften, aber auch Unternehmen und Manager, die tatsächlich an einer einzigen unglücklichen Niederlage zerbrechen.
Gehen diese Menschen falsch mit der Niederlage um?
Viele wollen verdrängen, dass es überhaupt eine Niederlage gibt. Und umso mehr überrascht es sie, wenn sie eine solche erleiden. Niemand von uns will Niederlagen. Das ist klar. Aber richtig ist eben auch, dass wir nur durch Niederlagen besser werden.
Unterscheidet sich der Sieger vom Verlierer also ausgerechnet im Umgang mit der Niederlage?
Durchaus. Man kann mit drei Worten sagen, worauf es dabei ankommt: Selbstverantwortung statt Schuldzuweisung. Hadere nicht mit den Umständen und subjektiv gefühlten Ungerechtigkeiten, sondern übernimm die Verantwortung für das, was passiert ist – und schöpfe daraus Kraft, um es beim nächsten Mal besser zu machen.
Viele High Potentials sind Niederlagen gar nicht gewohnt. Sie haben das Abi mit links gemacht, die Uni mit Bestnoten durchlaufen und in Praktika viel Lob erhalten. Dann kommt der erste Job – und plötzlich muss man mit Kritik und ersten Niederlagen umgehen können.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil es im Unternehmen eben nicht darauf ankommt, zu jeder Zeit brav alles richtig zu erledigen. Gefragt ist dagegen das Prinzip „trial and error“, also Versuch und Irrtum. Wenn ich als junger Mensch zum ersten Mal Verantwortung übernehme, dann werde ich Fehler machen. Dann verlangt man sogar von mir, dass ich mich ausprobiere und aus den Sachen, die nicht klappen, die richtigen Schlüsse ziehe. Hier kommt es darauf an, eine passende Erwartungshaltung an mich und meinen Job zu entwickeln. Vielen jungen Menschen gelingt das nicht sofort, weil sie sich selber unter Druck setzen. Sie sagen sich: „Ich bin jetzt 22, spreche drei Fremdsprachen und habe fünf Auslandspraktika hinter mir – wann startet endlich meine Karriere durch, wann werde ich den Laden übernehmen?“ Das Problem liegt hier nicht in der hohen Ambition, sondern in der fehlgeleiteten Energie.
Welche weiteren Fehleinschätzungen beobachten Sie regelmäßig beim Thema Karriere?
Man darf nicht der Illusion des optimalen Lebenslaufs erliegen. Ich habe das Glück, viele überaus interessante und erfolgreiche Menschen getroffen zu haben: Paulo Coelho, Isabel Allende, den Künstler Christo oder den Genforschungspionier Craig Venter. Sie alle eint, dass sie keinen geraden Lebenslauf vorweisen. Der Weg zu ihren außergewöhnlichen Karrieren führte immer über Enttäuschungen und Niederlagen. Hinzu kommt, dass sie für sich einen gesunden Karrierebegriff gefunden haben: Karriere bedeutet heute nicht mehr, möglichst schnell viel Geld zu verdienen und aufzusteigen, sondern etwas zu tun, das für mich Sinn ergibt. Vor 20 Jahren führte der Weg der High Potentials fast ausschließlich in die großen Unternehmen und Unternehmensberatungen. Heute finde ich viele junge Menschen, die sagen: Ich mache es anders. Ich gründe selber oder gehe in eine Nichtregierungsorganisation.
Was können die Unternehmen tun, um für die High Potentials, die nach Sinn streben, weiter interessant zu bleiben?
Sie sollten ihren Talenten erstens viel Autonomie geben und zweitens über ein gut funktionierendes Mentoring- System verfügen. Damit meine ich nicht nur einen Karrierementor, der die Türen nach oben öffnet, sondern eine Persönlichkeit, die den jungen Menschen berät, fördert und unterstützt.
Was ist die Aufgabe des Mentors?
Er teilt seine Werte und Erfahrungen. Die Nachwuchskraft muss vor allem gut zuhören, damit sie das, was sie hört, mit ihrer eigenen Haltung vergleichen kann. So kommt man sich selber auf die Schliche, und genau darum geht es: eine Antwort auf die Frage zu finden, was man eigentlich in seinem Leben erreichen will.
Sie sind heute 52 Jahre – und damit im besten Mentorenalter. Was würde der 52-jährige Andreas Salcher dem 22-jährigen Andreas Salcher von früher raten?
Fliege in die USA, gehe ins Silicon Valley, warte, bis sich dort das Unternehmen Google gründet und frage nach einem Job. (lacht) Spaß beiseite, ich würde ihm raten, noch früher von den Besten der Besten zu lernen – und an die Orte zu gehen, wo man diese Leute trifft. Zum Beispiel das Silicon Valley oder das Massachusetts Institute of Technology, Der Beginn der beruflichen Laufbahn ist in meinen Augen die Zeit, in der man vom akademischen Lernen in die Schule des Lebens wechselt.
Was steht dort auf dem Stundenplan?
Es geht um emotionale Intelligenz und soziales Lernen. Um den Aufbau einer Frustrationstoleranz und darum, nicht immer gleich alles zu zeigen, was man kann. Es ist sicherlich gut, einem Professor zu jeder Zeit zu beweisen, was man alles weiß. Gegenüber einer Führungskraft im Unternehmen kann so ein offensives Verhalten nach hinten losgehen. Was in der Schule des Lebens aber vor allem auf dem Stundenplan steht, ist das Gespräch mit Menschen, die man für spannend hält. Eine Bitte an die Leser: Wenn Sie jemanden mit interessantem Lebenslauf treffen, bitte sprechen Sie diesen Menschen an und reden Sie mit ihm! Sobald Sie etwas vom Leben dieser Frau oder dieses Mannes erfahren, werden Sie auch Ihren eigenen Wertmaßstäben näherkommen. Dann werden Sie auch lernen, dass Biografien keine Einbahnstraßen sind. Dass es einfach nicht stimmt, dass es aus einer einmal eingeschlagenen Richtung kein Zurück mehr gibt. Ja, der Richtungswechsel wird schwieriger, wenn man erst mit 30 merkt, dass man eigentlich lieber Mediziner wäre als Unternehmensberater. Aber auch solche Karrierewege sind möglich. Und wenn das der Weg ist, den Sie für den richtigen halten, dann lassen Sie sich um Gottes Willen nicht reinreden. Schließlich ist es Ihr Leben.
Bücher von Andreas Salcher
Ich habe es nicht gewusst.
Ecowin 2012. ISBN 978-3711000217. 22,90 EuroDer verletzte Mensch: An Verletzungen wachsen statt zerbrechen.
Goldmann 2011. ISBN 978-3442156979. 8,99 EuroMeine letzte Stunde. Ein Tag hat viele
Leben. Ecowin 2010. ISBN 978-3902404961. 21,90 Euro