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Startfrauen in führungspositionenWeg mit den Bremsklötzen

Weg mit den Bremsklötzen

Ob Gender Care Gap oder Gender Digital Gap – die Zeit der Gräben zwischen den Geschlechtern ist nicht vorbei. Im Gegenteil, Forscher sprechen von paradoxen Entwicklungen und strukturellen Gleichheits- Verhinderern. Und nun? Sich erstens der Probleme bewusstwerden und zweitens mit dem Umdenken beginnen. Ein Essay von André Boße

Es tun sich weiterhin Gräben auf. Gräben, von denen man dachte, man hätte sie längst zugeschüttet und überwunden. Dass das noch längst nicht gelungen ist, dafür sprechen einige bemerkenswerte Studienergebnisse. Diese Untersuchungen zeigen, dass auch weiterhin Strukturen existieren, die Gleichberechtigung verhindern, den Prozess dorthin immer wieder abbremsen oder sogar umkehren. Wobei sich diese Strukturen nicht nur ganz oben in den Führungsetagen finden, dort, wo man die Gläserne Decke vermutet. Sie existieren an der Basis: Vielfach sind es die sozialen Grundbedingungen, die dafür sorgen, dass die Gender Equality noch längst nicht erreicht ist.

Gender Digital Gap

Die gewerkschaftsnahe Hans Böckler Stiftung zum Beispiel hat ihr Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) gebeten, zu untersuchen, inwieweit Frauen und Männer beim Thema Digitalisierung auf Augenhöhe stehen. Das Ergebnis der Studie: Sie tun es nicht. „Weibliche Beschäftigte sind mit Blick auf die digitale Zukunft bei ihrer beruflichen Tätigkeit gegenüber männlichen spürbar im Nachteil“, heißt es in der Zusammenfassung.

Frauen und Männer arbeiteten zwar annähernd genauso häufig am Computer. „Bei der Verwendung von fortgeschrittener und spezialisierter Software sowie bei der Nutzung vernetzter digitaler Technologien wie Cloud-Diensten zeigen sich aber erhebliche Unterschiede.“ Mit der Folge, dass weibliche Beschäftigte im Durchschnitt ihre Berufschancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt als schlechter einschätzen: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich berufstätige Frauen gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, liegt bei 34 Prozent. Dagegen sind es unter männlichen Beschäftigten immerhin 49 Prozent“, heißt es in der Studie.

Kampagne gegen Klischees

AdobeStock/U-Studio
AdobeStock/U-Studio

2023 startete die EU-Kommission eine Kampagne, um Geschlechterklischees zu bekämpfen. Der erste Schritt sei es, bei allen Menschen das Bewusstsein dafür zu schärfen, welche Rolle Gender-Stereotype in der Gesellschaft spielen. „Geschlechterklischees sind tief in unserer Kultur verwurzelt und sie sind eine Ursache für Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern“, heißt es auf der Homepage der Initiative. Das Internetangebot hält neben Infos auch kostenloses Workshop-Materialien bereit, um in Teams zu diesem Thema zu arbeiten.

Für die WSI-Forscherin und Studienautorin Dr. Yvonne Lott sind diese Ergebnisse Grund genug, einen „Gender Digital Gap“ festzustellen. Noch verstärkt wird dieser durch eine Entwicklung, die eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) festgestellt hat. Das Thema der Studie ist das Substituierbarkeitspotenzial“ von Berufen, gemeint ist damit die Wahrscheinlichkeit, mit der Jobs mittel- oder langfristig von digitalen Techniken übernommen werden können, insbesondere von Systemen mit Künstlicher Intelligenz.

Im Segment der Unternehmensführung und -organisation sei das Substituierbarkeitspotenzial für Frauen (70 Prozent) deutlich höher als für Männer (50 Prozent). Die Erklärung: „In diesem Berufssegment sind Frauen überproportional häufig in kaufmännischen Fachkraftberufen tätig, die ein mittleres bis hohes Substituierbarkeitspotenzial aufweisen“, schreiben die Studienautorinnen. Demgegenüber arbeiteten Männer häufiger als Manager, Gesch.ftsführer, Betriebs- oder Projektleiter, also in Berufen mit einem niedrigen Substituierbarkeitspotenzial. Die Schlussfolgerung der Expertinnen vom IAB: „Frauen sind hier also potenziell stärker von der Digitalisierung betroffen als Männer.“

Gender Care Gap

Bemerkenswert ist auch das Ergebnis einer neuesten „Zeitverwendungserhebung“ des Statistischen Bundesamtes. Alle zehn Jahre untersuchen die Statistiker*innen, wie Frauen und Männer ihre Zeit aufteilen; die im Februar 2024 veröffentlichte Studie fokussierte sich auf die Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit. Diese setze sich aus „Care-Arbeit“ zusammen: Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, aber auch freiwilliges und ehrenamtliches Engagement sowie der Unterstützung haushaltsfremder Personen. Das Ergebnis: Frauen verbringen im Durchschnitt knapp 30 Stunden pro Woche mit unbezahlter Arbeit, Männer nur knapp 21 Stunden. Das entspricht einer Stunde und 17 Minuten mehr unbezahlter Arbeit pro Tag.

Auch hier gibt es also einen Graben, das Statistische Bundesamt spricht von einem „Gender Care Gap“ zwischen Frauen und Männern, der bei 43,8 Prozent mehr unbezahlter Arbeit liegt. Bei der Erhebung vor zehn Jahren habe dieser noch bei 52,4 Prozent gelegen. „Die Lücke zwischen Frauen und Männern bei der unbezahlten Arbeit wurde im Zeitvergleich kleiner, sie ist aber nach wie vor beträchtlich“, wird Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, in der Pressemitteilung zitiert.

Buchtipp

Cover Steinthaler AllesGenderAlle(s) Gender – Wie kommt das Geschlecht in den Kopf?

In ihrem Sachbuch folgt Sigi Lieb den Spuren von Gender und Geschlechterstereotypen. Dabei geht sie der Frage nach, was Geschlecht ausmacht und wo die Ursprünge der gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht liegen. Sie verweist dabei auf den Stand der Wissenschaft: biologisch, medizinisch, gesellschaftlich, historisch, rechtlich. „Ziel des Buches ist es, feministische, homosexuelle, transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Interessen zu verbinden, ohne die Unterschiede und Widersprüche zu leugnen“, schreibt sie auf ihrer Homepage. Sigi Lieb: Alle(s) Gender – Wie kommt das Geschlecht in den Kopf?. Querverlag 2023. 20,00 Euro.

Interessant dabei: Betrachtet man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen, arbeiten laut Studie Frauen mit durchschnittlich fast 45,5 Stunden pro Woche mehr als Männer, die im Schnitt knapp 44 Stunden arbeiteten. Entsprechend unterscheidet sich das Zeitempfinden mit Blick auf die Arbeit: Fast jede vierte erwerbstätige Mutter schätze die zur Verfügung stehende Zeit als zu gering ein, zugleich wiederum finde jeder vierte erwerbstätige Vater, dass er zu viel Zeit mit Erwerbsarbeit verbringe. „Eine von vier erwerbstätigen Müttern würde gerne mehr Zeit für Beruf und Karriere haben, einer von vier erwerbstätigen Vätern würde demgegenüber gerne weniger Zeit damit verbringen und sich stattdessen lieber anderen Dingen widmen“, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie. Demgegenüber habe nur jede siebte erwerbstätige Mutter angegeben, dass ihre Erwerbstätigkeit zu viel Zeit beanspruche, nur jeder sechste erwerbstätige Vater habe angegeben, dass ihm zu wenig Zeit für Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehe.

Gender Equality Paradox

Nun ließe sich dieses Problem in der Theorie schnell lösen: Männer entlasten Frauen bei der Care-Arbeit, schon wäre das Gleichgewicht hergestellt. Doch so funktioniert gesellschaftlicher Wandel leider nicht. Tradierte Strukturen verschwinden nicht, weil die Logik danach verlangen würde. Sie sind widerstandsfähiger, als manch ein Mensch glaubt, der für Wandel und Fortschritt wirbt. Und mehr noch: Sie können dafür sorgen, dass sich ein Phänomen ergibt, dass in der Forschung als „Gender Equality Paradox“ beschrieben wird. Mehrere Studien stellen fest, dass aus einer wachsenden Gleichberechtigung der Geschlechter nicht folgt, dass sich Frauen und Männer ähnlicher werden. Das Gegenteil ist der Fall.

So beschrieben die Forscher Gijsbert Stoet und David C. Geary in einer vielbeachteten Untersuchung aus dem Jahr 2018, dass in Ländern mit hoher Gleichberechtigung weniger junge Frauen ein männerdominiertes MINTFach studieren als in Nationen, in denen es weiterhin starke patriarchale Strukturen gibt. Stoet und Geary stellten fest, dass in Algerien die Frauenquote in MINT-Fächern mehr als 40 Prozent beträgt, in Norwegen lag die Quote bei weniger als 25 Prozent. Dabei gilt dieses Land laut eines Blog-Beitrages der Deutschen Auslandshandelskammer Norwegen als „Vorbild in der Gleichstellung“, da das Land bereits 2003 eine 40-Prozent-Quote für die Geschlechterverteilung in den Vorständen börsennotierter sowie öffentlicher Unternehmen eingeführt habe und damit weltweit zum Vorreiter wurde.

AdobeStock/VisualProduction
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Seit Veröffentlichung der Studie gibt es eine Debatte über die Gründe dieses Paradoxons. Ein Fachbeitrag im Magazin „Spektrum der Wissenschaft“ versucht, die vielen Erklärungsversuche zusammenzufassen und zitiert dabei die Soziologin Julia Gruhlich, die aktuell an der Universität Göttingen lehrt: „Wir haben feste Vorstellungen davon, welche Berufe für welches Geschlecht in Frage kommen, und wir verinnerlichen diese Zuschreibungen im Lauf der Zeit.“ Diese strukturellen Stereotype übten einen großen Einfluss auf die Entscheidungen aus: Wir glauben, dass wir uns frei entscheiden – doch wird diese Entscheidung mehr als wir denken von den sozialen Strukturen mitbestimmt.

Wir alle müssen umdenken

Die Bremsklötze auf dem Weg zur Gender Equality müssen gesehen werden, um sie bekämpfen zu können.

Ist der Wille zur Gleichberechtigung damit ein Kampf gegen Windmühlen, der gar nicht zu gewinnen ist? Natürlich nicht. Was aber wichtig ist: Die Bremsklötze auf dem Weg zur Gender Equality müssen gesehen werden, um sie bekämpfen zu können. Das gilt weiterhin auch für die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen. Die neueste Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) besagt, dass „Frauen in Führungspositionen mit einem Anteil von durchschnittlich 25 Prozent in Deutschlands Unternehmen immer noch stark unterrepräsentiert sind“. Und das, obwohl mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen gute bis sehr gute Erfahrungen mit gemischten Führungsteams gemacht haben. Und obwohl es seit vielen Jahren politische, gesellschaftliche und unternehmerische Maßnahmen gibt, den Anteil der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen.

„Ein Allheilmittel zur Förderung von Frauen in Führungspositionen gibt es nicht“, schreiben die Studienautorinnen Johanna Garnitz und Annette von Maltzan im Ausblick ihrer Studie. Doch es gebe eine zentrale Grundlage, um Veränderungen zu ermöglichen: „Die Schaffung von Rahmenbedingungen, die die Flexibilität von Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen.“ Hierzu gehörte, so die Autorinnen, die Ausweitung der Kinderbetreuung oder Anreize zur gerechteren Aufteilung der Care-Arbeit, um den Gender Care Gap zu verkleinern.

Wobei der Erfolg aller dieser Maßnahmen davon abhängig ist, inwieweit die Menschen in Deutschland motiviert sind, die Strukturen zu hinterfragen und zu überwinden. „Die Förderung von Frauen in Führungspositionen“, so das Fazit der ifo-Untersuchung, „kann langfristig nur durch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken erreicht werden.“ Mut machen kann an dieser Stelle ein berühmtes Zitat des französischen Künstlers Francis Picabia: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“

Buchtipp: Mütter Europas

Cover BojsSchon lange wird erforscht, wie Frauen in der Stein- und Bronzezeit lebten oder wie die Geschlechterverhältnisse in der Zeit vor Erfindung der Schrift waren – doch gesicherte Erkenntnisse gab es oft nicht. Das hat sich geändert, seitdem DNAAnalysen für die prähistorische Forschung zur Verfügung stehen. Karin Bojs, schwedische Wissenschaftsjournalistin, ausgezeichnet mit der Ehrendoktorwürde der Universität Stockholm, hat nun die neuesten Ergebnisse zusammengetragen und fragt, wann und warum in Europa das Patriarchat entstand. Eine spannend geschriebene Entdeckungsreise in die Welt der Archäologie. Karin Bojs: Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre. C.H. Beck 2024. 26,00 Euro

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