Die Schriftstellerin Petra Urban hat zwei lebensphilosophische Bücher geschrieben, die Frauen ermutigen sollen herauszufinden, wohin das Leben sie führen will. Ihr Rat für Einsteigerinnen: Ein Blick zurück kann besondere Gaben zum Vorschein bringen – und eine bewusste Auszeit kann helfen, die eigenen Talente zu entdecken und auch zu leben. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Dr. Petra Urban, geboren 1957 im sächsischen Dohna, wuchs in Düsseldorf auf. Sie studierte zunächst zwei Semester Jura, bevor sie dann auf die Fächer Germanistik und Philosophie wechselte und 1990 promovierte. Nach einigen Jahren als Kulturredakteurin für Magazine und Zeitungen lebt und arbeitet Petra Urban seit Anfang der 90er-Jahre als Schriftstellerin und Buchautorin in Bingen am Rhein. Die 55-Jährige veröffentlichte eine Reihe von Romanen, Kurzgeschichten und Erzählungen sowie zuletzt zwei lebensphilosophische Sachbücher.
Frau Dr. Urban, im ersten Kapitel Ihres Buches „Das Leben ist ein Abenteuer oder gar nichts“ zitieren Sie die Dichterin Hilde Domin mit den Zeilen: „Man muss fortgehen können/und doch sein wie ein Baum/als bliebe die Wurzel im Boden“. Fortgehen und doch verwurzelt bleiben: Was bedeutet das?
Zuerst einmal ist es ein wunderbares Bild: sich auf den Weg machen, ein Ziel haben und dabei die eigenen Kräfte spüren. Bei aller Bewegtheit immer wieder die Verbindung zu mir selbst suchen. Eine wichtige und ganz gewiss lebenslange Aufgabe.
Können Sie das Bild des Baumes mit Blick auf junge Frauen, die vor dem Einstieg in den Beruf stehen, konkreter machen?
In sich selber zu wurzeln wie ein Baum, bedeutet, mit sich selbst in gutem Kontakt zu sein. Sich zu fragen: Wo komme ich her? Was ist der Ursprung meiner Kraft? Wer sind die, die mich geprägt haben? Wenn sich junge Frauen diese Dinge immer wieder bewusst machen, entwickelt sich daraus ein Teil ihrer Stärke und Kreativität, die sie benötigen, um den Karriereweg zu gehen – aktiv, neugierig und selbstbewusst.
Warum ist dieser Weg ohne ein Gespür für die eigenen Wurzeln schwerer?
Weil ich dann das Potenzial verschenke, das in meiner Tiefe schlummert. Wenn ich meine Wurzeln kenne, habe ich die Möglichkeit und Chance, meine besonderen Gaben und Talente zu entdecken. Es ist eine Art Standortbestimmung. Ein Kräftesammeln.
Will heißen: Das Aneignen der Fähigkeiten beginnt nicht erst mit dem Studium, sondern schon sehr viel früher.
Ja, und zwar sehr häufig über Personen, die mich schon als Kind geprägt haben. Es ist immer wieder interessant, mit Menschen über die eigene Kindheit und Jugend zu sprechen. Denn oft erinnern wir uns bei diesen Reflexionen ganz plötzlich an Persönlichkeiten, die uns fasziniert haben, weil sie eine Stärke oder eine besondere Gabe besaßen, die wir bewundert haben, die uns begeistert zu ihnen aufblicken ließ.
Später im Berufsleben nennt man solche Menschen Mentoren oder Mentorinnen.
Genau. Für mich war einer dieser prägenden Menschen mein Vater. Er war ein brillanter Redner und konnte unglaublich geschickt argumentieren. Diese Gabe der Rhetorik hat mich schon als Kind fasziniert. Wer weiß, vielleicht bin ich deshalb heute Schriftstellerin. Andere Frauen erinnern sich vielleicht an eine Person aus ihrer Kindheit, die es gut verstand, unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen. Und aus dieser Begeisterung heraus haben sie vielleicht selbst die Gabe entwickelt, Extreme an einen Tisch zu holen, Gespräche zu leiten und schwierige Themen miteinander zu verknüpfen.
Gibt es denn einen zuverlässigen Weg herauszufinden, welche Talente ich besitze?
Manchmal ist der erste wichtige Schritt zu spüren, dass mir das, was ich gerade mache, nicht wirklich liegt. Mir passierte das im zweiten Semester Jura. Ich hatte Jura studiert, weil mein Vater Jurist war und weil ich dachte, ich wäre auch gern Juristin. Stimmte aber nicht. Klar wurde mir das bei der ersten Hausarbeit, die ich schreiben sollte. Der Fall, um den es ging: Ein Stahlarbeiter stößt einen Kollegen im Streit in einen Hochofen. Die Aufgabe für uns Studenten lautete, die zuständigen Paragrafen und Tatbestände herauszufiltern. Das einzige aber, was mich interessierte, war die Geschichte vor dem Tatbestand: Was war da los? Wie kam der eine dazu, dem anderen das anzutun?
Das hat wahrscheinlich den Rechtsprofessor weniger interessiert.
Richtig. Aber damals habe ich gemerkt, dass juristische Fälle und trockene Paragrafen nichts für mich sind. Das Studium hatte nichts mit dem zu tun, was ich mir für mein Leben wünschte: einen lebendigen, kreativen Umgang mit Sprache. So wie mir kann es auch Frauen ergehen, die als Einsteigerinnen erste Karriereschritte unternehmen. Wichtig ist, dieses Gefühl von Unwohlsein nicht zu verdrängen, sondern zu überprüfen: Was steckt dahinter? Manchmal ist es gut, sich für die Beantwortung dieser wichtigen Frage Zeit zu nehmen. Den Alltagstrott für ein paar Tage hinter sich zu lassen und in Ruhe zu analysieren, wie der Job mein Leben und meine Gefühlswelt verändert hat. Wo liegt ein Gewinn? Aber auch: Was fehlt mir? Was fällt mir schwer? Was wünsche ich mir? Wo liegen meine Talente? Und jetzt kommt die Kraft ins Spiel, von der wir anfangs gesprochen haben: Ich sage „Ja!“ zu meinem Wunsch nach Veränderung – und ich gehe nach dieser Auszeit zurück, um diese Änderungen selbstbewusst in Angriff zu nehmen.
Was benötigt man als Handwerkszeug, um diesen Wandel dann auch hinzubekommen?
Erstens sicherlich Mut, um auch zurück im Alltag zu den Dingen zu stehen, die man während seiner Auszeit über sich erfahren hat. Zudem eine Portion Geduld. Geduld ist bekanntermaßen die Kraft der Starken. Wesentliche, existenzielle Veränderungen geschehen fast nie von heute auf morgen. Wichtig ist das Bewusstsein, dass ich mit meinem Anstoß zur Veränderung eine Art Samen gesetzt habe. Zwar kann es ein bisschen dauern, bis er aufgeht. Aber eines Tages wird er Früchte tragen.
Literaturtipps
Das Leben ist ein Abenteuer oder gar nichts. Spirituelle Frauengeschichten.
Vier Türme 2011. ISBN 978-3896804952. 14,90 Euro.Mein Herz tanzt in den Himmel. Vom Loslassen und Neuanfangen.
Vier Türme 2012. ISBN 978-3896808059. 14,90 Euro.