Dieter Lehmkuhl hat sein Leben lang als Arzt und Psychotherapeut gearbeitet. Das meiste Geld hat er aber bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen: als Erbe eines beachtlichen Familienvermögens. Diese Geldvermehrung ohne Gegenleistung wurde ihm selber unangenehm, sodass der 69-Jährige 2009 einen Appell zur Vermögensabgabe für Wohlhabende ins Leben rief. Was es damit auf sich hat und was er sich von der jungen Generation von Bankern erhofft, erzählt er im Interview. Die Fragen stellte André Boße
Dieter Lehmkuhl, 69 Jahre, arbeitete als Arzt und Psychotherapeut und leitete bis zu seinem Ruhestand 2007 den sozialpsychiatrischen Dienst in Berlin- Reinickendorf. Mit 50 erbte er ein beachtliches Familienvermögen aus Aktien einer Dortmunder Brauerei und Immobilien.
Herr Lemkuhl, wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie wohlhabend sind?
Als junger Mensch noch nicht. Meine Familie hat eher bescheiden gelebt, über Geld wurde nicht viel gesprochen. Bewusst wurde mir das Vermögen meiner Familie erst mit dem Tod meines Vaters in den 70er-Jahren. Ich selber habe nie exorbitant viel Geld verdient. Mein Verdienst war nicht schlecht, aber er hat mich nicht reich gemacht.
Und wann kam Ihnen der Gedanke, dass Sie als Erbe eines Vermögens zu wenig Steuern bezahlen?
Ich bin durch die 68er-Bewegung geprägt. Meine Einstellung ist seitdem: Geld arbeitet nicht, sondern Menschen. Und der Zuwachs von Vermögen durch Zinsen und Zinseszinsen – also ein leistungsloses Einkommen – stellt eine große Ungerechtigkeit dar, weil nicht alle die gleichen Chancen haben, von diesem Zuwachsmodell zu profitieren.
Sie erbten als 68er ein Vermögen, das sich fleißig vermehrte.
Ja, es war mir direkt unangenehm, und ich wusste zunächst nicht, damit umzugehen. Mir kam etwas zu, das ich nicht durch eigene Leistung verdient hatte. Es heißt ja ständig, Leistung müsse sich wieder lohnen. Das ist aber vielfach ein Mythos, der der Absicherung von Macht und Privilegien dienen soll. Schaut man genau hin, wie Vermögen entstehen, hat das in vielen Fällen wenig mit Leistung zu tun. Zum Beispiel werden gerade die großen Vermögen meistens vererbt. Das heißt: Das Einkommen der wirklich Reichen generiert sich überwiegend durch Kapitaleinnahmen, die zudem noch geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen.
Wie sieht eine gute Bank aus?
Eine gute Bank dient der Wirtschaft. Die Wirtschaft dient dem Menschen. Das muss die Reihenfolge sein und nicht umgekehrt. Ich habe auch nichts dagegen, dass die Banken Geld mit ihren Geschäften verdienen. Nur: Dieses Geld muss im Verhältnis zur Leistung stehen. Zudem sollte die Tätigkeit gesellschaftlich nützlich sein.
Wie kann es denn gelingen, dieses Leistungsprinzip verbindlich einzuführen?
Wir sind konfrontiert mit einer multiplen Systemkrise. Da sind die Krise des Finanzsektors, die Schuldenkrise der Staaten, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auf globaler wie nationaler Ebene, der Klimawandel, Raubbau an der Natur, die Ressourcenknappheit und so weiter. Mit Blick auf diese Krisenvielfalt reichen einzelne und kurzfristige Maßnahmen nicht mehr aus. Was wir benötigen, ist ein Werte- und Mentalitätswandel. Wir müssen wieder das richtige Maß finden und darüber diskutieren: Was macht ein gutes Leben aus? Wie wollen wir leben? Was ist eine angemessene Bezahlung für eine Leistung? Experten schlagen daher eine Begrenzung der Spitzeneinkommen auf das 20-fache des Mindestlohnes vor. Über solche Themen müssen wir diskutieren.
Setzen Sie dabei auch auf den Nachwuchs in der Finanzbranche?
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz hat in einem seiner Bücher bedauert, dass sehr viele talentierte Menschen in den Neunzigerjahren in den Finanzsektor wanderten, wo es fast ausschließlich darum ging, viel Geld zu verdienen. Daher wurde dort ihr Talent verschleudert, echten gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Ich hoffe darauf, dass immer mehr junge Leute ihr Talent nicht vergeuden, sondern sich stattdessen als Teil der Finanzbranche verstärkt an Werten orientieren, die den Menschen und dem Gemeinwohl dienen. Es gibt Banken, in denen das möglich ist. Und es gibt auch zunehmend Kritik in Bankerkreisen, die die Entwicklung der Branche sehr bedauern.
Sind Sie in dieser Hinsicht mit Blick auf die aktuelle junge Generation optimistisch?
Ich hoffe auf ihre Weitsicht und Klugheit. Sie wird die Zukunft gestalten – und es liegt auch an ihr, ob diese Zukunft lebenswert sein wird. Wir wissen aus der Glücksforschung, dass ein Einkommen, das weit über das Nötige zur Absicherung der elementaren Bedürfnisse hinausgeht, kaum noch dazu beiträgt, dass ein Mensch tatsächlich glücklicher wird. Wirkliche Zufriedenheit entsteht aus guten Beziehungen, sinnvoller Arbeit und einem erfüllten Leben.
Solidarität
Als Lehmkuhl merkte, wie schnell sein Vermögen wuchs, ohne dass er etwas dafür tun musste, wurde er nachdenklich. Im Mai 2009 gründete er mit rund 20 weiteren Vermögenden die Initiative „Appell für eine Vermögensabgabe“. Mittlerweile gibt es 63 Unterzeichner. Die Idee: Deutsche mit einem Vermögen von mehr als 500.000 Euro (das sind rund 2,2 Millionen Bürger) sollen zwei Jahre lang fünf Prozent davon an den Staat abgeben. Nach diesen zwei Jahren schlagen die Initiatoren die Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer von einem Prozent vor. Genutzt werden soll dieses Geld gezielt für den ökologischen Umbau der Wirtschaft sowie für die Bereiche Bildung, Gesundheit und Soziales. Die Abgabe würde rund 160 Milliarden Euro generieren.
www.appell-vermoegensabgabe.de