Als ihm das klassische Berufsleben eines Elektroingenieurs zu eng wird, zieht er die Notbremse: Peter Bader hängt den Ingenieurberuf an den Nagel, um seine Freiheit in Indien zu leben. Er findet schließlich seine Selbstbestimmung zwischen Yoga-Matten auf der Schwäbischen Alb. Von Stefan Trees
Zur Person
Peter Bader, Jahrgang 1955, ist Elektroingenieur sowie Geschäftsführer und Inhaber der Bausinger GmbH, einem Hersteller und Versandhandel von hochwertigen Yoga-Matten und Meditationsbedarf mit Sitz in Straßberg auf der Schwäbischen Alb. Bader praktiziert seit fast dreißig Jahren Yoga. „Yoga ist ein guter Ausgleich: Den Körper spüren, atmen, die Erkenntnis auf dem Weg nach Innen – ein Ingenieur ist ja doch immer im Außen.“
Frust macht sich breit im Unternehmen. Die Verkaufsverhandlungen des mittelständischen Automobilzulieferers an einen großen Konzern ziehen sich in die Länge, die Geschäftsführung trifft keine Entscheidungen mehr. Es herrscht Stillstand. Dann kündigt auch noch der Chef der Entwicklungsabteilung, in der Peter Bader erst seit wenigen Monaten als Elektroingenieur arbeitet. Ein Jahr lang hält er noch durch, dann hat er die Nase voll. Gestrichen voll, nach mehreren Jahren als Elektroingenieur in mittelständischen Unternehmen der Maschinenbau- und Automotive-Branche, nach ungezählten Überstunden, Nachtschichten und durchgearbeiteten Wochenenden. „Das kann es nicht sein“, sagt Bader energisch und beschließt: „Ich muss das Leben nochmal neu anfangen.“ Bader kündigt und verkauft sein Haus. Er will raus. Mit im Reisegepäck sind seine Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben und ein Flugticket nach Indien.
Südasien hat es Bader schon lange angetan. Zum Ausgleich für die berufliche Belastung widmete sich Bader indischer Lebensphilosophie. Nicht theoretisch, denn von Theorie hatte Bader schon als Ingenieur genug, sondern praktisch. Sein Lehrer im Volkshochschulkurs für Autogenes Training hatte Bader hinter vorgehaltener Hand den brandheißen Tipp gegeben: Yoga – im Gymnastikraum des Reutlinger Hallenbads. „Yoga war 1984 noch so ein bisschen geheim“, erinnert sich Bader schmunzelnd: „Gemeindehäuser, Kirchen und Volkshochschulen wollten davon noch nichts wissen.“
Er hat sich hineingetraut in die chlorgeschwängerte Luft des Hallenbads und war im Gymnastikraum auf eine trotz ihres Alters erstaunlich vitale Frau getroffen. Liesel Goltermann war damals schon 76 Jahre alt und wurde für mehr als zwei Jahrzehnte seine Yoga-Lehrerin. Sie hat Bader mit Meditation vertraut gemacht und sein Bild vom Altsein auf den Kopf gestellt, das bis dato von Altersheim und Siechtum bestimmt gewesen war: „Mit ihr war ich sogar Skifahren, da war sie 85“, begeistert sich Bader über diesen gelebten Gegenentwurf des Älterwerdens. In seiner Ingenieurwelt dagegen war kein Platz für Gegenentwürfe. Bader funktionierte als Rad im Getriebe. Er intensivierte seine Beschäftigung mit Yoga und Meditation. Das sei „ein Heftpflaster, aber nicht wirklich eine Lösung“ für ihn gewesen, sagt Bader. Die Lösung, so fühlte er, lag im Neuanfang. Kündigung, Indien.
Es sind die Neunzigerjahre und Peter Bader ist Ende Dreißig, als er seinen Ingenieurberuf an den Nagel hängt. Er bereist Indien und Tibet und lebt ein halbes Jahr in der südindischen Zukunftsstadt Auroville. Hier leben und gestalten Menschen aus aller Welt ein gesellschaftliches Experiment, das Zusammenleben ist friedlich, harmonisch, entspannt. Bader ist von Auroville fasziniert, seit er die Stadt auf seinen früheren Reisen kennen gelernt hatte. Seitdem weiß er: „Es gibt noch ein ganz anderes Leben, und das ist viel freier in seinen Möglichkeiten als wir uns das vorstellen“. Sein Wunsch wächst, dauerhaft hierher auszuwandern. Vorher nochmal nach Hause zurück, ein paar Dinge regeln und eine Therapeuten-Ausbildung machen, damit er „noch was anderes nach Auroville mitbringt“ als seinen Elektroingenieurtitel.
Doch das Therapeuten-Dasein liegt ihm nicht. Peter Bader bricht seine Ausbildung ab. „Ich wusste immer noch nicht was ich will, ich wusste bloß: Ich will nicht mehr zurück in meinen Beruf“, sagt Bader. Um sich hierüber klar zu werden, nimmt er sich eine Auszeit von der Auszeit und wird Schüler im Meditationszentrum Sonnenhof im Schwarzwald. Zwei Jahre lang lebt und arbeitet er als Schüler und Hausmeister in der kleinen Sonnenhof-Gemeinschaft. Hier in der Stille und Abgeschiedenheit kommen dem Ingenieur die besten Ideen. Er tüftelt an einer neuartigen Meditationsuhr, die er produzieren lassen und in Deutschland verkaufen will, um sein künftiges Leben in Indien zu finanzieren.
Auf der Suche nach einem Vertriebspartner lernt er Fritz Bausinger kennen, wie Bader ist er Yoga-Schüler der gemeinsamen Lehrerin Liesel Goltermann. Der Textilingenieur hatte in den Siebzigern eine Yoga-Matte aus Wolle mit einer rutschfesten Rückseite aus Latex entwickelt. Aus dem Vertrieb der „Bausinger-Matte“, wie sie in Fachkreisen anerkennend genannt wurde, war ein Handelsunternehmen für Yoga- und Meditationsbedarf gewachsen. Bausinger hat noch einen kleinen Platz in seinem Produktkatalog, „und so war ich bei ihm drin mit diesem kleinen Ührle“, erzählt Bader, der seinen Traum vom Leben in Auroville noch ein wenig weiter träumt. Bis zu dem Tag, an dem Bausinger dem um einige Jahre jüngeren Peter Bader die Firma zur Übernahme anbietet. „Ich wusste einfach: Das ist es“, erinnert sich Bader.
Ein Vierteljahr später unterschreibt er den Übernahmevertrag. Unverhofft findet er das selbstbestimmte Leben durch seine neue Aufgabe als Geschäftsführer zwischen Yoga-Matten und Meditationskissen: „Ich kann die Firma so gestalten, wie ich meine, dass es richtig ist“, beschreibt Bader sein Freiheitsgefühl seit nunmehr 17 Jahren. Und „richtig“ hat für Bader viel mit Verantwortung zu tun: Den Großteil seiner Lieferanten findet er in der Umgebung des Firmensitzes auf der Schwäbischen Alb, das garantiert kurze Wege. Er vergibt Aufträge an Behindertenwerkstätten und beschäftigt seine sieben Festangestellten unbefristet. Alles ohne Dogma, wie Bader betont, wenn es nicht anders ginge, kaufe er auch in China. „Ich mach‘s halt so gut wie möglich“, beschreibt er bescheiden seine Maxime. „Ich bin froh, dass ich raus bin aus diesem Druck und frei bleiben kann“, resümiert Bader seinen Branchenwechsel. Als Elektroingenieur gehöre man mit 45 Jahren zum alten Eisen – zu schnell sei die technische Entwicklung, meint Bader: „Als Geschäftsführer kann man 50 oder 65 sein und noch einen guten Job machen – mit Ruhe und Abstand zu dem Ganzen. Von daher habe ich diese Work-Life-Balance ganz gut hingekriegt.“
Auroville
In der südindischen Siedlung Auroville leben seit 45 Jahren Aussteiger aus aller Welt. Ihre Absicht ist ein friedfertiges, nachhaltiges, gemeinschaftliches Leben in Harmonie mit der Natur. Auroville wurde mit Unterstützung der UNESCO Ende der Sechzigerjahre gegründet. Die internationale Lebens-Gemeinschaft zählt derzeit rund 2200 Mitglieder aus 48 Nationen.
www.auroville.de