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Leidenschaft gefragt

In deutschen Kliniken arbeiten derzeit 105.400 Assistenzärzte, davon 55.100 Frauen. Das sind nicht genug, das ärztliche Personal ist knapp. Bis zum Jahr 2019 werden in Deutschland 37.400 Ärzte fehlen. Viele Krankenhäuser mobilisieren alle Kräfte, um attraktive Bedingungen für Berufseinsteiger zu bieten und ihre Arztstellen besetzen zu können. Von Christiane Siemann

Assistenzärzte sind gefragt wie nie. Mittlerweile konkurrieren die Kliniken untereinander um die jungen Ärzte. Die Hälfte von ihnen meldet, dass sie Assistenzarztpositionen nicht oder nur mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu sechs Monaten besetzen können, so eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte. Wie Berufseinsteiger für Kliniken gewonnen werden können, ist inzwischen gut analysiert. Der Marburger Bund und die Bundesärztekammer haben in Befragungen herausgefunden: Strukturierte Weiterbildung, Freizeitausgleich, geregelte Arbeitszeiten, weniger Bürokratie und faire Bezahlung gehören zu den wichtigsten Erwartungen der Medizinabsolventen im Praktischen Jahr an ihre künftigen Arbeitgeber. Und viele Krankenhäuser haben sich darauf eingestellt.

Die meisten Bewerbungen erhalten nach wie vor die Universitätskliniken. Einer der Gründe: Durch die Größe der Einrichtung und die Vielzahl der Disziplinen ist gesichert, dass sich die komplette Facharztausbildung an einem Haus absolvieren lässt. Zwar ist auch hier die Anzahl der Bewerbungen in den letzten Jahren leicht zurückgegangen, aber noch können sich die Unikliniken die passenden Assistenten auswählen. „Gute Noten in den Staatsexamina sind für uns durchaus entscheidend“, berichtet Stephanie Wiese- Hess, Personalleiterin am Universitätsklinikum Heidelberg. Gern gesehen werden auch Auslandserfahrung und wissenschaftliches Interesse sowie Aktivitäten, die die soziale Kompetenz der Bewerber unterstreichen. Jedem Bewerber sollte klar sein, dass er an einer Uniklinik in drei Tätigkeitsbereiche involviert ist: in Forschung, Lehre und Krankenversorgung. „Wir erwarten von den Kandidaten, dass sie sich bewusst für eine Universitätsklinik entscheiden, Leistungsbereitschaft mitbringen und sich für alle drei Felder begeistern können. Es muss Leidenschaft dabei sein“, betont Stephanie Wiese-Hess. Wer nur schnell seinen Facharzt absolvieren will, ist in einer Universitätsklinik fehl am Platz.

Doch nicht alle jungen Mediziner treibt es in ein Großkrankenhaus. Kleinere Lehrkrankenhäuser haben den Vorteil, dass Ärzte in der Ausbildung oft schneller die vorgeschriebene Zahl an diagnostischen, therapeutischen und operativen Maßnahmen absolvieren können – ohne in der Schlange der Kollegen darauf warten zu müssen. Auch das Katharinen-Hospital Unna, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster, bietet eine strukturierte Weiterbildung. Attraktiv für angehende Fachärzte: Die Kodierung der Krankheitsbilder findet in der Verwaltung statt, ärztliche Routinetätigkeiten wie Blutentnahmen werden vom Pflegepersonal übernommen, die Arztassistenten bereiten unter anderem Untersuchungen vor und legen Arztbriefe an – alles zur Entlastung des Ärztlichen Dienstes. „Der junge Arzt überblickt noch nicht den administrativen Teil seiner Tätigkeit, der auch nicht Gegenstand des Studiums war. Wir entlasten ihn, damit ihm mehr Zeit bleibt, sich auf seine eigentlichen medizinischen Aufgaben zu konzentrieren“, berichtet Personalleiterin Jutta Kappel. Im Wissen, dass es viele Absolventen in die großen Städte zieht, hat der Krankenhausverbund Hellweg, zu dem das Katharinen-Hospital Unna zählt, viele Anstrengungen unternommen, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. So wurde es für sein modernes Personalmanagement und familienfreundliche Arbeitszeiten vom Great Place to Work Institute Deutschland mehrmals als „Bester Arbeitgeber im Gesundheitswesen“ ausgezeichnet.

Die Nähe zu einer attraktiven Großstadt ist für Krankenhäuser Segen und Fluch zugleich. Die Regio Kliniken, größter privater Klinikbetreiber in Schleswig- Holstein und Tochter der privaten Sana Kliniken, nutzen alle Wege, um potenzielle ärztliche Bewerber anzusprechen – über Facebook, die Teilnahme an Karrieremessen oder persönliche Kontakte. Mit drei Akutkrankenhäusern, den Kliniken Pinneberg, Elmshorn und Wedel, sind sie akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Sucht die Klinik bundesweit Assistenzärzte, ist die Nähe zu Hamburg ein Vorteil. Für Hamburger Medizinstudenten liegen jedoch Pinneberg und Wedel, obwohl beide nahe an der Hansestadt, schon „ganz weit draußen“. Bisher können noch alle Assistenzarztstellen besetzt werden, so Katharina Brüssel, Personalleiterin der Regio Kliniken. Auch, weil die Vergütung nach dem Tarifvertrag des Marburger Bundes erfolgt, und weil es über die strukturierte Weiterbildung hinaus ein zusätzliches Budget für Fortbildungen gibt und die einzelnen Abteilungen flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. „Wir stellen uns auf die Bedürfnisse des ärztlichen Personals ein. Teilzeitarbeit wird vermehrt genutzt, nicht nur von Assistenzärztinnen, sondern auch von Männern, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen“, berichtet die Personalleiterin. Ein eigener Kindergarten in Wedel bietet das gesamte Jahr über Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder von Mitarbeitern.

Mehr als 40 Prozent der Assistenzärzte bewerten laut Marburger Bund ihre Arbeitsbedingungen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Zu lange Wochenarbeitszeiten, schlechtes Arbeitsklima, keine Rücksicht auf die Familie. Moderne Kliniken, die wissen, dass sie den Erwartungen der Nachwuchsärzte entgegenkommen müssen, setzen daher auf familienfreundliche Modelle und flexible Arbeitszeiten. Ob ein Krankenhaus ein modernes Personalmanagement betreibt oder nicht, ist völlig unabhängig von der Größe des Hauses, des Trägers oder der Region. Auch in einem relativ kleinen Haus wie dem Hospitalverbund Hellweg profitieren die Mitarbeiterinnen von flexiblen Arbeitszeitregelungen. Sie können in und nach der Rückkehr aus der Elternzeit jede Form von Teilzeit wählen. Selbst ein halber Arbeitstag in der Woche ist umsetzbar. Hier heißt es: „Kinder bringen bei uns nicht den Ablauf durcheinander, sondern wir freuen uns mit den Mitarbeiterinnen über den Nachwuchs.“ Die Chancen für Assistenzärzte, sich für die Facharztausbildung ein Krankenhaus auszusuchen, das ihren speziellen Bedürfnissen entgegenkommt, sind gut. Vorausgesetzt, der Bewerber bringt eine gewisse regionale Flexibilität mit.

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