Dr. med. Jörg Weidenhammer ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychoanalytiker und Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg. Als ärztlicher Direktor, Geschäftsführer und Vorstand war er 30 Jahre lang für verschiedene Kliniken tätig und an der Gründung des Herzzentrums der Leipziger Universitätsklinik beteiligt. Heute ist er gefragter Experte für das Management von Krankenhäusern. Über die Erfüllung, die der Arztberuf bietet, sprach er mit Christiane Siemann.
Zur Person
Jörg Weidenhammer, 65 Jahre, schloss zunächst ein Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik ab, bevor er in Bonn Humanmedizin studierte. 1980 promovierte er zum Dr. med. im Fach Neurologie. Von 1978 bis 1992 war er als Referatsleiter Medizin und Chefarzt beim Landschaftsverband Rheinland tätig. 1992 wirkte er bei der Gründung der Herzzentrum Leipzig GmbH-Universitätsklinik mit und leitete die Gesellschaft als Geschäftsführer bis 1996. Danach übernahm er die Positionen des hauptamtlichen ärztlichen Direktors am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg und als stellvertretender Vorstand der Marseille-Kliniken. In den Jahren 2005 bis 2007 war er Mitglied der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg. Seit 2008 ist Weidenhammer Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg.
Das Image des Arztes reicht vom selbstlosen Helfer bis zum schlichten Leistungserbringer. Was unterscheidet den Arztberuf von anderen Berufen?
Das Faszinierende ist nach wie vor die Möglichkeit, mit erworbenem Wissen unmittelbar Menschen zu helfen und damit auch ein Feedback zu erfahren. Diejenigen, die sich bewusst für das Medizinstudium entschieden haben und nicht nur, weil sie den passenden Numerus Clausus erfüllen, identifizieren sich über das ganz altmodische „Helfen können“. Ein Arzt trifft lebensentscheidende Anordnungen, er lernt, mit dem Druck und der hohen Verantwortung umzugehen. Wer sich in der medizinischen Welt im innerlichen Einklang mit Wissen und Können befindet, spürt eine Erfüllung, die andere Berufe so nicht bieten.
Aber der Arztberuf in einer Klinik hat sich sehr verändert. Bleibt die Erfüllung auf der Strecke?
Es gab in der Medizin in Deutschland einige Umbrüche. 1995 wurde die Pflegesatzbudgetverordnung erlassen, die den Krankenhäusern das freie Wirtschaften über Fallpauschalen ermöglichte. Im nächsten Schritt wurde ein Fallpauschalensystem eingeführt, das heißt, die betriebswirtschaftlichen Komponenten und das Kostenmanagement rückten stärker in den Vordergrund und somit mehr die Leistungserbringung und weniger das Helfen und Heilen. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeit der Ärzte wurde dann eine weitere Debatte losgetreten. Während früher die Chefarztvisite am Samstag selbstverständlich war, hat die Arbeitszeitverordnung hier Grenzen gesetzt. Es ist gut, dass man sich mit der Arbeitszeit auseinandersetzt, weil die ärztliche Tätigkeit selber noch mal verstärkt in den Fokus gerät, sich also die Frage nach den zentralen Tätigkeiten stellt. Beispielweise wird Ärzten immer gesagt, dass 25 Prozent der Zeit in die Dokumentation fließt. Doch viele wollen dies nicht wahrhaben und müssen lernen, damit umzugehen. Die meisten jungen Ärzte erleben die Rahmenbedingungen, die wirtschaftlichen Faktoren und die manchmal längeren Arbeitszeiten nicht als Defizit, weil für sie die Freude am Beruf, am Helfen, im Vordergrund steht.
Häufig heißt es, der Arzt des alten Typs habe ausgedient. Die junge Generation setze auf andere Werte, sei weniger idealistisch, schaue mehr auf Geld und auf Freizeit und wolle weniger Verantwortung.
Die sogenannte Generation Y erlebe ich im Krankenhausalltag nicht. Die Heterogenität der jungen Assistenzärzte ist sehr groß: Es gibt immer diejenigen, die gar nicht auf die Uhr schauen, andere verhalten sich moderat, sie legen Wert auf Work-Life- Balance, aber im Einklang mit den Kollegen und der Patientenversorgung. Und es gibt auch eine Gruppe, die darauf besteht, dass nach acht Stunden der Griffel fällt und die sich stark abgrenzen von den anderen. Junge Assistenzärzte sollten sich nicht anstecken lassen vom Klagen über den Arztberuf, häufig ist viel Unwissenheit und schlechte Selbstorganisation im Spiel. Der Arztberuf ist aufgrund seiner hohen Verantwortung Knochenarbeit, aber er macht Freude. Umso mehr, wenn in Krankenhäusern vom Management über den ärztlichen Dienst und die Pflege alle ein gemeinsames Ziel haben, nämlich eine optimierte Versorgung der Patienten, und wenn sie wertschätzend miteinander umgehen. Viele Krankenhäuser haben das erkannt, nehmen Klagen von Mitarbeitern ernst, suchen Lösungen und stimmen sich mit ihnen ab, sodass sie sich verstanden fühlen.
Wie schwierig ist für Assistenzärzte die Konfrontation mit Fragen um Leben und Tod?
Es ist ein Lernprozess, der im Studium beginnt und im Rahmen der Weiterbildung fortgesetzt wird. Ärzte arbeiten sich langsam an das Thema des eigenen Versagens heran, das sie erleben, wenn ein Patient stirbt – trotz umfassender Rettungsaktionen, bei denen sie letztlich hilflos sind. Es bleibt ein lebenslanges Thema, mit dem sie reifen und zu dem eine eigene innere Einstellung wachsen muss. Dieser Weg beginnt bei Ärzten in ihrer „Lehre“. Die Zeit der Assistenzarztausbildung ist im Grunde eine „Meisterlehre“. In der Anleitung durch erfahrene Kollegen und Förderer liegt ein Schlüssel für einen erfolgreichen Berufsstart – durch sie entwickeln sich Einsteiger zu verantwortungsvollen Ärzten.